Schrobenhausen
"Die Erinnerung an die alte Heimat ist wichtig"

SZ TRIFFT Rolf-Dieter Wührl, der sich unentwegt für den Böhmerwaldbund Schrobenhausen einbringt

01.10.2017 | Stand 23.09.2023, 2:47 Uhr

Böhmerwaldbund Schrobenhausen in Augsburg: Der Vorsitzende Rolf-Dieter Wührl (v. l.), Karl Trompler und Adolf Florian - beides Mitglieder des Vertriebenenvereins - schwenken die Böhmerwald- Fahne beim Sudetendeutschen Tag in Augsburg. - Foto: Wührl

Schrobenhausen (SZ) Schrobenhausen im Sommer 1946: Tausende Vertriebene kommen in der kleinen Stadt mit damals kaum 8000 Einwohnern an. Sie werden in Massenquartieren für Wochen, manchmal für Monate untergebracht. Wirtshaussäle sind plötzlich Lager, auf Strohsäcken schlafen die Neuankömmlinge in langen Reihen, im Bräumichl-Saal, im Stieglbräu, im Grieser oder in der alten Turnhalle.

Wie es den Vertriebenen damals ging, weiß Rolf-Dieter Wührl (65), Vorsitzender des Böhmerwaldbunds Schrobenhausen, sehr genau - aus den Erzählungen seiner Ehefrau und seinen Schwiegereltern. Sie wurden aus dem Egerland vertrieben. 1947 kamen sie in ein Lager nach Dachau, danach auf einen Bauernhof in der Nähe von Pöttmes. 1957 fanden sie in Schrobenhausen eine neue Heimat. "Meine Schwiegereltern haben viel mitgemacht, das war eine sehr schwere Zeit", erzählt Wührl.

Die Egerländer hatten jahrzehntelang eine eigene Ortsgruppe in Schrobenhausen. Die existiere jedoch, wie Wührl bedauert, nicht mehr, "es fehlte der Nachwuchs". Dieses Problem hat seit ein paar Jahren auch den Böhmerwaldbund Schrobenhausen erreicht. Als Wührl vor 30 Jahren der Ortsgruppe beitrat, waren es noch 340 Mitglieder. Und heute? "Heute sind wir nur noch 98", sagt der Vorsitzende nachdenklich.

Dass Rolf-Dieter Wührl seit neun Jahren die Heimatgruppe in Schrobenhausen als Vorsitzender anführt, war so nicht geplant. "Zum Böhmerwaldbund bin ich durch meine Kinder gekommen. Die fingen eines Tages an, in der Jugendgruppe des Vereins mitzutanzen", erzählt er. "Bald wurde ich dann selbst Mitglied und fing an zu tanzen."

Apropos Tanzen. Das ist eine Leidenschaft von Wührl und seiner Ehefrau. Sie sind zusammen mit weiteren fünf Paaren in der Bärwurz-Tanzgruppe. "Dort zeigen wir traditionelle Tänze aus dem früheren Böhmen und dem Egerland", berichtet Wührl, den viele auch als Künstler kennen.

Wührl kennt nicht nur das Schicksal seiner Schwiegereltern, die nach dem Zweiten Weltkrieg viel mitmachen mussten, weil sie ihre Heimat verloren. "Jedes meiner Mitglieder des Böhmerwaldbunds hier in Schrobenhausen könnte seine eigene Geschichte erzählen und damit ganze Bücher füllen", sagt er. Jeder vierte Einwohner des Landkreises Neuburg-Schrobenhausen stammt direkt oder in zweiter Generation aus den Vertreibungsgebieten im Osten. Darum findet er es auch gut, dass Straßen nach den ursprünglichen Herkunftsorten vieler Schrobenhausener benannt wurden. "Vielleicht fragt dann später doch der eine oder andere nach, was das zu bedeuten hat. Die Erinnerung an die alte Heimat ist wichtig", sagt Wührl.

Er ist davon überzeugt, dass die Stadt ohne die zahlreichen Vertriebenen, die nach dem Zweiten Weltkrieg in Schrobenhausen eine neue Heimat gefunden haben, heute ganz anders aussehen würde. Aus dem Sudetenland, dem Egerland oder Böhmen seien viele Menschen in die Lenbachstadt gekommen. Schriftsteller, Künstler, Pfarrer, Landwirte, Geschäftsleute und Lehrer hätten damals ihren Weg hierher gefunden. "Sie brachten ihr Wissen, ihre Bräuche und ihre Kenntnisse mit", betont Wührl. Noch heute zeugten zahlreiche Geschäfts- und Firmennamen von ihren Wurzeln unter den Vertriebenen. Wührl: "Durch die Böhmerwäldler und die Egerländer ist in Schrobenhausen viel passiert."

Xenia Schmeizl