Schrobenhausen (SZ) "Jeder Mensch, der mir geholfen hat, hat einen Platz in meinen Gedanken", schreibt Hothaefa Al-Sheik in seinem Buch "Flucht nach vorn". Der 31-jährige Syrer erzählt darin von seinen Erlebnissen auf dem Weg nach Deutschland und dem Ankommen in der europäischen Kultur.
Die Idee zum Buch hatte der Schrobenhausener Thomas Winter, der Redakteur bei der Aichacher Zeitung ist, wo der in Ar-Raqqa im Osten Syriens geborene Hothaefa Al-Sheik (kleines Foto) ein Praktikum absolvierte. Ebenso bei der Schrobenhausener Bauer AG, die das Buchprojekt unterstützte. "Meine Intention war, nicht immer nur über Flüchtlinge zu schreiben", sagt Thomas Winter. Er wollte das Ganze anders anpacken, Hothaefa Al-Sheik seine Geschichte selbst erzählen lassen, um damit Flucht einmal sozusagen aus der Innensicht darzustellen: Wie funktioniert Flucht? Wie läuft das alles organisatorisch, wie finanziell? Schließlich gebe es ja nicht nur "die dramatischen Spitzen", die auch Hothaefa Al-Sheik erleben musste: die lebensgefährliche Überfahrt über das Mittelmeer; die permanente Angst, aufgegriffen zu werden; Schlepper, die das Schlauchboot aufstechen, sobald die Küstenwache auftaucht. Daneben sind es auch teils ganz pragmatische Dinge, die Flüchtende beschäftigen. Und vieles, das dazwischen abläuft. Langes Warten etwa. Oder - bei aller Tragik - auch mal nette Erlebnisse: Das Wetter ist schön, irgendwer ergattert Maiskolben, man schafft es, Wasser abzukochen und Tee zuzubereiten. Und da sind auch die vielen Menschen, denen Hothaefa Al-Sheik begegnet, freundliche wie weniger freundliche.
In kleinen Rückblicken lässt der Autor seine Leser an Erinnerungen an schöne Zeiten in der Heimat teilhaben, wo er als Englischlehrer arbeitete. Und er gewährt seine ganz eigene Sicht auf die verschiedenen Kulturen - die syrische, mit der enormen Bedeutung von Essen weit über die bloße Nahrungsaufnahme hinaus etwa; die hiesige, in der sich der 31-Jährige über das Verhätscheln von Hunden in deutschen Haushalten wundert. Wie schwer es ist, die Heimat zu verlassen - auch davon berichtet Hothaefa Al-Sheik. Und weshalb er sich dazu entschloss: "Die Kampfflugzeuge suchten nach einem Ziel, um es zu zerstören und unschuldige Seelen zu töten." Hothaefa Al-Sheik ist überzeugt: "Wenn man das politische Spiel versteht, weiß man wie diese Welt funktioniert."
Auf seiner "Reise", wie er seine Flucht über die Balkanroute nennt, verschlägt es Hothaefa Al-Sheik irgendwann in die Dasinger Flüchtlingseinrichtung. Heute lebt er mit seinem Bruder, einem Mathematiker, in Augsburg, ist seit Längerem anerkannt, gibt Volkshochschulkurse für Arabisch. "Er hat sich sehr gut integriert", findet Thomas Winter. Die sehnlichst erhoffte Arbeitsstelle tat sich trotzdem noch nicht auf. Zur Untätigkeit verdammt zu sein, sei für den 31-Jährigen zermürbend, erzählt Winter. Sein sunnitischer Glaube helfe ihm, die Situation zu akzeptieren.
Es sind nicht unbedingt sprachliche Finessen, die an dem Buch fesseln, vielmehr ist es die enorme Authentizität, die in Hothaefa Al-Sheiks Worten förmlich greifbar wird. Geschrieben hat er sein Buch auf Deutsch, und damit in einer Sprache, mit der er erst vor wenigen Jahren in Kontakt kam. Thomas Winter erklärt, warum: "Das Arabische ist sehr lyrisch, arabesk", eine Übersetzung ins Deutsche, grade bei einer Geschichte wie dieser, funktioniere daher nur bedingt. Einer gewissen Hilfe bedurfte es natürlich, dennoch war die Arbeit am Buch für den 31-Jährigen auch eine wunderbare Möglichkeit, das Erlebte aufzuarbeiten und seine Sprachkenntnisse zu verbessern - mit seiner ganz persönlichen Geschichte, die dennoch sinnbildlich für viele stehen dürfte.
Zu kaufen gibt es das Buch für 9,80 Euro in der Buchhandlung an der Stadtmauer sowie in den Aichacher Buchhandlungen.