Schrobenhausen
Ein Juwel vergangener Zeit

60 Interessierte beim Vortragsabend rund um die Geschichte der Egerländer in Schrobenhausen

01.12.2016 | Stand 02.12.2020, 18:58 Uhr

Experten für die Egerländer Geschichte: Helmut Eikam (v.l.), Heinz Eibl und Max Direktor.

Schrobenhausen (SZ) Einen Abend, an dem Stadtgeschichte lebendig wurde, erlebten am Dienstag rund 60 Zuhörer im vhs-Gebäude. Zum Thema "70 Jahre Vertreibung - 70 Jahre Ankunft in der neuen Heimat" gab es den Film vom Bayerntreffen der Egerländer in Schrobenhausen aus dem Jahr 1957 zu sehen.

Es ist ein Abend zum Zurückerinnern, für jene ältere Herrschaften, die Flucht und Vertreibung noch am eigenen Leib erfuhren - doch der Abend ist auch eine wunderbare Möglichkeit für deren Nachkommen, "Gschichtn aus da Huimat" zu lauschen. Tatsächlich blitzt die charmante Egerländer Mundart, mit ihren eigenwilligen Lauten und dem mitunter leicht unorthodoxen Satzbau, die es heute kaum noch in der Stadt zu hören gibt, hie und da auf. Gesprochen von zwei Männern, deren Lebenswege zwar komplett unterschiedlich verlaufen - dennoch auch die eine oder andere Parallele aufweisen.

Heinz Eibl, langjähriger Vorsitzender der Egerländer Gmoi in Schrobenhausen, und Helmut Eikam, Bundesvorsitzender der Seligergemeinde, berichten davon, wie es sie seinerzeit nach Schrobenhausen verschlug. Mit 50 Kilo Habseligkeiten im Gepäck, verfrachtet in Viehwagons, stigmatisiert mit Armbinden, wie Helmut Eikam erzählt.

Nicht minder berührend die Erlebnisse von Heinz Eibl: Bei Nacht ging es über die Grenze, geschlafen wurde, "bei 15 bis 18 Grad minus", in einem Stadel, bis man irgendwann in einem leerstehenden Fabrikgebäude Unterschlupf fand. Eibl erzählt von Wanzen in Baracken und sagt: "Ich habe in dem Lager alle Facetten des menschlichen Lebens erlebt, von der Geburt bis zum Tod." Nach Schrobenhausen kommt er später der Liebe wegen. Als er 1957 die Einladung zur "zehnjährigen Bestandsfeier der Eghalanda Gmoin z'Schrobenhausen", wie auf einem Plakat im vhs-Raum nachzulesen ist, erhält, knüpft er erstmals Kontakt mit der Stadt.

Der 18-minütige Film, der bei jenem riesigen Ereignis entstand - extra war dazu ein Kameramann aus München engagiert worden -, ist ein kleines Juwel, zeigt beispielsweise Aufnahmen aus dem alten Lenbachsaal. Und die Bilder beweisen: Der Umzug, den die Egerländer damals auf die Beine stellten, dürfte der womöglich größte gewesen sein, den die Stadt je erlebte. 10 000 Besucher kamen - mehr als Schrobenhausen seinerzeit Einwohner hatte. Vereine, MTV, Turner, Fußballer, Feuerwehrleute marschierten mit, zu sehen sind Blaskapellen, Brauereien mit Ochsenwagen, auf Rädern, zu Fuß, zu Pferd waren die Menschen unterwegs, in prächtig geschmückten Kutschen, sogar VW Käfer wurden für den Festzug mit Girlanden fein herausgeputzt - und die B 300 zweieinhalb Stunden lang gesperrt. "Das wenn man heute machen würde. . .", sinniert Heinz Eibl launig. Der Film liefere auch diesen Beweis: "So schmuck wie heute hat die Stadt noch nie ausgeschaut", sagt Stadtarchivar Max Direktor. Immer wieder sind im vhs-Raum an diesem Abend Namen zu vernehmen, die die Zuschauer auf den Bildern wiederzuerkennen glauben: Bürgermeister Fritz Stocker, Bundesverkehrsminister Hans-Christoph Seebohm, der bayerische Ministerpräsident Wilhelm Hoegner. Ziemlich viel Gesprächsstoff liefern auch die alten Fotos, die Max Direktor mitgebracht hat, von jenen Zeiten, als es noch keine Parkplatzprobleme in der Innenstadt gab, die Bögen der Stadtmauer der Holzaufbewahrung dienten und der Lenbachbrunnen - liebevoll mit Blumen geschmückt - den Lenbachplatz zierte. Als auf einer der Aufnahmen das alte Rathaus auftaucht, gibt es Applaus.

Wie die Vertriebenen Schrobenhausen verändert haben, möchte Max Direktor gegen Ende des Abends von Eibl und Eikam wissen. Eine wunderbare Integrationsmöglichkeit sei der Sport gewesen, findet Heinz Eibl. Und Helmut Eikam weist auf die von Flüchtlingen gegründeten Betriebe hin. Auch hätten sich in der Kommunalpolitik fähige Leute eingebracht.

Um sich bei der hiesigen Bevölkerung für die Belastungen bei der Aufnahme der Flüchtlinge - durch die sich die Bevölkerungszahl ja seinerzeit beinah verdoppelte - und die gute Integration zu bedanken, plane die Stadt im Frühjahr eine Veranstaltung, so Eikam. Einen Schwenk zur aktuellen Situation hatte eingangs vhs-Leiter Benno Bickel hergestellt. Auch wenn die historischen und politischen Bedingungen freilich anders seien - die derzeit beengten Verhältnisse bei der vhs hingen damit zusammen, "dass wir es zurzeit in diesem Haus wieder mit Flüchtlingen zu tun haben."