Schrobenhausen
"Die Spieler sind als Persönlichkeiten gereift"

Sportpsychologe Hans-Dieter Hermann über Motivation, die Nationalelf und die Fußball-Weltmeisterschaft

26.11.2014 | Stand 02.12.2020, 21:56 Uhr

Der Mann für mentale Stärke beim DFB: Sportpsychologe Hans-Dieter Hermann zu Gast beim Sparkassen-Forum 2014 - Fotos: Petry

Schrobenhausen (SZ) Hans-Dieter Hermann ist der Mentaltrainer der deutschen Fußball-Nationalmannschaft – seit zehn Jahren. Der Professor für Sportpsychologie betreute außerdem die TSG Hoffenheim sowie andere Spitzensportler. Die Weltmeisterschaft 2006 war seine erste mit der deutschen Elf. Den Titelgewinn in diesem Jahr erlebte er hautnah mit. Hermann referierte am Dienstagabend beim Sparkassen-Forum 2014 über Motivation und was man von Spitzensportlern lernen kann. „Erfolg beginnt im Kopf“ betitelte er den Vortrag.

 

Herr Hermann, Sie sagen von sich selbst, als Psychologe seien Sie kein guter Interviewpartner für die Presse – beste Voraussetzungen für unser Gespräch. Aber: Warum ist das so?

Hans-Dieter Hermann: Wenn sie als Psychologe arbeiten, dann gibt es für manche Themen Schweigepflicht. Wenn es etwas Interessantes für die Presse gäbe, dann darf ich darüber nicht reden. Und wenn es nicht interessant ist, dann ist es auch für die Presse nicht interessant. Außerdem ist Sportpsychologie Hintergrundarbeit. Man sollte sich dabei selbst nicht so wichtig nehmen und meinen, man müsse in der Presse Verlautbarungen abgeben. Das sollen lieber andere übernehmen, die mehr im Rampenlicht stehen als ich.

 

Das bedeutet auch, dass Sie die Geheimnisse der Spieler, die zu Ihnen kommen, wahren – und nicht aus dem Nähkästchen plaudern.

Hermann: Gewisse Dinge erzähle ich schon, wir sind ja bei der Nationalmannschaft keine Geheimniskrämer. Aber dabei geht es mehr über die Mannschaft und nicht so sehr über meine spezielle Arbeit, die ich beim DFB leiste. Wer würde schon Vertrauliches über seine Freunde verraten? So ist das mit der Nationalelf auch.

 

Vor dem Hintergrund der gewonnenen Weltmeisterschaft: Welche Rolle hat Ihre Betreuung gespielt? War das mentale Coaching vielleicht sogar ausschlaggebend?

Hermann: Ich würde das von mir nicht behaupten, das können die Trainer oder Spieler besser einschätzen. Es ist denke ich aber vielmehr so, dass im Rahmen der Vorbereitung, während der vier Wochen Training, ganz viele Dinge zusammenkommen, die für die Spieler wichtig waren. Da gibt es die Fitnesscoaches, die Physiotherapeuten und Trainer. Und da gibt es auch mich. Das alles fließt mit ein. Meinen Job kann man sich vorstellen wie ein kleines Zahnrad im Gesamtgetriebe. Jedes Rädchen ist wichtig, das darf man nicht gewichten. Das ist keine falsche Bescheidenheit von mir. Ich bin nur einer von mehreren Spezialisten im Team von Bundestrainer Jogi Löw.

 

Ein großes System mit vielen kleinen Zahnrädchen, in das Sie seit zehn Jahren integriert sind. Was hat sich im Laufe der Zeit an der Gruppendynamik der Nationalmannschaft geändert? Und was war heuer anders als sonst?

Hermann: Ich glaube, das Besondere bei der diesjährigen Weltmeisterschaft war, dass alle Spieler sich sehr mannschaftsdienlich verhalten haben. Alle 23 Spieler der Nationalmannschaft haben als Team gedacht und Egoismen komplett hintan gestellt. Das ist im Fußball nicht immer so, bei den Jungs war das heuer aber richtig spürbar. Es war auch für Führungsspieler in Ordnung, einmal nicht auf dem Platz zu stehen.

 

Wie hat sich dieser bedingungslose Teamgeist im Laufe der Jahre entwickeln können?

Hermann: Das ist natürlich ein ständiger Prozess. Abgesehen davon, dass die Jungs nicht wie in einer Bundesligamannschaft agieren können, wo sich die Spieler jeden Tag sehen. Die Schwierigkeit bei der Nationalmannschaft ist, dass immer wieder andere Konstellationen aufeinandertreffen. Gerade das ist aber auch das Spannende daran. Es war schön für mich, zu beobachten, wie die Spieler als Persönlichkeiten gereift sind. Eine Einteilung in Führungsspieler und Ersatzspieler gibt es in diesem Team nicht mehr. Es ist schade, dass nach der WM drei dieser gewachsenen Persönlichkeiten nicht mehr dabei sind. Ein Verlust für die Mannschaft, nicht nur von der fußballerischen Stärke her.

 

Nach der WM haben nicht nur Philipp Lahm, Miroslav Klose und Per Mertesacker von der Nationalelf Abschied genommen. Auch der Druck ist mit dem Titel von den Spielern abgefallen. Was passiert, wenn man danach in ein Loch fällt?

Hermann: So etwas ist prinzipiell möglich. Meiner Meinung nach haben die Spieler dafür aber keine Zeit. Wir haben in Berlin zwei Tage durchgefeiert, die meisten sind danach in den Urlaub geflogen und direkt danach wieder in ihre „normale“ Fußballwelt eingetaucht. Da geht es sehr schnell sehr klar mit Vereinszielen weiter. Das heißt auch, dass die Jungs zum Teil erst einmal ihre Identität wechseln, nicht mehr National- sondern Vereinsspieler sind. Die Schwierigkeit liegt also eher darin, dass sie wenig Zeit haben, sich zu regenerieren.

 

Wie äußert sich das?

Hermann: Das Wichtigste im Sport ist Regeneration. Ohne Regeneration keine Leistung. In Turnierjahren ist das natürlich schwierig. Manchmal bleiben zwei Wochen, obwohl man elf Monate durchgespielt hat.

 

Das heißt, die Weltmeisterschaft war ein Kraftakt?

Hermann: Ja. Aber sie war auch schön. Die Leistung der Jungs war enorm, aber mit dem Titel in der Tasche geht man trotzdem gewissermaßen mit voller Batterie aus dem Turnier, auch wenn man erschöpft ist. Die Jungs haben alles erreicht und konnten mit Hunderttausenden Fans in Berlin ihren Sieg feiern. Erst als sie nach Hause gekommen sind, wurde es ziemlich ruhig – bis auf die Leute, die anrufen, um zu gratulieren.

 

Reicht der Rausch des Titelgewinns als Motivation, weiterzumachen, auch wenn man danach erschöpft ist?

Hermann: Ich habe noch nie die Aufgabe gehabt, einen Leistungssportler motivieren zu müssen. Wenn sie nicht motiviert sind, keine Leistung bringen, dann fallen sie sofort aus dem System. Das Tolle bei den Nationalspielern ist, dass sie nicht fragen: Was hab ich jetzt davon? Der Ehrgeiz ist fest in ihnen verankert. Die Jungs wollen nicht nur auf dem Platz kicken, selbst in ihrer Freizeit spielen sie Fußball oder reden darüber. Es ist ihr Lebenselixier.

 

Sie haben unter anderem die österreichische Skinationalmannschaft und über viele Jahre die Kaderathleten des Deutschen Sportbunds betreut. War die Motivation der Sportler dabei ähnlich?

Hermann: Definitiv. Schwierige Phasen für Sportler sind, wenn sie lange Zeit verletzt sind. Wenn ihre Zukunft unklar ist. Wenn ein Vertrag nicht verlängert wird. Ich habe bei der Nationalmannschaft das Glück, mit Spielern zusammen sein zu dürfen, die in der Blüte ihrer Zeit sind. Die ohnehin zu einer herausgehobenen Spezies gehören und auf der Sonnenseite des Leistungssportsystems stehen. Tiefpunkte gibt es bei ihnen auch. In der Regel haben die Jungs eine tolle Entwicklung hinter sich, von der sie zehren, wenn es mal nicht so gut läuft.

 

Ihr Job ist es, anderen Menschen mentalen Rückhalt zu geben. Wie motivieren Sie sich selbst?

Hermann: Entweder, weil mich etwas wahnsinnig freut. Ich freue mich darauf, etwas machen zu dürfen. Das hat meistens mit den Menschen zu tun. Oder aus Pflichtbewusstsein, indem ich mir selbst sage: Mach das möglichst gut. Es ist mein Anspruch an mich selbst, Respekt vor dem zu haben, was auf mich zukommt. Das hilft mir dabei, mich konzentriert einer Sache zu widmen.

 

Das Interview führte

Kathrin Schmied