Schrobenhausen
Der Hass im Internet

Maria-Ward-Schule stellte sich als eine von bundesweit fünf Projektschulen dem Problem des Cybermobbings

29.05.2017 | Stand 02.12.2020, 18:02 Uhr

Annelie Haller (links) und Helen Doyle (rechts) stellten ihr Konzept gegen Cybermobbing vor: Sie haben eine App als digitalen Kummerkasten entwickelt, mit der man anonym Hilfe von Mitschülerinnen erhält.

Schrobenhausen (SZ) Die Maria-Ward-Realschule Schrobenhausen ist unter dem Titel "Make Your School" eine von fünf Projektschulen bundesweit. Ihr Thema: Cybermobbing.

Laut JIM-Studie 2016 des Medienpädagogischen Forschungsverbandes Südwest stimmen rund 24 Prozent aller befragten Jugendlichen der Aussage zu, dass schon einmal Beleidigungen oder falsche Dinge über sie im Internet verbreitet wurden. Cybermobbing ein alltägliches Problem? Maria-Ward-Schülerinnen nahmen sich diese Erscheinung zum Anlass, Projekttage zu dem Thema zu veranstalten.

"Das Schlimmste ist, dass es nie aufhört. Nie. Bei einem normalen Streit kann man sich aus dem Weg gehen. Aber übers Handy ist das Mobbing immer da. Immer und überall", erklärte Senta Pfaff-Rüdiger in bewegenden Worten im Konzertsaal der Maria-Ward-Realschule und rund 20 Mädchen von der fünften bis zur neunten Klasse hörten gespannt zu. "Hinzu kommt, dass es jeder mitbekommt. Jeder kann die Beschimpfungen im Verlauf des WhatsApp-Chats oder unter Instagram-Bildern lesen."

An zwei Projekttagen im Rahmen von "Make Your School" beschäftigten sich die Schülerinnen intensiv mit dem Thema Cybermobbing - und wie sie dagegen vorgehen können. So auch in einem Workshop von Pfaff-Rüdiger, die sich im Rahmen der Kommunikationswissenschaft und Medienforschung an der Ludwig-Maximilians-Universität München über zehn Jahre wissenschaftlich mit dem Phänomen beschäftigt hat.

"Angefangen hatte alles auf der SMV-Fahrt im vergangenen Jahr", berichtete Verbindungslehrerin Nadine Lamnek. Alle Klassensprecherinnen der Maria-Ward-Realschule Schrobenhausen treffen sich einmal im Jahr bewusst außerhalb der Schule in einer Jugendherberge und diskutieren über die Schulentwicklung aus ihrer Sicht. Dabei wurden zum Beispiel auch immer für jede Klasse professionelle Streitschlichter ausgebildet. "Wir haben jedoch im intensiven Gespräch mit den Mädchen festgestellt, dass viele Konflikte mittlerweile nur noch im digitalen Raum stattfinden. Seien es Streites in WhatsApp-Gruppen oder beleidigende Kommentare unter Instagram-Bildern", so Lamnek weiter. Gemeinsam mit der weiteren Verbindungslehrerin Daniela Birzl, der Schulseelsorge und IT-Lehrkräften initiierte sie das Projekt mit dem Arbeitstitel "Cyberscouts". Schülerinnen sollten selbst aktiv und - ganz wie die analogen Streitschlichter - zur Selbsthilfe angeleitet werden.

Ein Problem dabei: Ab wann spricht man von Cybermobbing? "Oftmals wird bei digitaler Kommunikation ja auch nur schnell viel missverstanden", so Pfaff-Rüdiger. "Mein Ziel war es, für wirkliches Cybermobbing zu sensibilisieren und den neuralgischen Punkt der Intervention zu definieren." Ist es nur ein blöder Spruch in einer Snapchat-Story oder wird wirklich strukturell gegen eine einzelne Mitschülerin vorgegangen? Und je nachdem müsse anders agiert werden. "Es erfordert schon sehr viel Mut, selbst aktiv zu werden und sich beispielsweise in einem Chat auf die Seite eines Mobbingopfers zu stellen", erklärte Nadine Lamnek aus ihrer langjährigen Erfahrung als Verbindungslehrerin, "denn das sehen ja dann auch wieder alle".

Unterstützt wurde die Aktion von Elena Lührs von der Wissenschaft im Dialog GmbH aus Berlin, die Interesse an dem Projekt fand und Modellschulen für die Kampagne "Make Your School" suchte. Als eine von fünf Projektschulen bundesweit und einzige bayerische Schule wurde die Maria-Ward-Realschule Schrobenhausen ausgewählt. Dabei sollen sich Schüler selbst Gedanken zu Verbesserungen an ihrer Schule machen und Lösungen entwickeln. Gefördert wird die Aktion von der Klaus-Tschira-Stiftung eines SAP-Gründers, die es sich zum Ziel gemacht hat, digitale Bildung in Deutschland voranzubringen.

Im Zentrum des Projekts steht dabei: selber machen! So sollten die Schülerinnen nach einer Einführung in die Arbeitsmethode des "Design Thinking" und der Ideenfindung selbstständig kreativ werden und Ideen entwickeln, wie und wann psychologisch professionell gegen Cybermobbing vorgegangen werden kann. "Unser Ziel war, dass man sich ebenfalls digital schnell und anonym Hilfe von anderen Schülerinnen holen kann, was zu tun ist", berichtete Annelie Haller. Die 14-Jährige aus Steingriff hatte gemeinsam mit ihren Mitschülerinnen Selina Höck und Helen Doyle eine App als digitalen Kummerkasten entwickelt, die genau dieses Problem aufgreift. Nach der Eingabe eines Passworts, das dann im Ernstfall nur die Schülerinnen der Schule kennen, kann man per App anonym eine Nachricht verfassen, die an die ausgebildeten Mitschülerinnen weitergeleitet wird. Innerhalb von 24 Stunden - so lange muss man den "Cyberscouts" Reaktionszeit geben - kann man unter Eingabe des gleichen Passworts - ebenfalls wieder anonym - eine Nachricht einsehen, in der man Tipps von den geschulten Mitschülerinnen erhält, was man machen könnte und wie man reagieren sollte. Etwa die Hasskommentare einfach ignorieren oder doch professionelle Hilfe von der Schulseelsorge einholen? Ein erster Prototyp dieser App steht zu Testzwecken unter www.github.com/maria-ward-sob/DigitalerKummerkasten zum Download für Android-Smartphones zur Verfügung.

Weitere Ideen waren beispielsweise das Erstellen von Videos, die in Szenen aus dem Schulalltag Cybermobbing erkennen helfen und ebenfalls Lösungsmöglichkeiten aufzeigen, wie die Schülerinnen selbst aktiv werden können, wenn sie derartige Situationen mitbekommen. Diese werden bald für alle auf der Homepage der Maria-Ward-Realschule (www.maria-ward-sob.de) zu finden sein.

Besondere Unterstützung erhielten die Mädchen bei der technischen Entwicklung von Profis, wie zum Beispiel Ann-Katrin Weigl, die selbst Schülerin der Schule war und vor zehn Jahren ihren Abschluss gemacht hat. Mittlerweile arbeitet sie im Bereich der Medieninformatik in Augsburg. Für sie war es eine Selbstverständlichkeit, an "ihre" Schule zurückzukehren und den Mädchen der heutigen Generation professionelle Tipps zu geben.

Am Ende der zweitägigen Veranstaltung stand für alle Beteiligten fest: Wir haben nicht die eine Lösung gegen Cybermobbing. Die gibt es nämlich gar nicht. Aber die Schülerinnen haben viele Ideen, wie sie an ihrer Schule in Zukunft weiterhin federführend an Konzepten gegen Cybermobbing und damit digitaler Bildung der Zukunft arbeiten können, die nahezu alle Schüler aller Schulen betreffen.