Schrobenhausen
"Ich gehe von hier nicht mehr weg"

08.09.2016 | Stand 02.12.2020, 19:20 Uhr

Schrobenhausen (SZ) Wenn Norbert Heinzlmeier und Thomas Hirchert sich unterhalten, haben Dialektfreunde ihren Spaß. Das gediegene Bayerisch des einen prallt auf den kumpelhaften Berliner Slang des anderen. Die beiden Familienväter kennen sich seit Jahren.

Der gebürtige Brandenburger Thomas Hirchert, 50 Jahre alt, ist vor 16 Jahren nach Schrobenhausen gezogen und arbeitet beim Deutschen Wetterdienst in München. Norbert Heinzlmeier führt in Schrobenhausen eine Dachdeckerei und Spenglerei. Der 43-Jährige ist hier geboren und aufgewachsen. Klare Sache, dass ein Interview mit den beiden nur mit klassischem bayerischen Du stattfinden kann.

 

Norbert, bist du ein typischer Bayer?

Norbert Heinzlmeier: Nein, so fühle ich mich nicht. Ich spreche zwar das typische Schrobenhausenerisch, leicht angeschwäbelt. Aber ich bin kein Paradebayer, der Lederhose trägt und im Trachtenverein ist.

 

Trägst du nie Lederhose?

Heinzlmeier: Zum passenden Anlass schon. Meistens trage ich aber Arbeitskleidung, also eine Dachdeckerhose - das ist ja auch eine Tradition.

 

Thomas, würdest du sagen, dass Norbert ein typischer Bayer ist?

Thomas Hirchert: Das ist ja immer gestaffelt: Manche tragen Tracht, andere ein FC-Bayern-Trikot. Norbert gehört nicht zu den richtig Harten. Man kann seinen Dialekt auch als Zugereister verstehen. Aber er trinkt bayerisches Bier. Ich hab ihn mal eingeladen und hatte sieben Sorten Bier da. Und das Einzige, was er gefragt hat, ist: Wo ist das Bayerische? Seitdem hab ich das auch im Haus.

 

Wie war das für dich, hierher zu ziehen?

Hirchert: Ich hatte großen Respekt vor den Bayern. Als ich einmal im Berliner Zoo war, saßen mir drei Jugendliche gegenüber, von denen ich dachte, sie kommen aus Österreich. Aber die waren aus Bayern. Mir war damals nicht bewusst, dass man hier in Deutschland so einen Dialekt sprechen kann. Aber mit Hilfe der Spider Murphy Gang konnte ich mir ein paar Vorkenntnisse aneignen. Respekt hatte ich auch davor, dass hier die Mehrheit katholisch ist. Wir sind ohne Kirche aufgewachsen.

 

Was hast du dann erlebt?

Hirchert: Ich bin nach Steingriff gezogen, das war ganz anders, als ich mir das vorgestellt habe. Nachbarschaftshilfe wird hier ganz groß geschrieben. Ich habe gleich in vier Volleyballvereinen gespielt und danach ging es zusammen Bier trinken. Da war es ziemlich einfach, hier Fuß zu fassen.

 

Welche Schwierigkeiten gab es?

Hirchert: Das Heimweh war mit das Schlimmste, weil wir unsere Familie und viele gute Freunde zurückgelassen haben. Damals habe ich jeden beneidet, der sein Zuhause nicht verlassen muss. Aber inzwischen würde ich unwahrscheinlich viel vermissen, wenn ich nicht nach Bayern gekommen wäre.

Heinzlmeier: Du hast es halt richtig gemacht, weil du sofort in einen Verein gegangen bist.

Hirchert: Ich habe mal mit einem Urbayern Volleyball gespielt und der hat sich immer beschwert, dass er mit drei Preußen zusammenspielt: mit mir, einem Sachsen und einem Türken.

Heinzlmeier: Das sind die vom alten Schlag. Wir Jungen sind nicht mehr so, wir sind anders aufgewachsen.

 

Die Bayern sehen sich oft nicht als eins von 16 Bundesländern, sondern als ein besonderes.

Heinzlmeier: Das stimmt ja auch, weil wir hier eigentlich alles haben, um alleine überleben zu können. Wir haben vom Naherholungsgebiet bis zu den Bergen und Seen, an Kultur, Handwerk und Industrie, an Lebenseinstellung, alles, was wir wollen. Das bestätigen ja auch die vielen Leute, die hier Urlaub machen.

 

Fühlst du dich mehr als Deutscher oder als Bayer?

Heinzlmeier: Als Deutscher immer, klar - mehr aber als Bayer. Ich bin deutschlandweit aktiv in der Spenglerbranche und da haben wir den Zwist, dass der Spenglerberuf im Norden Klempner heißt, in Bayern, Österreich, Südtirol und der Schweiz aber Spengler. Insofern sind wir, wenn wir auf einer Tagung sind, eh immer die Bayern, die etwas anderes wollen als alle anderen. Der Dialekt gibt das Übrige.

 

Wirst du manchmal ausgelacht?

Heinzlmeier: Nein, da haben wir in der Spenglermeistervereinigung schon zu viel geschafft. Da steht ein großer Verein dahinter, der zusammenhält - der Zusammenhalt ist auch wieder etwas typisch Bayerisches, genauso wie der Ehrgeiz, dass man was bewegt, und Gemeinsamkeit. Da beneiden uns dann schon viele andere Länder, die das nicht haben.

 

Wie hast du deine Heimat denn als Kind erlebt?

Heinzlmeier: Ich bin in Brunnen aufgewachsen und für mich war immer Schrobenhausen das nächste Ziel, wo ich zur Schule gegangen bin und Fußball gespielt habe. Aber meine ganzen Freunde haben gesagt: "Schrobenhausen kannst du vergessen, in Ingolstadt kann man weggehen!" Dann waren wir oft dort, weil es wirklich toll war. Die Ingolstädter haben dann aber gesagt: "Das Beste an Ingolstadt ist die Autobahn nach München!" Und als ich dann Münchener kennengelernt hab, sagen die: "München ist doch ein Dorf. Ab in den Flieger nach Berlin!" Das Typische ist, dass man nie damit zufrieden ist, was man hat. Aber ich fühle mich sehr wohl in Schrobenhausen.

 

Hast du jemals überlegt, wegzuziehen?

Heinzlmeier: Nein, nie. Ich wüsste keinen einzigen Grund. Ich habe Familie, Kinder, Haus und Firma hier. Mir fällt nichts auf, was mich an Schrobenhausen stört. Das Wichtigste ist, dass man aktiv ist. Es kommt keiner auf dich zu und sagt: "Komm raus aus deinem Garten!" Das geht nur über gute Freunde und Zusammengehörigkeit in einem Verein.

Hirchert: Schrobenhausen hat eine optimale Größe. Wenn du hier einen kennst, dann kennst du auch die Schwester, den Onkel, dessen Sohn - alles ist miteinander verzweigt. Ich habe es ja auch schon mit der Großstadt Greifswald mit 60 000 Einwohnern probiert. Das Erste, was mir danach in Schrobenhausen aufgefallen ist: Wenn du im Wald spazieren gehst, grüßt dich jeder.

 

Würdest du Schrobenhausen heute als deine Heimat bezeichnen?

Hirchert: Ein klares Ja. Ich gehe von hier nicht mehr weg. Wenn du alles hast, so wie hier in Bayern, was willst du denn noch mehr? Wenn ich Spaß haben will, gehe ich aufs Schrannenfest oder fahr zu Udo Lindenberg nach München - der muss ja nicht nach Schrobenhausen kommen.
 

Welche Traditionen sind euch wichtig?

Heinzlmeier: Schwierige Frage. Geht es nicht eher darum, Freundschaften zu pflegen? Ich gehe zum Beispiel aufs Volksfest oder zum Maibaumfest. Das ist für uns aber keine Tradition, sondern alltäglich.

Hirchert: Als meine Frau hierher kam, hat sie gesagt, sie würde nie ein Dirndl tragen. Und im ersten Jahr im Kindergarten sollten dann alle Erzieherinnen eines anziehen - auch sie. Da haben wir festgestellt, dass das richtig toll aussieht. Ein Foto davon haben wir nach Greifswald geschickt und behauptet, das wäre hier die Dienstkleidung im Kindergarten. Wenn das gestimmt hätte, hätte das unsere Freunde im Norden nicht gewundert.

 

Thomas, ziehst du auch eine Lederhose an?

Hirchert: Der bayerische Musiker Roland Hefter hat mal gesagt: Liebe Preußen, wenn ihr aufs Oktoberfest geht, müsst ihr euch nicht verkleiden. Wenn ich Sushi essen gehe, ziehe ich auch keinen Kimono an. Ich kann doch nicht in Lederhose rumlaufen!

 

Verändern sich die Traditionen denn?

Heinzlmeier: Die Jugend - wozu ich uns auch zähle - schaut wieder mehr auf Traditionen. Früher hat man noch gesagt, das sei von den Ewiggestrigen. Ob das Besäufnis beim Barthelmarkt oder beim Volksfest in Kühbach Tradition ist, bezweifel ich. Aber dass man in Tracht zum Schrannenfest geht, finde ich schön. Das hat sich wieder eingebürgert. Dass da teilweise Verkleidungen dabei sind, ist schon auch ein Thema. Zum Oktoberfest gibt es ja jetzt wieder unheimlich hässliche Dirndl.

Hirchert: Was mich hier in Bayern irritiert: Beim Volksfest wippen alle Frauen, aber keiner tanzt. Wenn bei uns die richtige Musik kommt, muss getanzt werden. Ratschen kann ich auch zu Hause.

Heinzlmeier: Das ist auch Tradition, dass sich der Bayer nicht leicht bewegt. Da bin ich dann wieder ein Paradebeispiel. Wir schauen erst einmal.

 

Wie schaut es denn mit dem Dialekt aus?

Heinzlmeier: Der richtige Dialekt ist bei uns zu Hause schon verloren gegangen. Meine Kinder sprechen inzwischen mehr Hochdeutsch. Ich denke, das kommt von der Schule, wo nur noch wenige Lehrer Bayerisch sprechen.

Hirchert: Inzwischen ist alles viel vernetzter. Wir hatten in München eine bayerische Telefonistin. Wenn da jemand aus dem Norden angerufen hat, musste sie sehr langsam sprechen, damit der Anrufer mitbekommen hat, worum es ungefähr geht. Da ist es ein Vorteil, Hochdeutsch zu können.

 

Du bist da scheinbar resistent: Bei deinem Berlinerisch hört man nicht den leichtesten bayerischen Einschlag.

Hirchert: Da würde ich mir die Zunge brechen. Ich habe für meinen besten Spezl mal ein Gstanzl auf Bayerisch geschrieben. Das Schreiben war überhaupt nicht schwierig. Aber als ich das vortragen wollte, ging das nicht. Mir fehlen ganz einfach die logopädischen Voraussetzungen.

 

Wäre es schade, wenn der Dialekt verloren geht?

Heinzlmeier: Natürlich, der gehört dazu. Es gibt Dialekte, bei denen man Gänsehaut bekommt, und welche, die man deutschlandweit als schön empfindet. Berlinerisch, Plattdeutsch und eben auch Bayerisch hört jeder gern.

 

Was glaubt ihr, wie Schrobenhausen für die Zukunft aufgestellt ist?

Heinzlmeier: Es wird an allen Ecken und Enden gebaut und saniert: das Altersheim, Schulen, Kinderkrippen.

Hirchert: Als wir vor 16 Jahren herkamen, gab es noch gar keine Kinderkrippe. Die wurde auch nicht benötigt. Und plötzlich sind die Plätze alle voll.

Heinzlmeier: Das haben wir erst lernen müssen. Die größte Herausforderung, die uns jetzt bevorsteht, ist die Integration von unseren neuen Mitbürgern: dass die unter uns sind und nicht in ihrem Containerdorf. Wenn die sich ein bisschen anpassen, dann wird das klappen. Das geht auch wieder über Vereine. Jemand, der Fußball spielt, wird auch zum Grillfest eingeladen.

 

Hat Bayern weniger mit dem Maibaum zu tun und mehr mit einem Lebensgefühl?

Heinzlmeier: Ganz genau. Bayern ist nicht das Oktoberfest. Wenn man sieht, wie es dort zugeht, darf man eigentlich gar nicht hingehen. Da gibt es viel schönere Volksfeste.

 

Hast du Thomas denn als Bayer akzeptiert?

Heinzlmeier: Ich hab ihn als Freund akzeptiert. Einen Bayer würde ich ihn wegen der Sprache nicht nennen.

Hirchert: Ich bin eigentlich der richtige Bayer. Du bist ja bloß hier geboren - ich hab mir das Land ausgesucht.