Schrobenhausen
Wie in der Stadthalle alles begann

Helmut Eikam widmet sich im Sonntagsforum dem Thema Migration und erzählt die eigene Geschichte

05.06.2017 | Stand 02.12.2020, 18:00 Uhr

In der Vortragsreihe zu "40 Jahre Verkehrsverein" präsentierte Vorsitzende Manuela Kreitmair den langjährigen Schrobenhausener Vizebürgermeister Helmut Eikam - zum Thema Migration und Integration. - Foto: mbs

Schrobenhausen (SZ) In der Reihe des Sonntagsforums zum 40jährigen Bestehen des Schrobenhausener Verkehrsvereins referierte Helmut Eikam. Zu den aktuellen Aspekten Migration und Integration konnte er auf eigene Erfahrungen zurückgreifen.

Mit Helmut Eikam sprach ein Zeitzeuge der Vertreibung von 1946, das hatte Anziehungskraft. Unter den fast 80 Zuhörern im Spiegelsaal der Sparkasse sah man viele, deren Familien einst von Flucht und Umsiedlung betroffen waren.

Eikam gehörte 30 Jahre dem Schrobenhausener Stadtrat an, war lange Jahre Gizebürgermeister, und er ist Bundesvorsitzender der Seliger-Gemeinde, einer Organisation, die die Tradition der Sozialdemokraten und Hitler-Gegner aus der Zeit vor 1938, dem Anschluss des Sudetenlands an das Nazi-Reich, hochhält und heute für Versöhnung eintritt.

Die Menschheitsgeschichte, so Eikam, zeige zu allen Zeiten einen "homo migrans", derzeit besagen offizielle Zahlen, dass um die 65 Millionen Menschen weltweit sich auf Wanderschaft befinden. Die Gründe liegen in Arbeitssuche, Flucht vor Krieg oder Hoffnung auf bessere Lebensverhältnisse. In einer Zeit, in der US-Präsident Trump sich gegen Migranten wendet, solle man daran erinnern, dass die USA vor allem durch Zuwachs von außen besiedelt worden seien; in der Hochphase der Zuwanderung seien auch um die 13 Millionen von Deutschland in die USA gewechselt.

Eikam benannte die auffallendsten Wanderungsvorgänge im 20. Jahrhundert. So habe schon die Machtübernahme Hitlers eine große Bewegung ausgelöst; während den einen das nationalsozialistische Deutschland zur Sehnsucht wurde, verließen bedrohte Menschen das Land, vor allem Juden und politisch Oppositionelle. Als Hitler 1938 erst das Sudetenland, dann 1939 die ganze Tschechoslowakei vereinnahmte, mussten wieder viele Menschen fliehen. Eine große Fluchtbewegung entstand gegen Ende des Krieges als Deutsche sich der Roten Armee gegenüber sahen und aus Ostpreußen und den übrigen Ostgebieten sich Richtung Westen aufmachten.

Nach dem Krieg wurde durch das Potsdamer Abkommen eine Aussiedlung der Deutschen aus den Gebieten der Tschechoslowakei beschlossen. Es sollte eine Umsiedlung in "humaner Form" werden, aber davon war nichts zu spüren. Aus dieser Zeit erzählte Helmut Eikam die Geschichte der eigenen Familie. Aus Haberspirk kommend hatte man sich in einem Lager in Falkenau einzufinden, um die 600 Menschen in einer großen Halle, wo der damals dreijährige Helmut in der Nacht zur Mutter sagte: "Mama, geh ma wieder hoim, do is ned schea!"

Das Schicksal war nicht mehr aufzuhalten, im Viehwaggon gings über Eger, Waldsassen und Wiesau zu einem Aufenthalt ins mittlerweile umgewidmete KZ Dachau und am 13. Juni 1946 mit dem Zug nach Schrobenhausen. Erstes Quartier war die alte Stadthalle, dann über einige Jahre eine ärmliche Unterkunft in der damaligen Druckerei Rieder; der Vater suchte sich Arbeit in München.

Andere Teile der Verwandtschaft kamen in die russisch verwalteten Bereiche und lebten in der DDR. Auch von Kontakten ins andere Deutschland konnte Eikam Anekdotisches beisteuern. So erlebte er, wie ihm eine Verwandte am Telefon in DDR-Politdeutsch eine beispielhafte Abfuhr erteilte, um ihm kurz darauf persönlich zu erklären: "Du glaubst doch nicht, dass ich dir am Telefon sagen kann, dass wir hier einen Scheißstaat haben!" Die Flucht von DDR-Bürgern im Jahre 1989 über Ungarn und Prag ist noch in Erinnerung.

Wie kann nun Integration gelingen? Helmut Eikam berichtete vom Bemühen der Vertriebenen und Flüchtlinge in Schrobenhausen, wieder Arbeit zu finden. Einige nahmen ihr altes Gewerbe wieder auf und gründeten kleine Geschäfte. Der nächste Schritt führte in die Verbandsarbeit der Sudetendeutschen und Böhmerwäldler und bald in die Kommunalpolitik. Die Stadt, die vor dem Krieg um die 5000 Einwohner hatte, musste fast ebenso viele Neubürger verkraften; mit Plattensiedlung, Neue Heimat und Riederwaldsiedlung entstanden neue Wohngebiete.

Der Zusammenbruch des Ostblocks führte in den 1990er Jahren zu den Kriegen auf dem Balkan und erneut zu Flucht und Vertreibung. Ganz unmittelbar wurde die Bundesrepublik zuletzt mit Flüchtlingen aus Syrien und Afghanistan konfrontiert. Hier kommentierte Eikam die aktuelle Flüchtlingspolitik und verwies auf die Eingliederung der Vertrieben und Flüchtlinge nach dem Krieg: "Die beste Hilfe zur Integration war damals Arbeit. Ich frage mich, ob es sinnvoll ist, die Flüchtlinge heute in Lagern festzuhalten, anstatt ihnen die Möglichkeit einer geregelten Arbeit oder Ausbildung zu geben."