Schrobenhausen
Agent 00Pokorny: In geheimer Mission bei Olympia

10.02.2017 | Stand 02.12.2020, 18:40 Uhr

Ein Schrank voller Trophäen: Tanzlehrer und Ex-Profitrampolinturner Stephan Pokorny hat in seiner Sportlerkarriere eine Reihe an Preisen eingeheimst (Bild oben). Mit seinem sportlichen Ehrgeiz schaffte er es gar bis zu Weltmeisterschaften im Trampolinsport. - Fotos: Leurs/privat

Wer Stephan Pokorny kennt, weiß, dass er ein engagierter Tanzlehrer ist. Was nicht viele wissen: Der Sattelberger war früher auch ein erfolgreicher Trampolinturner und hat es sogar bis zu den Olympischen Spielen in Athen geschafft - in geheimer Mission.

August 2004. Athen. Es sind über 30 Grad im Schatten. Die Sonne knallt erbarmungslos herunter. Stephan Pokorny hat eine lange Fahrt hinter sich. Mit dem Auto fuhr er von Deutschland bis in Griechenlands Hauptstadt. Sein Ziel: Er möchte sich dort die Trampolinturner bei den Olympischen Spielen ansehen, die in Marousi, einem Vorort im Nordwesten Athens, um die begehrten Medaillen ringen. Aber nicht als gewöhnlicher Besucher. Er hat einen besonderen Auftrag. Die Karten für die Veranstaltungen hat er sich in Athen gekauft. In der Olympic Indoor Hall findet der Wettbewerb im Trampolinturnen statt. Pokorny nimmt in den hinteren Reihen Platz. Von dort hat er einen Überblick über die gesamte Halle. Neben ihm sind weitere 6000 Besucher auf den Zuschauerrängen. Das ist gut, denn dann fällt er nicht so auf.

Genau beobachtet er die Trampolinturner, wie sie sich aufwärmen. Um 12.45 Uhr beginnen die Übungssprünge der Turner. Für Deutschland tritt die gebürtige Georgierin Anna Dogonadze an. Von der Zuschauertribüne soll er ihr helfen, die Goldmedaille zu erreichen.

Stephan Pokorny begeisterte sich schon als Kind für das Turnen. Eine Passion, die ihm eine Vielzahl an Preisen eingebracht hat. Angefangen mit dem ersten Platz beim Deutschen Turnfest in Hannover 1978, über mehrere deutsche Jugendmeistertitel und diverse Weltcups schaffte er es Mitte der 80er-Jahre zu f Europa- und Weltmeisterschaften, wie etwa 1984 in Osaka, 1986 in Paris (elfter Platz) und 1988 im amerikanischen Birmingham.

Dort endete dann abrupt seine Trampolinkarriere. "Ich kann mich noch genau erinnern", sagt Pokorny, "es war der 13. Mai 1988, an einem Freitag." Ein dreifacher Bänderriss bei der Kürübung zwang ihn zum Abbruch aller Showauftritte. Auch an eine Karriere als Trainer der amerikanischen Nationalmannschaft, die er nur wenige Monate später antreten sollte, war nicht mehr zu denken. Deshalb begann er ein Studium: erst an der LMU München Romanistik und Kommunikationswissenschaften, in Eichstätt schloss er dann an der dortigen Universität 1995 ein Psychologiestudium mit Diplom ab. Neben dem Studium tanzte er regelmäßig, übernahm die Tanzkurse in der vhs Pfaffenhofen. Später kamen noch Schrobenhausen und Aichach sowie Friedberg und Dachau dazu.

Ganz den Kontakt zum Trampolinsport verlor er allerdings nie. So ist er etwa bis heute eng befreundet mit Anna Dogonadze. Bis 1997 turnte sie für die russische Nationalmannschaft. Im selben Jahr beschloss das Internationale Olympische Komitee in der Schweiz, Trampolinturnen als olympische Disziplin aufzunehmen.

Ein Jahr später zog Anna Dogonadze der Liebe wegen nach Deutschland und trat nach der Einbürgerung in die Bundesrepublik Deutschland für die deutsche Nationalmannschaft an. Bei den Olympischen Spielen 2000 in Sydney erreichte sie den achten Platz. Und vier Jahre später bei den Spielen in Athen standen die Chancen sehr gut für die Goldmedaille.

"Die Olympischen Spiele sind immer ein Politikum", sagt Stephan Pokorny. Deshalb sei in Deutschland nicht etwa das Gesundheitsministerium für solch große Sportereignisse zuständig, sondern das Innenministerium. Otto Schily war damals Innenminister und gleichzeitig Sportminister. Und in seiner Funktion als Sportminister war es ihm auch ein Anliegen, die kleineren, unbekannteren Sportarten zu fördern. Die erst vor Kurzem olympisch gewordene Disziplin Trampolinturnen mit der Chance auf die Goldmedaille durch die Weltklasseturnerin und amtierende Weltmeisterin Anna Dogonadze ließ ihn aufhorchen. Um ihre Chancen auf den Sieg zu erhöhen, kam Stephan Pokorny ins Spiel.

"Bevor die eigentlichen Sprünge in der Kürübung kommen, die dann auch bewertet werden, können die Sportler sich einturnen", erklärt Pokorny. Und das sei dann fast schon eine Art psychologische Kriegsführung. Denn beim Einturnen werden die Turner natürlich beobachtet. Und das wissen sie auch. Deshalb versuchen sie, durch Tricks ihr eigentliches Können zu verschleiern. Um diese Tricks besser zu durchschauen, bereitete Pokorny sich schon im Voraus auf die Veranstaltung vor. Er sah sich Videos der verschiedenen Sportler an, um ihr Können besser einschätzen zu können. "Ich würde das Understatement und Overstatement nennen", erklärt der studierte Psychologe. Die Russen und Ukrainer neigen dazu, bei ihren Probesprüngen weniger zu zeigen, als sie eigentlich können, um die anderen Kontrahenten in falsche Sicherheit zu wiegen. Die chinesischen Turner hingegen vollführen in der Probe eine besonders komplizierte Folge an Sprüngen, um die Kontrahenten zu animieren, riskanter zu springen. Denn je schwieriger die Sprungfolge wird, desto höher die Wahrscheinlichkeit, bei dem vier mal zwei Meter großen Sprungtuch zu weit nach vorne oder hinten zu springen - und dann riskiert man, auf dem blauen Rand aufzutreten. Wenn das passiert, ist man raus.

Doch wie soll der deutsche Nationaltrainer Michael Kuhn, der beim Einturnen unten in der Halle steht, all die anderen Trampolinturner gleichzeitig auf mehreren Trampolinen im Blick behalten? Dafür braucht es jemanden, der von der Tribüne die ganze Halle überblicken kann. Jemand, der selbst Ahnung vom Trampolinturnen hat und am besten noch psychologisch geschult ist - jemand wie Stephan Pokorny.

So kam im November 2003 eine Bitte des Sportausschusses des Nationalen Olympischen Komitees, ob er nicht als technischer Berater an den Spielen in Athen teilnehmen könne. Das Angebot schlug er nicht aus. Mit seinem Privatwagen machte er sich von München nach Athen auf. Ein Flugzeug wäre zu riskant gewesen. "Mein Name war damals in der Welt des Trampolinsports sehr bekannt", sagt Pokorny. Wäre sein Name auf einer Passagierliste aufgetaucht, hätte man von seinem Besuch Wind bekommen können.

Bei einem befreundeten Griechen, der in Schrobenhausen lange Jahre beruflich tätig und einer von Pokornys Tanzschülern war, kommt er in Athen privat unter, Übernachtungen im olympischen Dorf wären ebenfalls zu offensichtlich gewesen. Um nicht aufzufallen, färbt er sich sogar seine Haare blond und geht mit dicker Sonnenbrille ins Stadion. "Die Tickets habe ich mir dann dort gekauft und bin auch nur zu den drei Tagen in die Halle gegangen", erinnert sich Pokorny.

In den hinteren Reihen beobachtet er das Geschehen. Das Einturnen dauert etwa eine Stunde. "Die besondere Schwierigkeit beim Trampolinturnen ist, dass man zehn verschiedene Sprünge hintereinander vollführen muss", erklärt der Profi. Fünf der zehn Sprünge müssen erst unmittelbar vor dem Wettkampf bekannt gegeben werden. Das gibt den Turnern die Möglichkeit, ihr wahres Können bis kurz vor der Veranstaltung nicht vollends preiszugeben.

Immer wieder greift Pokorny während des Einturnens zum Handy und ruft den Trainer Michael Kuhn an. Um 13.45 Uhr ist das Aufwärmen dann vorbei. Nach 25 Minuten, um 14.10 Uhr, beginnt der offizielle Part. "Da glühten die Drähte heiß", erinnert sich Pokorny. Letzte Informationen werden ausgetauscht. Welche Sportler haben übertrieben, welche zeigten ihr wahres Können? Dann wird es ernst.

Fünf Jurymitglieder bewerten die Sprünge, ein weiterer bewertet die Höhe, ein weiterer die Schwierigkeit. Anna Dogonadzes großer Auftritt ist jetzt gekommen. Sie muss hochkonzentriert sein, die Konkurrenz ist groß. Deshalb erhöht sie den Schwierigkeitsgrad noch mal von 14,2 auf 14,6. Auch hat sie sich erst vor wenigen Tagen beim Üben eine Fußverletzung zugezogen. Jetzt darf nichts schiefgehen. Doch es gelingt ihr souverän, alle zehn Sprünge ohne Fehler zu meistern. Mit einer Wertung von 39,6 Punkten erkämpft sie in Athen die Goldmedaille.

Am darauffolgenden Tag wird im Olympiadorf sowie im Deutschen Haus ausgiebig gefeiert. Auch Stephan Pokorny ist mit dabei. Ein paar Tage später fährt er wieder zurück nach München. Mit dem Gefühl, ein Stück zum Sieg von Anna Dogonadze beigetragen zu haben.