Lampertshofen
Kinderkrankheiten und was Kirchenbücher über sie verraten

Die Familienforscher des Schrobenhausener Landes hörten einen Vortrag über heute kaum noch bekannte Todesursachen

07.07.2015 | Stand 02.12.2020, 21:06 Uhr

Einen hochinteressanten Vortrag über Kindersterblichkeit und ihre Ursachen hielt Kinderkrankenschwester Sabine Scheller vor den Familienforschern des Schrobenhausener Landes. - Foto: Hammerl

Lampertshofen (SZ) Die Kirchenbücher stecken voller rätselhafter Todesursachen. Gichter, Fraisen, Friesel, Arbeit, stille Arbeit, das sind nur einige Beispiele.

Was sich dahinter verbirgt, erläuterte Kinderkrankenschwester Sabine Scheller den Familienforschern aus dem Schrobenhausener Land. Die trafen sich zum Stammtisch in Lampertshofen, um Näheres über die traurige, aber zum Alltag vergangener Jahrhunderte gehörende hohe Kindersterblichkeit zu hören. Die Zahlen heute liegen bedeutend niedriger, doch auch heute noch sterben deutschlandweit 2250 Säuglinge jedes Jahr, wie Scheller anhand der Statistik des Statistischen Bundesamtes von 2013 darstellte. Steißgeburten, Frühgeburten oder Geburtsstillstand waren früher häufige Todesursachen. Zu den angeborenen Risiken gehören unter anderem Chromosomenfehler, Missbildungen, Stoffwechselstörungen und Rhesusfaktorunverträglichkeiten. Für Letztere hat die Referentin ein Beispiel aus der eigenen Familie mitgebracht. Ihr Großvater hatte nur zwei überlebende Geschwister, vier jüngere starben alle innerhalb des ersten Lebensjahres. Zwei der sechs Töchter ihres Großvaters waren rhesusnegativ, woraus Scheller zurückschloss auf die Ursache der auch für damalige Verhältnisse hohen Sterblichkeit der Geschwister.

Heute erhalten rhesusnegative Mütter nach der Geburt eines rhesuspositiven Kindes ein Medikament gespritzt, das die Immunreaktion verhindert, damit die Blutkörperchen späterer Geschwister nicht bereits im Mutterleib zerstört werden. Die Bluterkrankheit, die besonders im häufig untereinander heiratenden europäischen Hochadel verbreitet war, ist ein weiteres klassisches Beispiel. Mit Fraisen oder Gichter wurden Krämpfe bezeichnet, die Todesursache „Arbeit“ beschrieb ein sehr unruhiges Kind, das möglicherweise große Schmerzen hatte, an „stiller Arbeit“ starben schwache, auffällig ruhige Kinder.

Während Infektionskrankheiten ihren Schrecken verloren haben, Mangelernährung und mangelnde Hygiene kaum noch eine Rolle spielen, und Kinderkrankheiten durch Impfungen selten wurden, sind Eltern gegen den plötzlichen Kindstod auch heute noch nicht gefeit, wie die Kinderkrankenschwester aus ihrem Alltag berichtete.

An Scharlach oder Diphterie, dem „bösen Hals“, starben oft gleich mehrere Kinder einer Familie, wie nüchterne Einträge in Kirchenbüchern klar machen. Nicht selten sind vier oder mehr Kinder einer Familie auf einer einzigen Kirchenbuchseite mit insgesamt zehn Einträgen vermerkt. So verlor eine Familie Schürer vier Kinder an „Friesel“ (Scharlach). Das geschah auch noch nach Entdeckung des Penizillins, erzählte die Referentin, denn das Medikament war anfangs noch Mangelware. Jede Familie erhielt nur genügend Arznei für ein Kind. So kam es vor, dass das zuerst erkrankte überlebte, weil es behandelt wurde, alle weiteren ansteckten, starben.

Ein Epitaph aus Ehingen, das älteste steinerne Dokument der Pfarrei, berichtet vom Tode der Anna Margaretha Mährle, einer Nachzüglerin, die zeitgleich mit fünf Kindern ihres Bruders verstarb. „Das ist ein einzigartiges Dokument, denn es widerlegt, dass nur hochgestellte Persönlichkeiten Epitaphe erhielten“, ergänzte Manfred Wegele, Vorsitzender des Bayerischen Landesvereins für Familienkunde.

Nebenbei erfuhren die Familienforscher, was sich hinter dem Beruf des Wasenmeisters verbirgt, denn Schellers Vorfahren waren Scharfrichter und Wasenmeister, erzählte sie, somit nicht nur für Hinrichtungen, sondern auch die Tierkörperbeseitigung und Seifenherstellung zuständig. „Scharfrichtersöhne waren lange Zeit nicht zum Medizinstudium zugelassen, weil sie bessere anatomische Kenntnisse als die Professoren hatten“, so die Schriftführerin des Landesvereins. Kein Wunder, dass der Beruf des Baders, des Chirurgen, lange Zeit bei ihnen angesiedelt war.

Wer eigentlich die Todesursachen feststellte, die auf Totenscheinen und in Kirchenbüchern zu finden sind, wollte ein Zuhörer wissen. „Das war ein Zusammenspiel der Gebildeten im Ort“, antwortete Scheller, „Hebammen, Lehrer, Pfarrer, Scharfrichter“. Und natürlich des Arztes, sofern einer vorhanden war, doch die meisten Menschen konnten sich schlicht den Arzt nicht leisten. Nicht immer stimmten Kirchenbucheinträge. So stieß Scheller auf einen Sterbeeintrag vom 6. Februar 1783. Der Junge wäre demnach bereits zehn Monate vor seiner Geburt verstorben, Fakt sei aber, dass er geheiratet hat und zu ihren Vorfahren zählt. Wegele erklärt sich das mit Fehlern des Pfarrers. Häufig sei ihm aufgefallen, dass Einträge sehr gleichmäßig in der Schrift aussehen. Er erklärt das damit, dass Pfarrer ihre Notizen sammelten und erst später in die Kirchenbücher übertrugen. Was allerdings fehleranfällig war.