Jetzendorf
Ein Flieger mit Bodenhaftung

Positive Zwischenbilanz: Sein neuer Job als Jetzendorfer Bürgermeister macht Manfred Betzin einen "Höllenspaß"

31.08.2014 | Stand 02.12.2020, 22:18 Uhr

Für Manfred Betzin ist Jetzendorf ein echter Wohlfühlort. Und spürbar wohl fühlt sich der 39-Jährige auch in seinem neuen Amt als Bürgermeister - Foto: Ermert

Jetzendorf (SZ) Er ist im Tornado über Afghanistan gedonnert. Jetzt sitzt Manfred Betzin nicht mehr im Cockpit, sondern im Bürgermeisterbüro im Jetzendorfer Rathaus. Rund 70 Prozent der Stimmen konnte der CSU-Mann bei der Wahl im März auf sich vereinen.

Mit diesem Vertrauensvorschuss im Rücken trat der zweifache Familienvater die Nachfolge von Richard Schnell (ebenfalls CSU) an, der nach 24-jähriger Amtszeit seinen Abschied nahm. Jetzt, nach vier Monaten im Amt, lässt der 39-Jährige keinen Zweifel aufkommen: Dem Flieger mit Bodenhaftung gefällt sein neuer Job richtig gut.

 

Herr Betzin, Ihr bisheriger und Ihr neuer Beruf unterscheiden sich gravierend. Ist es Ihnen im Rathaus schon arg langweilig?

Manfred Betzin: Nein, gar nicht. Beide Berufe haben eine spezielle Art und Weise, in der man gefordert wird. Der Bürgermeister auf eine andere Art als der Pilot. Aber mir macht es Spaß, einen Höllenspaß. Auch das Tornadofliegen hat Spaß gemacht, aber ich habe mich einfach auf etwas Neues gefreut und es ist prima, dass ich die Chance bekam, eine neue Herausforderung anzugehen.

 

Blick zurück: Haben Sie während Ihrer aktiven Zeit bei der Luftwaffe auch richtig gefährliche Situationen erlebt?

Betzin: Die Fliegerei ist genauso gefährlich, wie wenn Sie jeden Tag auf der Autobahn A 9 nach München fahren – und das ist ja ein g’schmeidiges Risiko.

 

Waren Sie auch in Afghanistan im Einsatz?

Betzin: Ich war mit dem Tornado zweimal in Afghanistan. Da ist für Jetflieger das Risiko, abgeschossen zu werden, relativ gering, weil dort keine Waffensysteme zur Verfügung stehen, die uns bedrohen hätten können. Aber es besteht ein größeres Risiko, falls man notlanden oder aussteigen müsste. Von dem her gesehen, war das schon ein etwas anderes Fliegen. Aber gefährlich, das ist immer relativ. Man macht sich nicht jeden Tag Gedanken darüber. Das macht man in keiner Arbeit, ein Journalist lebt auch gefährlich, wenn er Schmarrn schreibt (lacht).

 

Sie haben Ihre Bundeswehrkarriere sehr jung als Oberstleutnant beendet. Geht das so einfach?

Betzin: 1995 bin ich zur Bundeswehr gekommen, derzeit bin ich in der Freistellungsphase und 2016 scheide ich aus. Dass das möglich ist, kommt noch von den Starfighter-Zeiten her. Da ist mal entschieden worden, dass nur Offiziere Jets fliegen dürfen. Damals gab es etwa 1000 Starfighter und damit fast 3000 Piloten. Die konnte man dann in höheren Führungsverwendungen nicht alle brauchen, weil die Pyramide nach oben hin immer schmaler wird. Man hat also bei den Flugmedizinern nachgefragt, wann so die medizinische Grenze beim Fliegen so beginnt und dann die Regelung mit Berufsoffizieren mit der besonderen Altersgrenze 41 eingeführt.

 

41 als Altersgrenze und auch noch rund drei Jahre früher freigestellt – da kann man sich nicht beschweren, oder?

Betzin: Die Freistellung ist auch vor dem Hintergrund erfolgt, dass unser Geschwader aufgelöst wurde. Bei einer Versetzung wäre ich nach Koblenz oder Schleswig-Holstein gekommen. Da habe ich mich entschieden, mit dem Fliegen aufzuhören, weil ich hier Familie habe, um die ich mich mehr kümmern will. Außerdem wollte ich mich auch daheim, für die Gemeinde, ein bisserl engagieren. Aber sicher kann man da sagen, dass man manchmal halt zum richtigen Zeitpunkt am richtigen Ort ist. Oder man kann von der Gnade der frühen Geburt reden.

 

Bei der Bundeswehr gibt es klare Befehle und gerade ein Jetpilot muss blitzschnell entscheiden. In der Kommunalpolitik wird oft lange diskutiert, bevor endlich Entscheidungen fallen. Wie kommen Sie mit diesem Kontrastprogramm zurecht?

Betzin: Natürlich sind bei der Bundeswehr und in der Fliegerei situationsbedingte schnelle Entscheidungen gefragt. Aber um solche Entscheidungen treffen zu können, braucht es eine Vorbereitungszeit. Wir haben Flüge auch mal 24 oder 48 Stunden lang geplant, um dann in der Lage zu sein, solche Ad-hoc-Entscheidungen zu treffen. Und in gemeindlichen Planungsprozessen läuft es ganz ähnlich, da werden auch Meinungen ausgetauscht und Taktiken diskutiert.

 

Also nerven sie die Debatten im Gemeinderat nicht?

Betzin: Nein, das Gegenteil ist der Fall. Das macht am meisten Spaß, wenn man Herausforderungen angeht und verschiedene Lösungsansätze findet. Grundsätzlich ist jede Idee erst einmal gut. Weil umso mehr Ideen ich habe, umso leichter finde ich die beste. Mir ist es auch relativ egal, aus welcher Richtung die Meinungen oder Ideen kommen. Unsere Verantwortung ist es, die beste Idee zu finden. Bis jetzt hat mir jede Gemeinderatssitzung echt Spaß gemacht. Auch weil wir 50 Prozent Neue im Gemeinderat haben, ist die Beteiligung sehr rege. Die Räte sind sehr engagiert bei der Sache, das läuft einfach prima.

 

Welche Rolle spielt die Parteipolitik im Gemeinderat?

Betzin: Jeder von den Räten sitzt da herin, weil er die Leute vertritt, die ihn gewählt haben – und keine Fraktion. Wir machen vor den Gemeinderatssitzungen nicht groß was aus, es gibt auch keine Fraktionssitzungen. Wir diskutieren die Sachen offen aus und gehen nach jeder Sitzung miteinander zum Brotzeitmachen. Wenn einmal doch was unklar ist, dann redet man das da aus. Seit dem Wahlsonntag hat bei uns keiner mehr den anderen gefragt, worum er jetzt bei dieser oder jener Liste ist.

 

Was war Ihr schönstes Erlebnis in den ersten 100 Tagen?

Betzin: Das allerschönste Erlebnis war, dass ich sehr gute Freunde von mir verheiraten durfte. Das war eine besondere Situation und eine Riesenfreude und Riesengaudi: Erst verheiratet man sehr gute Freunde, auch noch die Tochter vom 2. Bürgermeister, und dann feiert man miteinander die Hochzeit. Das war super.

 

Und negative Erfahrungen?

Betzin: Negativ ist manchmal die bürokratische Unflexibilität, auf die man stoßen kann. Ganz schwer zeigt sich das bei den Kindergärten, wo man unheimlich viele Vorgaben hat, zum Beispiel beim Personalanstellungsschlüssel und wo man eigentlich gar keine Planungsmöglichkeit hat, sein Personal richtig einzuteilen. Wenn man mit einem von der Regierung telefoniert, der da ein wenig mitverantwortlich ist, dann heißt es: „Wir wissen das schon, aber momentan können wir nichts ändern.“ Von so etwas darf man sich nicht zermürben lassen. Das sind Herausforderungen, die dazugehören und die man mitnehmen muss.

 

Ihr Vorgänger Richard Schnell war 24 Jahre im Amt. Kommt er noch öfters ins Rathaus oder besuchen Sie ihn regelmäßig?

Betzin: Weder noch. Ich bin sehr dankbar, dass bei uns eine richtige Übergabe gelaufen ist, wo mir genau geschildert wurde, was anliegt und wie weit wir bei welchen Projekten sind. Wir haben relativ wenig Kontakt, weil sich das Ganze schon gut eingespielt hat. Aber ich weiß genau, dass ich Richard Schnell nur anrufen bräuchte, dann würde er mir ganz sicher helfen.

 

Was ist das größte Problem Jetzendorfs?

Betzin: Es ist sicher nicht unser größtes Problem, aber ein gewisses Risiko liegt darin, dass wir schon abhängig sind von der Lowa, unserem größten Arbeitgeber. Da schaut es 2014 nach Rekordjahr aus, was mich sehr freut. Aber es war auch mal anders. Umgangssprachlich gesagt: Wenn Lowa hustet, könnte es sein, dass die Gemeinde bald Lungenentzündung bekommt. Da gibt es momentan kein Problem, aber das muss man immer im Blick haben muss.

 

Braucht die Gemeinde also ein zweites großes Standbein?

Betzin: Großes Gewerbe kommt für uns nicht infrage. Das passt nicht her, da täten wir uns selber weh. Wir wollen so viel Flächen bieten, dass unsere Betriebe Erweiterungsmöglichkeiten haben und immer wieder mal ein oder zwei neue kommen können. Und da überlegen wir uns schon, wo uns noch was fehlt, und achten darauf, dass bestehende Betriebe nicht durch Neuansiedlungen geschädigt werden.

 

Jetzendorf hat etwa 3000 Einwohner, wie viele sollen es denn in zehn Jahren sein?

Betzin: Wenn man die Zehn-Prozent-Regel nimmt, die als verträglich erachtet wird, dann vielleicht 3200 oder 3300. Recht viel mehr soll es nicht sein, das wäre zu schnelles Wachstum. Wenn wir großflächig Bauland ausweisen würden, wäre der Zuzug wegen unserer attraktiven Lage sicher relativ stark. Das wollen wir aber nicht, weil wir eine gewachsene Gemeinde mit einer Superstruktur sind, mit einem lebendigen Ortsleben, 27 aktiven Vereinen und viel Zusammengehörigkeitsgefühl – das würden wir bei zu starkem Zuzug gefährden.

 

Also eine Boomtown soll Jetzendorf nicht werden?

Betzin: Eine Boomtown sind wir schon, weil jeder gerne zu uns kommen würde. Das langt mir schon, weil unsere Ortschaft offensichtlich für Andere auch so attraktiv ist, wie wir sie finden. Aber wir müssen nicht jedem ermöglichen, zu uns zu ziehen, sonst sind wir nicht mehr lange so attraktiv, weil wir uns dann die Infrastruktur nicht mehr leisten können.

 

Das Interview führte Robert Schmidl.