Hörzhausen
Von Barrierefreiheit keine Spur

Richard Scherer braucht dringend eine behindertengerechte Sozialwohnung, aber die gibt es kaum

23.08.2017 | Stand 02.12.2020, 17:36 Uhr
Kaum ein Durchkommen: Der Türrahmen ist zu eng, als dass Richard Scherer ohne Hilfe von seinem kleinen Wohnzimmer in den Flur seiner Wohnung kommt. Bei der Suche nach einer neuen Bleibe helfen Petra Hoffmann (hinten l.) von den Offenen Hilfen und Valeska Salzenbrodt (hinten r.) von der Caritas. −Foto: Spindler

Hörzhausen (SZ) Wohnungen sind Mangelware in Schrobenhausen, ganz besonders, wenn eine barrierefreie und behindertengerechte, aber bezahlbare Bleibe gesucht wird. Die Caritas und der Verein Offene Hilfen versuchen seit langem, einem Paar in Hörzhausen zu helfen – bislang vergeblich.

Seit elf Jahren wohnen Richard und Claudia Scherer mittlerweile in einem kleinen Häuschen in Hörzhausen. Der Vermieter hat schon vor einigen Jahren anklingen lassen, so Claudia Scherer, dass sich das Paar doch bei Gelegenheit eine neue Wohnung suchen sollte. Doch alle Versuche der beiden, eine neue Wohnung zu finden, sind bislang fehlgeschlagen.

Das Schicksal hat es mit Richard Scherer in den vergangene Jahrzehnten auch nicht gut gemeint. Der heute 52-Jährige sitzt im Rollstuhl. Er trägt es mit Fassung: „Ich habe kein Hüftgelenk mehr“, sagt er und es klingt ganz locker. Doch so locker ist das alles nicht. 1987 erlitt der Arbeiter, der in Diensten eines Zeltverleihs stand, einen Betriebsunfall. Er bekam ein neues Hüftgelenk. Doch alles entzündete sich, erzählt Scherer. Wieder standen Operationen auf der Tagesordnung. Selbst ein einjähriger Aufenthalt in einer Spezialklinik in Murnau änderte nichts mehr an dem Los, das Scherer erwartete: „Jetzt bekomme ich kein Hüftgelenk mehr hinein.“

„Viele Träger mieten Wohnungen an und vermieten sie dann an Betroffene unter. Das führt das System ad absurdum.“

Petra Hoffmann, Verein Offene Hilfen

 

Damals wohnte der gebürtige Schrobenhausener noch auf der Platte, zog von dort weg nach Hörzhausen. Viele Jahre lebte er in der Nachbarschaft des alten Schulhauses. Vor elf Jahren suchte er sich die nächste neue Bleibe – wieder in Hörzhausen.

Seit drei Jahren kümmert sich Stefanie Bucher-Joppich von der Caritas in Schrobenhausen um die Scherers, versucht – inzwischen zusammen mit ihrer neuen Kollegin von der Wohnungslosenhilfe, Valeska Salzenbrodt, – ihnen ein neues Zuhause zu suchen. Keine leichte Aufgabe.

Es fehle an bezahlbarem Wohnraum für Menschen mit kleinen Einkommen und Renten, sagt Buchner-Joppich. Und barrierefreie oder behindertengerechte Wohnungen gebe es kaum für Menschen, die über geringe Finanzen verfügten.

Das bestätigt auch Petra Hoffmann vom Verein Offene Hilfen Neuburg-Schrobenhausen. Es stehe wenig barrierefreier Wohnraum zur Verfügung. Und das, was es auf dem Wohnungsmarkt gebe, sei einfach zu teuer. Das macht sich auch bei den Scherers bemerkbar. Sie verfügen gemeinsam über ein knapp 1100 Euro hohe Rente. Eine marktübliche Miete für eine behindertengerechte Wohnung, wie sie im ehemaligen Schupik-Anwesen zu bekommen wäre, ist für sie unerschwinglich.

Hoffmann sind aus ihrer täglichen Arbeit ungezählte Fälle von Menschen mit Behinderungen bekannt, die in Wohnheimen untergebracht sind, obwohl sie lieber in einer eigenen Wohnung leben wollten und auch könnten. Immer wieder gebe es Fälle, in denen mehrere behinderte Menschen gegen ihren Willen in Wohngemeinschaften zusammenleben müssten. Salzenbrodt hat in ihrem Berufsalltag auch wiederholt mit Vermietern zu tun, die entsprechende Wohnungen lieber erst gut verdienenden Menschen anböten.

Insgesamt hat Salzenbrodt bei der Schrobenhausener Wohnungslosenhilfe der Caritas derzeit 47 Fälle alleine in diesem Jahr zu bearbeiten, die alle dringend bezahlbare Wohnungen suchen, aber nichts finden. Rund 100 sogenannte Sozialwohnungen fehlten alleine in Schrobenhausen, schätzt Petra Hoffmann „vorsichtig“, wie sie sagt. In dem Zusammenhang erinnert Buchner-Joppich daran, dass in der Nachbarstadt Pfaffenhofen angekündigt wurde, dort 300 Sozialwohnungen bauen zu wollen.

Im Landratsamt Neuburg-Schrobenhausen liegen keine Daten darüber vor, wie viele Gebäude barrierefrei oder behindertengerecht errichtet wurden. Zwar, so stellvertretende Pressesprecherin Katharina Huber, würden bei Bauanträgen auch immer Statistikbögen abgefordert, die auch Auskunft über Barrierefreiheit oder behindertengerechte Planung geben würden, aber ausgewertet würden die Datenblätter nach den beiden Kriterien im Landratsamt nicht. Vielmehr setzt das Kreisbauamt in Neuburg darauf, dass sich die Bauherrn an den Artikel 48 der Bayerischen Bauverordnung halten, in dem zumindest für öffentliche Bauten Barrierefreiheit festgeschrieben ist.

Buchner-Joppich, Hoffmann und Salzenbrodt sehen die Politik in der Verantwortung, dass in Schrobenhausen und im Landkreis Sozialwohnungen geschaffen werden. „Viele Träger“, so Hoffmann aus Erfahrung, „mieten Wohnungen an und vermieten sie dann an Betroffene unter.“ Das könne aber auf Dauer nicht funktionieren, ist sich Hoffmann sicher: „Das führt das System ad absurdum.“ Schließlich sollten Caritas und Offene Hilfen Wohnungsuchende und Vermieter lediglich beraten, aber nicht selber als Quasi-Vermieter auftreten.

Welche Lösung sich für Claudia und Richard Scherer irgendwann abzeichnet, ist derzeit noch vollkommen ungewiss. Fest steht lediglich, dass Richard Scherer alleine nur schwer in das Badezimmer in Hörzhausen kommt – dafür muss er einige Stufen überwinden. Und für den schwergewichtigen Mann ist der Einstieg in die Badewanne unmöglich. Scherer größter Wunsch: „Ich würde gerne mal wieder duschen.“ Doch darauf wird er wohl warten müssen, bis eine neue Wohnung für ihn und seine Frau erreichbar ist. Dabei, so Hoffmann, würde die Berufsgenossenschaft den behindertengerechten Umbau eines Badezimmers bezahlen. Auch Claudia Scherer möchte schnell nach Schrobenhausen umziehen: „Am liebsten noch heute.“