Gerolsbach
Wenn der Großonkel berühmt ist

SZ-BESUCH bei Michael Hollaender aus Gerolsbach, der Nachfahre des Komponisten ist

27.01.2017 | Stand 02.12.2020, 18:44 Uhr

Foto: DK

Gerolsbach (SZ) Michael Hollaender hat eine Berühmtheit unter seinen Vorfahren: den Musiker und Tonfilmkomponisten Friedrich Hollaender. Bei unserem Besuch erzählt Hollaender von seiner Familiengeschichte, der Musik und auch über Antisemitismus.

Betritt man die Arbeitsräume von Michael Hollaender in Gerolsbach, fallen die sorgfältig drapierten Bilder und Fotografien an der großen Wand neben der Treppe sofort auf. Sie sind so gehängt, dass sie wie ein Stammbaum aussehen. Und tatsächlich: "An dieser Wand hängen drei bis vier Generationen der Familie Hollaender", erklärt er. Wie viele andere Menschen auch interessiert er sich sehr für seine Familiengeschichte.

Der 65-Jährige ist nämlich ein Nachfahre des berühmten Friedrich Hollaender. Der 1896 Geborene ist heute vor allem durch den Film "Der blaue Engel" bekannt, für den er die Musik schrieb und dessen Lieder schließlich sogar Marlene Dietrich groß rausbrachten. Insgesamt hat er zu seinen Lebzeiten die Musik zu über 100 Filmen komponiert und wurde dafür sogar viermal für den Oscar nominiert.

Wie genau Michael Hollaender mit dieser Berühmtheit verwandt ist, ist ein wenig kompliziert. Dafür sollte man etwas früher bei seiner Ahnenforschung beginnen, nämlich bei seinem Ururgroßvater Benjamin Rachel. "Mein Ururopa hat den Namen Rachel schließlich irgendwann aufgegeben und als Familiennamen Hollaender gewählt", erzählt Michael Hollaender. "Warum weiß keiner so ganz genau." Die Genehmigung wurde letztendlich damals, im Jahr 1837, vom preußischen König erteilt und die Familie konnte sich von da an Hollaender nennen.

"Meine Familie ist ja eigentlich jüdischer Abstammung", sagt Hollaender. "Mein Großvater ist dann aber zum protestantischen Glauben konvertiert, weil er eine Protestantin geheiratet hatte. Das sah man damals nicht so gern - da wollte dann der jüdische Zweig der Familie eigentlich nicht mehr viel von uns wissen." Trotz dieses Zerwürfnisses sind Michael und Friedrich Hollaender miteinander verwandt, wenn auch um ein paar Ecken. "Ich sage jetzt mal ganz vorsichtig, dass mein Ururgroßvater und sein Großvater Brüder waren", erklärt Hollaender. "Ich bin also sozusagen sowas wie sein Großneffe."

Und als sein Großneffe ist Michael Hollaender natürlich bestens über Friedrichs Leben informiert. Er ist der Sohn eines aus Berlin stammenden Victor Hollaenders, der seinerzeit ebenfalls bekannt war, genauso wie dessen Brüder. "Friedrichs Vater war ebenfalls Komponist", sagt Hollaender. "Und Friedrichs zwei Onkel waren ebenfalls sehr künstlerisch veranlagt. Felix war ein bekannter Schriftsteller und Gustav war ein Dirigent im Stern'schen Konservatorium in Berlin - dieser Zweig der Familie war sehr musisch."

Aufgrund seiner jüdischen Abstammung musste Friedrich Hollaender 1933 Deutschland, wo er bereits zu einer bekannten Persönlichkeit aufgestiegen war, verlassen. So kam es, dass er schließlich in den USA gelandet ist. "Er ist dann nach Hollywood und hat dort weiter Filmmusik geschrieben." Nach dem Krieg kam er in den 50er-Jahren dann wieder nach Deutschland, wo er bis zu seinem Tod 1976 in München lebte. "Dort gibt es auch eine Gedenktafel von ihm", erzählt Hollaender. "Und sogar einen Friedrich-Hollaender-Platz, zu dessen Eröffnung ich damals sogar eingeladen wurde."

Dass Michael Hollaender heute so gut über seine Familiengeschichte Bescheid weiß, ist seiner eigenen Recherche zu verdanken. "Mein Vater hat darüber ewig nicht gesprochen", sagt er. "Wahrscheinlich, weil wir eben von diesem Teil der Familie so viel Ablehnung erfahren haben, wegen dieser Heirat meines Opas." Mit Anfang 20 hat Michael Hollaender dann erst angefangen, sich selbst intensiv mit seiner Familiengeschichte zu beschäftigen. Durch andere Verwandte, unter anderem aus Holland, kam er schließlich zu den alten Urkunden und Familienfotos und erfuhr von der Verwandtschaft zum berühmten Friedrich.

Persönlich kennengelernt hat er seinen Großonkel allerdings nie. "Mein Vater und ich haben damals versucht, mit ihm in Kontakt zu treten", erinnert er sich. "Aber sein Zweig der Familie hat das komplett abgelehnt." Trotz der schwierigen Familienverhältnisse ist Michael Hollaender sehr stolz auf seinen Namen, jedoch ist er auch vorsichtig, wenn es gerade um seine Abstammung geht.

"Ich rede mit meiner Frau und mit Freunden über meine Familiengeschichte", erzählt er. "Aber bei anderen bin ich vorsichtig - ich binde das nicht jedem Fremden auf die Nase." Ein Grund dafür sei der Antisemitismus, dem Hollaender selbst in der heutigen Zeit immer noch ab und zu begegnet - und der vor allem in seiner Jugend allgegenwärtig war. "Dieser Judenhass ist ja im Grunde schon alt", sagt er. "Den gab es ja schon vor dem Krieg. Aber selbst nach dem Krieg war es noch schlimm. Wir hatten in der Schule teilweise ja noch alte Nazis als Lehrer. Da wurde ich dann schon hin und wieder als ,alter Jude' bezeichnet. Da wird man einfach etwas vorsichtig." Unter den Teppich kehren will er das Erlebte allerdings auch nicht und der Stolz auf seine Familie überwiegt ohnehin. Und so versucht er auch weiterhin, noch mehr über die Generationen vor ihm zu erfahren. Dazu gehören auch einige Habseligkeiten, die er im Laufe der Jahre aufgetrieben hat. "An der Wand hängt zum Beispiel die Urkunde, die die Namensänderung meines Ururgroßvaters von Rachel zu Hollaender bescheinigt." Auch einige Musikaufnahmen von Friedrich Hollaender hat er in seinem Besitz. "Obwohl ich durch und durch Techniker bin, interessiere ich mich auch für Musik", sagt Hollaender. "Ich habe eine alte Aufnahme von Friedrich, auf der er selbst singt. Die ist sehr selten."

In den vergangenen Jahrzehnten ist also so einiges an Geschichte bei ihm angekommen, aber das ist Michael Hollaender noch nicht genug. "Ich würde gerne mal einen ausführlichen Stammbaum erstellen, der weit zurückreicht", sagt er. "Aber das ist sehr schwierig."

Aber vielleicht wird es Michael Hollaender ja doch irgendwann möglich sein, noch weiter in seiner Familiengeschichte zurück zu forschen. Und wer weiß - vielleicht kann er dann noch eine Berühmtheit unter seinen Verwandten zählen