Die
LEIPA in Schwedt

27.11.2014 | Stand 02.12.2020, 21:56 Uhr

Die Frage bewegt immer noch, vor allem in den neuen Bundesländern: Wie verlief zu Zeiten der deutschen Wiedervereinigung das Engagement von Unternehmern aus der alten Bundesrepublik im Gebiet der zusammengebrochenen DDR? Und was geschah mit den betroffenen Menschen? Aus Schrobenhausen gingen damals mehrfach Signale der Aufbauhilfe in Richtung Osten – auch von Hubert Schrödinger, Inhaber der traditionsreichen Papierfabrik Leinfelder.

Im Jahre 1992 übernahm Hubert Schrödinger (kl. Foto) die Papierfabrik Schwedt an der Oder, und er hielt mit seinem Engagement einen Betrieb am Leben, der in der Wirtschaftsgeschichte der DDR seine Bedeutung hatte. Im industriellen Aufbauprogramm der jungen DDR spielte Schwedt eine große Rolle. Während weiter südlich der Standort Eisenhüttenstadt gegründet wurde – der Name war Programm –, wurde für das bei Kriegsende fast völlig zerstörte Schwedt beschlossen, zwei große Projekte aufzubauen, das Erdöl verarbeitende Petrochemische Kombinat PCK Schwedt und den Volkseigenen Betrieb VEB Papierfabrik Schwedt. Der Bau der Papierfabrik wurde auf dem SED-Parteitag 1957 beschlossen, im Sommer 1959 erfolgte die Grundsteinlegung, ab Herbst 1961 wurde produziert. Karton, Zeitungsdruckpapier, Verpackungspapiere und Tapeten waren die Produkte.

Nach der Wende von 1989 stand die Existenz der Papierfabrik auf der Kippe. Als 1992 Schrödingers Bereitschaft im Raum stand, den Betrieb zu übernehmen, kam auch der Name Edgar Most ins Spiel. Most war 1962 als junger Bankfachmann nach Schwedt delegiert worden und hatte den Aufbau der beiden Großprojekte begleitet. Später machte er weiter Karriere und war in der Endphase des Sozialismus Vizepräsident der Staatsbank der DDR, also zu Zeiten, da die Währungsunion verhandelt wurde.

Unter dem Titel „Fünfzig Jahre im Auftrag des Kapitals“ hat Edgar Most im Jahre 2009 seine Memoiren veröffentlicht. In diesem Buch kritisiert er eine ganze Reihe Maßnahmen, die bei der Zusammenführung zweier nicht kompatibler Wirtschaftssysteme gemacht wurden, vor allem die Form der unter Kanzler Kohl beschlossenen Währungsunion. Dass diese Entscheidungen nicht von Wirtschaftsexperten, sondern von Politikern verhandelt wurde, hält Most auch nach vielen Jahren noch für falsch. Auch wie die Besetzung von Positionen durch die eine oder andere Person sich unterschiedlich auswirkt, macht er klar. So habe sich die Treuhandanstalt in Berlin – nach dem Mord an ihrem ersten Leiter Detlev Karsten Rohwedder – unter der Nachfolgerin Birgit Breuel zu Ungunsten der DDR-Betriebe verändert.

Im Register von Mosts Buch ist auch der Name Hubert Schrödinger aufgeführt. In einer Passage, die erst missglückte Privatisierungen auflistet, kommt er zur Papierfabrik Schwedt: „Dass es anders ging, beweisen geglückte Privatisierungen. An einer von ihnen – ebenfalls in Schwedt – war ich unmittelbar beteiligt. Als die Treuhand die Papierfabrik im Zuge der Privatisierung schließen wollte, stand ich bei Frau Breuel auf der Matte: `Sie wollen ja wohl nicht die größte Papierfabrik der DDR dichtmachen´ – `Wenn Sie jemanden finden, der die nötigen 600 Millionen investieren will, dann bitte!´ lautete ihre Antwort. Wir brauchten einen Investor. Ein Mann aus Bayern hatte sich bei der Treuhand um die Papierfabrik beworben, von der Treuhand jedoch noch keine Unterstützung erhalten. Hubert Schrödinger, ein uriger Bayer, führte in Schrobenhausen in fünfter Generation eine Papierfabrik. Als ich ihn besuchte, führte er mich erst einmal durch sein Werk. Mit seinen sechzig Jahren eilte er mir voran durch seine Hallen, dass ich kaum hinterher kam. Angesichts dieses Elans war mir sofort klar: Der ist der Richtige! Um die Übernahme der Papierfabrik durch den bayerischen Familienunternehmer zu ermöglichen, organisierte ich ein Bankenkonsortium von acht Banken, die 200 Millionen DM stemmten und damit die Voraussetzungen für die Privatisierung schufen. Seit meiner ersten Begegnung mit dem Bayern war mit klar, dass ich es hier mit einem Unternehmer zu tun habe, der etwas bewegen kann und will . . .“

Hubert Schrödinger erklärte damals seine Haltung, warum er an jedem Arbeitstag als einer der ersten im Büro in Schwedt antrete: „Unser Projekt steht mitten in der Ost-West-Diskussion nach der Wiedervereinigung. Da muss man den Mitarbeitern zeigen, dass man voll da ist, aufbauen will und so auch die Arbeitsplätze sicherer macht. Und dass es nicht darum geht, abzusahnen oder Kasse zu machen . . .“

Unter Marktanforderungen, wie sie die sozialistischen Systeme bislang nicht kannten, aber mit einer hoch qualifizierten Belegschaft begann in der Papierfabrik ein großes Umbauprogramm. An den Maschinen wurden Modernisierungen vorgenommen, das Produktprogramm wurde gestrafft, in den folgenden Jahren wurden neue Produkte entwickelt. An die 700 Mitarbeiter hat Leipa heute in Schwedt. Und Edgar Most gehört nach wie vor dem Aufsichtsrat der Leipa Georg Leinfelder GmbH an.

Ein Signal der Anerkennung für die Qualität der Produkte aus Schwedt war 1996 der Umweltpreis für das erste vollwertige Offset-Magazinpapier aus hundert Prozent Altpapier. Die Urkunde übergab die Umweltministerin im Kabinett Kohl – Angela Merkel. Die Technologie für dieses hochwertige Recycling-Magazinpapier, das auf der PM 1 entwickelt wurde, konnte auf einer komplett neuen und größeren Anlage fortgeführt werden, auf der PM 4, die im Sommer 2004 in Betrieb ging. Insgesamt wurden in Schwedt seit der Übernahme mehr als 700 Millionen Euro investiert.

Die Leipa Gruppe wurde in den letzten 25 Jahren weiter ausgebaut. 1998 wurde das Unternehmen Leipa Logistik gegründet. Außerdem ging das „Ost-Engagement“ über Schwedt hinaus. So wurde für die großen Anlagen auch die Rohstoff-Beschaffung regional ausgeweitet, in Polen und bis aus den baltischen Ländern wird seither Altpapier aufgekauft.