Aresing
Der Trauer ihren Platz im Leben geben

Petra Pfisterer vom Hospizverein half Maria Irchenhauser, den frühen Tod ihres Mannes zu verarbeiten

23.06.2017 | Stand 02.12.2020, 17:53 Uhr

Sie sind Freundinnen geworden: Petra Pfisterer (47, l.) ist Trauerbegleiterin und unterstützt Maria Irchenhauser (39) seit nunmehr fast einem Jahr. - Foto: Hammerl

Aresing (SZ) Sie gehen miteinander spazieren, genießen es, die Natur zu erleben, tauschen sich aus bei einer Tasse Kaffee, lachen und weinen zusammen, schreiben sich Kurznachrichten oder telefonieren. Was sich nach einer ganz normalen Freundschaft anhört, hat der Hospizverein Neuburg-Schrobenhausen angebahnt.

Petra Pfisterer (47) ist Trauerbegleiterin und Maria Irchenhauser (39) "meine erste Trauerbegleitung". Was aus Pfisterers Mund so nüchtern klingt und doch viel mehr ist. "Die Chemie muss stimmen", sagt Irchenhauser und lächelt die Freundin an. Im Juni vergangenen Jahres hatte sie sich an den Hospizverein gewandt. "Das Requiem für meinen Mann war am 10. Juni gewesen, danach hatte es große Treffen mit Verwandten gegeben, das übliche Programm war abgelaufen", erzählt sie. So lange hatte sie funktioniert. Die eigentliche Trauerarbeit aber beginne für den Betroffenen dann, wenn die Beerdigung vorbei und die Sache für Außenstehende abgeschlossen sei.

"Ich war 38 und verwitwet - im ganzen Bekanntenkreis hatte ich niemanden, der Ähnliches erlebt hatte", erklärt die junge Frau, warum sie sich damals an den Hospizverein gewendet hatte. Obwohl sie den vollen Rückhalt ihrer Familie hat, besonders ihrer Schwester Rita Brunner, die sie für unbestimmte Zeit bei sich aufgenommen hat, bis sie für einen Neuanfang bereit ist. Denn zum Tod ihres Mannes kam für Irchenhauser noch der Umzug zurück aus England, wo sie mit ihrem Mann, einem Amerikaner, am Internationalen Campus der Kanadischen Universität gearbeitet hatte.

13 Jahre hatte die promovierte Germanistin im Ausland gelebt. Fünf Jahre war sie mit Drew Bednasek verheiratet gewesen, ein Jahr nach der Hochzeit traten bereits gesundheitliche Probleme bei ihm auf, 2015 erhielt er die Diagnose Krebs. "Wir haben mit der Hoffnung gelebt - bis zum Schluss", erzählt sie, "das war unser Weg". Das Paar hat versucht, "den Tod ins Leben zu integrieren, dabei aber das Leben nicht zu vergessen". Mehrmals sind die beiden in Urlaub gefahren, wie sie es ohne die Diagnose ebenfalls getan hätten, haben sich aber auch nach medizinischer Hilfe umgesehen. Als ihnen in England keine Hoffnung mehr gemacht wurde, gingen sie nach Deutschland, doch auch in Mainz hieß es, eine OP sei keine Option.

"Es war ein Riesenschritt, in England alles aufzugeben", erinnert sich Irchenhauser. Nun wohnt sie also in Autenzell, bis sie beruflich wieder Fuß gefasst hat. Einen Anfang machte das halbe Jahr am Gymnasium in Schrobenhausen, wo sie Deutsch unterrichtete. "Das war ein Einstieg ins Leben, weg vom Zimmer, raus auf die Straße", meint die 39-Jährige. Die Neunt- und Zehntklässler brachten sie auf andere Gedanken, haben sie geerdet.

Und dann war und ist der Kontakt zu Petra da, der ihr den Weg erleichtert. "Es tut mir gut, zu wissen, dass da noch jemand ist, der an mich denkt", sagt Irchenhauser. Jemand, der selbst Ähnliches erlebt hat - das ist der Unterschied zur Familie und zu anderen, die sie sonst unterstützen. Als sie damals beim Hospizverein anrief, um sich über das Trauercafé zu erkundigen, riet ihr Anita Arndt ab, dorthin zu gehen, weil sie von der Altersstruktur nicht hineinpasse. "Dort werden Sie eher keinen Gesprächsstoff finden, dort treffen sich vor allem ältere Witwen", sagte die Koordinatorin des Hospizvereins - und fügte hinzu: "Aber ich wüsste da jemanden für Sie."

Arndt vermittelte den Kontakt zu Petra Pfisterer, die vor sieben Jahren beim Meitinger Hospizverein die Ausbildung zur Hospizbegleiterin gemacht hat, seit 2013 hauptberuflich als Betreuungsassistentin in einem Pflegeheim arbeitet und sich vor einem Jahr zur Trauerbegleiterin ausbilden ließ. Seit zwei Jahren lebt sie in Aresing und gehört nun dem Neuburg-Schrobenhausener Hospizverein an.

Das Thema Sterben hat sie schon als Jugendliche beschäftigt. Ein Lehrer hat der interessierten Siebtklässlerin damals Bücher geliehen, mit Anfang 20 erlebte sie einige Todesfälle in der Familie. Als sie mit 42 Jahren das Inserat des Hospizvereins las, mit dem Ehrenamtliche gesucht wurden, die sich zu Hospizbegleitern ausbilden lassen wollten, bestärkten ihre Kinder und ihr Lebensgefährte sie: "Mach das, sonst wirst du es später vielleicht bereuen." Im Bekanntenkreis stieß sie damit jedoch öfter auf Unverständnis. "Ich glaube, viele haben sich noch nie Gedanken über den Tod gemacht", sagt Pfisterer, "die sehen nur, das sind alte Menschen, aber nicht, was ich an Liebe und Dankbarkeit zurückbekomme, wenn meine alte Dame Tränen in den Augen hat vor Freude."

Jeder Hospizbegleiter begleitet immer nur eine Person, dann wird eine Pause eingelegt. Darauf achten die Koordinatoren, um die Belastung für ihre Ehrenamtlichen nicht zu hoch werden zu lassen, schließlich haben alle Familie und Beruf. Die alte Dame, die Pfisterer derzeit begleitet, ist dement. Ihre gemeinsame Zeit verbringen die beiden unter anderem mit Rückenmassage, Kinder- und Volkslieder singen, (Kinder-)Geschichten vorlesen, am liebsten mit Bezug zu Traditionen und Jahreszeiten, zu Ostern, Weihnachten. "Ich gehe jedes Mal nach anderthalb Stunden heim und denke, das war ein cooler Tag heute", erzählt Pfisterer: "Dieser Frau eine Freude zu machen, ist leicht - ein Wiesenblumenstrauß, ein Eis an heißen Tagen oder einfach nur da sein." Begegnung auf Augenhöhe sei wichtig. "Du weißt, was ich brauche", sage die Dame öfter zu ihr.

Ob Hospiz- oder Trauerbegleitung - wer das macht, "der macht es aus Liebe", sagt die 47-Jährige. Sie sei dankbar dafür, dass es ihr gut gehe, bilde sich aber nicht ein, die Welt verbessern zu können. "Aber für den, den ich begleite, kann ich sie ein Stück besser, den dunklen Weg etwas heller machen." Wie für Maria, ihre erste Trauerbegleitung, "mein Versuchskaninchen". Der Ausdruck lässt Irchenhauser herzhaft lachen und vom ersten Kontakt erzählen: "Das war ein Supertelefonat, es hat mir so viel gegeben, dass da ein Mensch war, der dasselbe erlebt hat wie ich." Petra Pfisterer war 15 Jahre verheiratet gewesen, hatte drei Kinder im Alter zwischen acht und 15 Jahren mit ihrem Mann, der am Karfreitag 2007 an einem geplatzten Aneurysma starb. Der Tod ihres Vaters sei auch ein einschneidendes Erlebnis gewesen, erzählt sie, aber der Tod des Partners sei damit nicht zu vergleichen, er ziehe den sprichwörtlichen Boden unter den Füßen weg. Erschwerend komme hinzu, dass die Außenwelt versuche, vorzuschreiben, wie jemand zu trauern habe oder mit Sprüchen wie "Es ist doch eine Ehre, am Karfreitag zu sterben" zu trösten versuche. Worte der Hilflosigkeit, weiß sie heute.

Zum ersten Mal trafen sich die beiden Frauen in einem Café, saßen an einem Vierertisch und es fühlte sich an, als säßen ihre beiden Männer mit am Tisch. "Ich habe nicht gewusst, wie das abläuft", erinnert sich Irchenhauser an eine gewisse Unsicherheit, "und dann kam Petra und lächelte mich an - da stand sie, eine Powerfrau mitten im Leben, die mir erzählte, wie sie ihren Weg mit den Kindern weitergegangen ist, nachdem der Mann gestorben war." Dass Pfisterer den Beruf von der Kauffrau zur Betreuungskraft gewechselt hat, hat sie ebenfalls beeindruckt.

Im Durchschnitt sehen sich die beiden nun alle 14 Tage, dazwischen telefonieren sie oder tauschen Kurznachrichten aus. Jedes Treffen ist anders, mal gehen sie zusammen zum Töpfern mit Trauernden oder zum Malen von Seelenbildern beim Hospizverein, im Herbst steht Kirschkernsäckchennähen an. Die handwerklichen Angebote des Hospizvereins geben eine gute, unverbindliche Möglichkeit, mit anderen Trauernden in Kontakt zu kommen, miteinander zu reden oder sich auf die eigene Handarbeit zu konzentrieren und am Ende gehe jeder heim und nehme "etwas mehr oder weniger Schönes" oder Nützliches mit.

Pfisterer gibt Irchenhauser das Gefühl, "dass du mir wohlgesonnen bist, meine Situation verstehst, mich an der Hand nimmst und mitziehst". Jedoch ohne ihr irgendetwas aufzudrücken. "Wir haben zwar Ähnliches erlebt, aber ich kann nicht genauso empfinden wie du", betont Pfisterer, "ich kann mich einfühlen, weiß, wie ich es empfunden habe, aber es ist trotzdem wichtig, dass du mir sagst, wie es dir gerade geht". In der Gesellschaft sei kein Platz für Trauer, oft würden Normen für Trauer gesetzt. Doch die gebe es nicht. Jeder muss seinen Weg selber finden. Trauerbegleitung kann unterstützen.