Aichach
Die Betriebe schauen alt aus

Demografischer Wandel im Unternehmen: In einem Fünftel aller Betriebe geht der Inhaber in Rente

23.06.2017 | Stand 02.12.2020, 17:53 Uhr

Wenn vom demografischen Wandel gesprochen wird, geht es in der Regel um Rentenpolitik, Arbeitskräftemangel und Pflege. Aber auch in den Betrieben wird das Thema akut: Zwischen zehn und 20 Prozent der Inhaber kommen in den nächsten fünf bis zehn Jahren ins Rentenalter. - Foto: Bundesanstalt für Arbeitsschutz und Arbeitsmedizin

Aichach (SZ) In den Betrieben im Wittelsbacher Land zeichnet sich in den nächsten Jahren ein großer Strukturwandel ab: Im Jahr 2020 werden etwa dreimal so viele Betriebsinhaber wie bislang ins Rentenalter kommen. Zugleich finden immer weniger Unternehmen einen Nachfolger.

"Der demografische Wandel ist in aller Munde", sagt Peter Lintner, Stellvertretender Hauptgeschäftsführer der IHK Schwaben. Aber nur in bestimmten Bereichen wie Sozialpolitik, Rente, bei Arbeitskräften oder dem Konsumverhalten spiele das in der öffentlichen Wahrnehmung eine Rolle. "Dabei nähert sich jeder zehnte Betrieb einem Zeitpunkt, der den Übergang erwarten lässt", sagt Lintner.

Die Handwerkskammer für Schwaben geht sogar von noch höheren Zahlen aus: Etwa 20 Prozent der Mitgliedsbetriebe - also zwischen 5000 und 6000 Inhaber - werden laut ihren Schätzungen in den nächsten fünf bis zehn Jahren in Rente gehen. Branchenintern ist die Altersstruktur unterschiedlich: Im IT-Bereich ist der Altersdurchschnitt niedriger, im Gastgewerbe dagegen liegt er weit über dem Durchschnitt.

Zugleich ist die Zeit, in denen die eigenen Kinder den Betrieb weiterführen, längst vorbei. Bundesweit werden nur noch etwas mehr als die Hälfte aller Betriebe familienintern weitergeführt. 17 Prozent finden eine unternehmensinterne Lösung, also einen Mitarbeiter, der übernehmen kann und will. Für ein knappes Drittel aber kommt nur der Verkauf in Frage - Tendenz steigend, denn auch die unternehmensinternen Lösungen nehmen ab.

Hier fehlt es häufig am Kapital, manchmal auch am Knowhow. Zudem sind kleinere Betriebseinheiten weniger lukrativ als früher, erklärt Jürgen Wagner, Berater für Gründung, Finanzierung und Nachfolge bei der IHK. Das Thema wird in der Beratung deshalb immer wichtiger. Bei der Handwerkskammer für Schwaben hat inzwischen die Hälfte aller Gespräche mit der Nachfolge zu tun. Sogar eigene Seminare werden angeboten. Die IHK beginnt im Herbst mit eigens auf dieses Themenfeld zugeschnittenen Unternehmersprechtagen. Sie richten sich an Betriebsinhaber sowie Kaufwillige gleichermaßen. Für beide gibt es auch die Next-Change-Börse, bei der online Nachfolger gesucht werden können - anonym, denn die Unternehmer gehen damit nicht gern an die Öffentlichkeit. Früher gab es mehr Such- als Verkaufsangebote, heute ist das längst umgekehrt.

Ein weiteres Hindernis ist die falsche Preisvorstellung: Laut einer bundesweiten Erhebung der Industrie- und Handelskammern haben 44 Prozent der Alt-Inhaber Vorstellungen, die gemessen am Marktumfeld zu hoch sind. In einem Report zum Thema heißt es: "Oftmals kalkulieren Unternehmer die Mühen für ihr Lebenswerk in den Kaufpreis ein, während Übernehmer einen eher nüchternen Blick auf das Marktpotenzial der Unternehmen haben." Hinzu komme ein Investitionsstau, wenn ein Unternehmen auf Nachfolgersuche ist.

Umgekehrt erklärt Markus Prophet, Stellvertretender Geschäftsbereichsleiter der Handwerkskammer in Schwaben, dass gerade die Handwerker ein gutes Gespür für ihren Betrieb hätten und dafür, ob er "übergabefähig" ist. "In einigen Fällen ist dies aufgrund der Betriebsgröße, zum Beispiel wenn es keine Angestellten gibt, oder dem persönlichen Zuschnitt auf den Inhaber nicht möglich." Nach wie vor dominiere im Handwerk mit über der Hälfte die Übergabe innerhalb der eigenen Familie. Schwierig in der Beratung ist der Umstand, dass für einige Betroffene die Übergabe ein sehr emotionales Thema ist. "Schließlich geht es für viele um die Fortführung ihres Lebenswerks, um die Sicherung der Arbeitsplätze ihrer langjährigen Mitarbeiter und natürlich auch sehr oft um einen erheblichen Teil ihrer Altersvorsorge", erklärt Markus Prophet.

Nicht für alle Betriebe wird es eine Nachfolgeregelung geben. Was nicht unbedingt zu einer Reduzierung der Betriebe führen muss: Seit Jahren verzeichnet die Handwerkskammer eine wachsende Anzahl von Mitgliedsbetrieben, wobei die mittelgroßen weniger werden, die kleinen und großen hingegen zulegen. Das kann auch mit neuen Initiativen zusammenhängen, weshalb die IHK verstärkt Existenzgründungen fördert. Denn die demografische Entwicklung muss man laut Peter Lintner nicht nur mit Bangen betrachten. "Es wird immer einen Strukturwandel geben, in manchen Branchen mehr und in anderen weniger. Problematisch wird es erst dort, wo sich eine Verschlechterung der Angebotsstruktur abzeichnet." Der Landkreis Aichach- Friedberg lebe wie ganz Schwaben "aus dem inneren Potenzial". Man rede zwar immer über Ansiedlung, "aber für uns ist die Gründung entscheidend. Unternehmen, die hier anfangen, wachsen und groß werden."

Doch auch Gründungen werden nicht alle Schließungen kompensieren. Deshalb schlägt Lintner auch vor, das Unternehmertum als Idee auch schon stärker in der Lehre zu verankern. Betroffenen Inhabern rät Jürgen Wagner, dass sie vier bis sechs Jahre vor der geplanten Übergabe anfangen sollten, sich mit dem Thema zu befassen. Fünf bis zehn Jahre veranschlagt sein HwK-Kollege Markus Prophet. Denn häufig muss der Betrieb auch umstrukturiert oder zumindest auf Vordermann gebracht werden. Außerdem sollte jeder schon vorher ein Notfallhandbuch haben, in dem Vertreter oder Erben Vollmachten, Passwörter und wichtige Daten fänden.