Von Tierwohl zu sprechen entbehrt jeder Grundlage

29.12.2017 | Stand 02.12.2020, 17:01 Uhr

Zum Artikel "Damit werden Landwirte kriminalisiert" (PK vom 8. Dezember):

Der Bauernverband schickt nun also Anja Rostalski vom Tiergesundheitsdienst Bayern ins Rennen, um die Ehre der zu unrecht kriminalisierten Tierhalter zu verteidigen. Der Tiergesundheitsdienst Bayern e.V. (TGD) wurde als Selbsthilfeeinrichtung der bayerischen Landwirtschaft gegründet. Mitglieder sind die auf Landesebene tätigen Zusammenschlüsse auf dem Gebiet der Tierzucht und der Tierproduktion. Vorsitzender ist Walter Heidl, auch als Präsident des Bayerischen Bauernverbandes tätig. Und wenn man sich die Aussagen der Vorstandsmitglieder zu Gemüte führt, wird man merken, dass sich diese schon sehr mit der Tierausbeutungs-Politik des Bauernverbandes decken. Es drängt sich der Verdacht auf, dass es sich neben CDU/CSU wohl um einen weiteren Lobbyverband des BV handelt. Wenn überhaupt geht es diesem "Verein" darum, dass den Mästern bei den unter den widrigen Bedingungen gehaltenen Tieren möglichst wenig Verluste entstehen, damit sie möglichst viel von ihren Produkten verkaufen können. Um das Wohl der Tiere geht es hier ja nicht mal ansatzweise.

Zu ihrer Aussage, dass Tiere in kleinen Fabriken mehr leiden können als in großen, bleibt zu sagen, dass dies natürlich zutreffen kann. Aber selbst dann leiden halt um einige mehr Tiere lediglich etwas weniger. Von guten Haltungsbedingungen oder sogar von Tierwohl zu sprechen entbehrt jeder Grundlage. Es ist wohl eher der Fall, dass Tiere in kleinen Betrieben ebenso leiden wie in großen. Sie werden so oder so maximal ausgebeutet und sind nur noch Waren, Produkte, Dinge (Letzteres gilt in Fabriken mit großen Tierzahlen umso mehr). Und so werden sie auch behandelt. Die angesprochenen umfangreichen Kontrollen sind nichts anderes als mangelhaft. Belegen doch viele Studien, dass die Kontrollmechanismen vonseiten der Behörde und des Veterinäramtes regelmäßig versagen. Die Kontrollstellen der Ämter sind unterbesetzt und die Kontrolleure überlastet, siehe Bayern Ei. Und dass sich laut einer aktuellen Untersuchung des nordrhein-westfälischen Agrarministeriums in über 96 Prozent aller untersuchten Hühner Rückstände von Antibiotika fanden, bei manchen Tieren sogar bis zu acht verschiedene Wirkstoffe, mutet doch sehr seltsam an, wenn man die Aussagen von Frau Rostalski liest. Und nach einer Studie des nordrheinwestfälischen Landesamts für Umwelt, Natur und Verbraucherschutz von 2012 erhielten 91,6 Prozent der Tiere in den 182 untersuchten Betrieben Antibiotika. Die Betriebe, die im Untersuchungszeitraum keine Antibiotika einsetzten, waren fast ausschließlich Biobetriebe und/oder kleine Betriebe. So wurden im Jahr 2014 in der Tiermedizin in Deutschland mehr als 1450 Tonnen Antibiotika eingesetzt (Quelle: Bundesamt für Verbraucherschutz und Lebensmittelsicherheit) im Vergleich dazu in der Humanmedizin jährlich jeweils zwischen 700 und 800 Tonnen (Quelle: GERMAP-Bericht für 2012). Mastschweine wurden 2012 in ihrem kurzen, qualvollen Leben mit durchschnittlich 5,9 Antibiotika-Gaben "behandelt". Das bedeutet bei Mastschweinen in Tierfabriken eine Gabe pro Monat. Da war scheinbar eine Grippewelle oder so in Umlauf!

Richtig ist aber, dass die Menge der Antibiotikaabgaben zurückgegangen ist. Aber gleich um 50 Prozent? Diese Daten beruhen auf Selbstauskünften der Pharmaindustrie, sind also mit Vorsicht zu behandeln. Die veröffentlichten Daten zur Abgabe von Antibiotika von Pharmaunternehmen an Tierärzte in Deutschland sind laut Germanwatch derzeit nicht überprüfbar. Ferner erfasst die Antibiotikadatenbank der Bundesregierung längst nicht alle Antibiotikaeinsätze in deutschen Ställen. Die Reserveantibiotikagaben sind aber gleichzeitig rasant angestiegen, bei einzelnen Wirkstoffklassen um bis zu 50 Prozent. Diese sollten freilich der Behandlung bestimmter Krankheiten bei Menschen vorbehalten sein. Sie kommen hier zum Einsatz, wenn normale Antibiotika nicht mehr wirken und sind im Zweifel lebensrettend. Um ihre Wirkung nicht zu verlieren, sollten sie so wenig wie möglich eingesetzt werden - gerade bei Tieren. Antibiotikagaben dienen auch der Beschleunigung des Wachstums und der Vorbeugung und werden sehr wohl auch prophylaktisch verabreicht, gerade in der Schweinemast. Greenpeace hat zum Beispiel erst 19 Gülle-Proben aus deutschen Schweinemastfabriken ins Labor geschickt. In den meisten Proben waren sowohl Antibiotika als auch multiresistente Keime nachweisbar. 13 Proben enthielten Bakterien mit Resistenzen gegen Beta-Lactam-Antibiotika: Wirkstoffe, die in ihrer Struktur auf Penicillin zurückgehen und häufig in Veterinär- und Humanmedizin eingesetzt werden. In sechs Fällen stellten die Labor-Mitarbeiter Resistenzen gegen gleich drei Antibiotikagruppen fest. Das zweite Labor fand in 15 Proben Rückstände von Antibiotika. In Proben, die im Rahmen einer Studie der tierärztlichen Hochschule Hannover untersucht wurden, fanden Experten in verschiedenen Teilen von Hähnchen bei knapp 89 beziehungsweise 73 Prozent antibiotikaresistente Keime. Andere Stichproben zeigen, dass diese Keime mittlerweile sogar im Supermarkt beziehungsweise im Fleischerfachgeschäft angekommen sind. Auch wurde in diversen Studien belegt, dass die von der Tierfabriken ausgehenden Keime eine Gesundheitsgefahr für die Anwohner darstellen. Sollte sich wer zu unrecht kriminalisiert fühlen, darf er sich bei dem System bedanken. Einem vom BV gewollten und geförderten Systems des Wachsens oder Weichens. Ich bin zwar weit davon entfernt, studiert zu haben, doch gibt es genug (Tier)-Ärzte/Wissenschaftler, die vor diesem Ausbeutungssystem und seinen Folgen warnen. Es ist sowieso eine traurige Geschichte, dass ich hier über Antibiotikaresistenzen, Keime und sonstige Nachteile für die Menschen schreiben und das BV- Gedöns widerlegen muss. Sollte dies doch gar nicht erst nötig sein, da die Ausbeutung und Tötung von fühlenden Individuen eigentlich keinesfalls geduldet werden dürfte.

Äußerst fragwürdig ist in diesem Zusammenhang aber auch, wie die Gerolsbacher Vizebürgermeisterin Schwertfirm nach einer Fabrikbesichtigung von artgerechten Zuständen reden kann. Sie hat zwar anscheinend eine Fabrik mit "nur" 9000 Tierplätzen besucht, jedoch sollte es den Tieren wohl auch dort kaum möglich sein, arttypischen Verhaltensweisen nachzugehen. Eventuell haben sie die Fabrik auch besucht als die Tiere es noch Küken waren, und somit mehr Platz vorhanden war. Ansonsten stellt sich die Frage, was denn artgerecht war? Etwa die Tiere, die aufgrund ihres unnatürlichen Gewichts zusammenbrechen und dann verdursten oder zertrampelt werden? Dass sie so gut wie keinen Platz haben? Oder dass sie Qualzuchten sind, mit dem einzigen Zweck, in kurzer Zeit soviel Fleisch wie möglich anzusetzen, um noch im Kindesalter getötet zu werden? Artgerecht ist ja sowieso nur die Freiheit.

Lorenz Steininger jun.

Hohenwart