Nur auf den ersten Blick seriös

21.02.2017 | Stand 02.12.2020, 18:37 Uhr

Zum Leserbrief "Flaute mal X = Flaute" (PK vom 16. Februar):

Der Windkraftgegner Franz Lisson kommt offenbar nicht klar mit dem Votum des Bürgerentscheids zum Thema Windkraft. Nun versucht er mit Argumenten, die allerdings nur auf den ersten Blick seriös wirken, die Leser davon zu überzeugen, dass alle, die die Energiewende voranbringen wollen, einer unrealistischen "Ideologie" anhängen. Allerdings halten die meisten Argumente keiner Überprüfung stand.

Einige Beispiele: Absichtlich missinterpretiert der Autor das Ziel Pfaffenhofens, sich zu 100 Prozent mit Strom aus erneuerbaren Quellen zu versorgen: Damit ist nicht gemeint, dass dies zu jedem einzelnen Zeitpunkt geschieht, sondern dass pro Jahr soviel Strom umweltfreundlich erzeugt wird, wie in einem durchschnittlichen Jahr verbraucht wird. Längerfristig wird zwar auch eine komplette Selbstversorgung angestrebt, aber dafür reichen nicht drei neue Windräder, es werden vor allem Speicher benötigt. Dies wurde auch eindeutig kommuniziert. Zur Stromspeicherung fallen dem Leserbriefschreiber nur E-Autos und Power-to-Gas ein. Tatsächlich gibt es noch viele weitere Techniken, zum Beispiel Pumpspeicherkraftwerke. Und Biogasanlagen könnten stärker bedarfsorientiert eingesetzt werden, mangels Anreiz laufen sie zur Zeit meist konstant.

Es werden Daten genannt, die von agora.de stammen sollen. Diese Seite existiert nicht. Gemeint ist vermutlich agora-energiewende.de. Im Winter 2016/17 lag laut dieser Quelle zum ungünstigsten Zeitpunkt, am 24. Januar, der Anteil aller erneuerbaren Energien zusammen am deutschen Stromverbrauch bei 13 Prozent (Behauptung Lisson: unter 10 Prozent), zum günstigsten bei 71 Prozent. Der aktuelle Winter war keineswegs eine wochenlange Dunkelflaute, in der die Ökostromanlagen "fast komplett ausfielen". Herr Lisson unterschlägt zunächst die erneuerbaren Energien Wasser und Biomasse. So kommt er auf angeblich "zeitweise weniger als zwei Prozent des benötigten Stroms". Außerdem verschweigt er, dass es in diesem Winter auch viele wind- und sonnenreiche Tage gab, am 4. Januar wurde sogar ein neuer Rekord mit 35,7 GW Windstrom erreicht; am 26. Dezember um 12 Uhr produzierten die Erneuerbaren 75 Prozent des deutschen Stromverbrauchs. Unser Vier-Personen-Haushalt konnte im Dezember und Januar mit der Photovoltaikanlage auf dem Dach trotz häufiger Hochdruckwetterlagen mit Nebel 117 Prozent des eigenen Stromverbrauchs decken, es blieb also sogar Strom für Nachbarn übrig. Kompletter Unsinn ist auch, dass Windstrom 1 Euro pro kWh kosten würde. Tatsächlich ist Windstrom mit 5-11 Cent/kWh mittlerweile eine der günstigsten Energiequellen - die von Herrn Lisson favorisierten Gaskraftwerke kommen auf 7,5-9,8 ct./kWh. (de.wikipedia.org/wiki/Stromgestehungskosten), wobei die Kosten für deren klimaschädliche Abgase, die der Allgemeinheit aufgebürdet werden, unberücksichtigt bleiben.

Natürlich kann Deutschland aktuell noch nicht seinen Bedarf zu 100 Prozent mit regenerativen Energien decken, aber das Ziel ist erstrebenswert und erreichbar. Warum erstrebenswert? Weil Kohle, Gas und Öl nur noch wenige Jahrzehnte reichen und daher sehr bald deutlich teurer werden. Weil vor allem Kohlekraftwerke den Wald schädigen und unsere Gesundheit durch Feinstaub, Ruß, Stickoxide, Quecksilber, Schwefel. Weil der Klimawandel uns und noch mehr unsere Nachkommen sonst noch Milliarden kosten wird.

Durch zunehmende Hitzewellen und Naturkatastrophen wird es auch Todesopfer geben. Die Menschen, die durch sich ausbreitende Wüsten oder steigenden Meeresspiegel ihre Lebensgrundlage verlieren, werden als Flüchtlinge nach Europa kommen. Atomenergie ist lebensgefährlich ist und ihre Abfälle, für die es weltweit noch kein Endlager gibt, werden noch in 100 000 Jahren gefährliche Strahlung abgeben. Wollen Sie das alles verantworten, Herr Lisson?

Erneuerbare machen uns unabhängig von Öl- und Gasimporten aus Krisengebieten im Nahen Osten und Russland. Sie bieten Hunderttausende Arbeitsplätze in Deutschland. Sie werden mittelfristig zu sinkenden Strompreisen führen, bereits aktuell ist der Strompreis an der Börse im Sinkflug.

Warum ist das Ziel erreichbar? Noch vor 25 Jahren lag der Anteil der erneuerbaren Energien am deutschen Strommix bei 4 Prozent. Heute sind es 32 Prozent, also das Achtfache. Brandenburg versorgt sich bereits zu 78 Prozent mit CO2-neutralem Strom, Pfaffenhofen ist auf dem Weg zu 100 Prozent, Orte wie Freiamt, Pellworm, Steyerberg, Wilpoldsried und Amstetten produzieren bereits heute 100-275 Prozent ihres Strombedarfs regenerativ. Hunderte Städte haben konkrete Pläne für eine Stromversorgung mit ausschließlich erneuerbaren Energien auf den Weg gebracht (100ee.de). Das Forschungsprojekt "Kombikraftwerk" hat bereits nachgewiesen, dass es durch einen intelligenten Mix von Wind, Sonne, Wasser und Biogas in Verbindung mit Speichertechniken zu jeder Stunde und in jeder Region Deutschlands möglich ist, den Strom versorgungssicher und zu 100 Prozent regenerativ zu erzeugen. Das bedeutet natürlich mehr Windräder, was einige stören wird.

Energiesparen könnte eine Alternative sein. Ich halte einen Mindestabstand zwischen Windparks und Siedlungen für wichtig, was aber nicht heißen muss, dass man sie nicht sehen darf. Ein "Ruin der deutschen Kulturlandschaft" sind sie definitiv nicht. Natürlich haben auch die Erneuerbaren ihre Nachteile, aber wenn man ihre Vorteile wie Nachhaltigkeit, unendliche Verfügbarkeit und Umweltfreundlichkeit den Nachteilen der fossilen Kraftwerke gegenüberstellt, kann man eigentlich keinen anderen Weg für sinnvoll halten. Herr Lisson bleibt leider einen Vorschlag schuldig, womit er den Strom der Zukunft gewinnen will.

Micha Lohr

Wolnzach