Man muss den Mut haben, unzeitgemäß sein

27.12.2016 | Stand 02.12.2020, 18:52 Uhr

Zum Leserbrief "Bücherei ohne Reiz" (PK vom 21. Dezember):

"Bücherei ohne Reiz" oder doch nur "Bücher ohne Reiz" Der Leserbrief von Christina Widmann trifft nicht nur wunde Punkte "unseres" modernen Medien- und Dokumentations-Systems, sondern zeigt auch erstaunlich offen und ehrlich, wie man eine öffentliche Bücherei nicht betreiben sollte. Frau Widmann, die in Barcelona studiert, besuchte vorige Woche nach einigen Jahren wieder mal "ihre" Bibliothek, die "Kreisbücherei" in Pfaffenhofen.

Mit Kreisbücherei ist nicht gemeint, dass sich da eine Bücherei im Kreise dreht, sondern die Bücherei des Landkreises Pfaffenhofen.

Frau Widmann beschreibt, gut vergleichend, die "Biblioteca de Lletres" an der Universität Barcelona als eine Flucht "verwinkelter kleiner Kämmerchen, wo es alles gibt, nur keine Ordnung". Die Universitätsbibliothek von Regensburg erscheint ihr dagegen "als ein großer kalter Lernsaal mit ein paar Regalen." Zur Universitätsbibliothek Regensburg kann ich nur sagen: Wo sie recht hat, da hat sie Recht.

Doch es gibt für Frau Widmann noch ein (nichtmusikalisches) Crescendo: Die Kreisbücherei ist nach ihrer Auffassung "ein schlechter Buchladen" geworden.

Allerdings stellt sich mir die Frage: Gibt es in "unserer" Epoche der medialen Globalisierung noch irgendwo Buchläden, welche nicht nach den Gesichtspunkten des Marketings und der Profit-Maximierung gestaltet sind? Wenn ja, bitte melden! Man bedenke aber: Es gibt ja auch immer mehr Architekten, welche sich dem sogenannten Zeitgeist (übrigens ein Unwort des Philosophen Hegel) nicht verschließen wollen. Motto: Bloß nicht rückständig sein!

Wie bei den Bäckern und Metzgern kaufen auch bei den Buchhandlungen immer mehr "Große" die "Kleinen" auf. Das Filialsystem greift massiv um sich, auch Pfaffenhofen ist hier nicht ausgeschlossen. Dass dabei die mittelständischen Verlage dem Buchhandel den Rücken kehren und sich zunehmend den Internetdiensten wie www.buch7.de" class="more"%>, Thalia.de, Amazon.de, Weltbild-Verlag etc. zuwenden, nimmt man offensichtlich als Kollateralschäden in Kauf.

Und da bestimmt dann nicht mehr der einzelne halb- oder viertelselbstständige Laden die Richtlinien der lokalen medialen Politik, sondern die Konzernspitze, die irgendwo außerhalb von Bayern ihren "Sitz" hat.

Frau Widmann beklagt folgende Punkte, die man bei genauerer Lektüre ihres Leserbriefs erschließen kann:

1. Statt guter fremdsprachlicher Bücher ein "Bestseller-Karussell". Wie recht hat sie: In einem Jahr kennt solche "Bestseller" kaum mehr einer.

2. Die "Abteilung Medizin" scheint zu einem Fremdkörper geworden zu sein. Vorschlag: Die Weihnachtsausgaben der "Deutschen Medizinischen Wochenschrift" nehmen wenig Platz ein, die nicht zu umfangreichen Beiträge sind aber problemlos auch für medizinische Laien verständlich. Weitere Beispiele könnte ich beibringen.

3. Wichtige Erkenntnis, naheliegend, aber kaum irgendwo zu Papier gebracht: Die "wundervollen zweisprachigen Studienausgaben" müssen für Internetbücher Platz machen. Als häufiger Korrektor von wissenschaftlichen Arbeiten kann ich nur sagen, dass man bei der konventionellen Lektüre eines Papier-Buches Fehler und Verschreibungen leichter entdeckt als bei E-books, wo der Bildschirm nicht vertikal liegt, sondern senkrecht steht.

4. Bibliotheken leben noch mehr als Buchläden von der Atmosphäre und sie können es sich darum leisten, "halb vergilbte Werke zu haben." Man hört immer wieder von falsch verstandenen Modernisierungen von Bibliotheken, vor einigen Jahren auch in Eichstätt, wo man wohl sogar Duplikate aus dem 17. und 18. Jahrhundert, angeblich aus Platzgründen, entsorgte. Was vergilbt ist, wird von modernistischen Bibliothekaren allzu gerne und allzu schnell entrümpelt. Das nennt man dann Fortschritt.

Fazit: Am Bücher- und Bibliothekswesen lässt sich aufzeigen, dass man im Sinne des großen Philosophen Friedrich Nietzsche den Mut haben muss, wie Frau Widmann, unzeitgemäß zu sein.

Es sollte noch mehr Leute geben, so wie Frau Widmann, die sich nicht sklavisch am sogenannten Mainstream orientieren, sondern instruktive mediale Kritik (das kontradiktorische Gegenteil von "destruktive Kritik") wagen.

Analoges gäbe es auch über andere Medien zu berichten. Denn in Presse und TV gibt es allzu viele Wegweiser, welche die Wege zwar weisen, aber nicht mitgehen.

Wilhelm Kaltenstadler

Rohrbach