Valjevo im Wandel der Jahrzehnte

Reisebericht aus der serbischen Stadt: Die Menschen kämpfen mit Arbeitslosigkeit und Niedriglöhnen

16.04.2018 | Stand 23.09.2023, 2:55 Uhr
Bernd Duschner
Zerstörte Häuser in Valjevo 1999 (links). Rund zwei Jahrzehnte später sieht Valjevo ganz anders aus (rechts), hat aber immer noch viele Probleme. −Foto: Fotos: Duschner/ PK Archiv

Er war 1999 in Valjevo,

Die Stadt Valjevo habe ich zum ersten Mal am 5. Oktober 1999 mit einer Reisegruppe von 25 Bürgern aus Pfaffenhofen und Umgebung besucht. Wir hatten den Krieg abgelehnt und wollten uns ein Bild von der Situation der serbischen Bevölkerung nach den Bombardierungen ihres Landes durch die Nato machen. Mitgebracht hatten wir einen Sattelzug mit Hilfsgütern, Kleidung, Lebensmitteln und Medikamenten, alles Spenden unserer Bürger.

Seit fast zwei Jahrzehnten gibt es jetzt freundschaftliche Beziehungen zwischen beiden Städten, die aktuell in einer kommunalen Nachhaltigkeitspartnerschaft im Rahmen der Agenda 2030 zusammenarbeiten. Kurz vor Pfingsten habe ich für zwei Wochen Valjevo besucht, um mir ein Bild von der jetzigen wirtschaftlichen und sozialen Situation in der serbischen Stadt zu machen und dazu zahlreiche Gespräche geführt - mit dem Bürgermeister, einem Arzt, der in Frankfurt gelebt hat und sehr gut Deutsch spricht, in der Handelskammer, dem Arbeitsamt, in Schulen und vor allem mit einfachen Bürgern.

Valjevo ist in einem Talkessel in landschaftlich reizvoller Umgebung gelegen und wird von den Flüssen Kolubara und Gradaz durchquert. Die engere Stadt mit ihren 60000 Einwohnern hat ein hübsches Stadtzentrum mit großer Fußgängerzone, verfügt über sämtliche Schulen, eine private Universität und zahlreiche kulturelle und sportliche Einrichtungen, darunter zwei Galerien und ein interessantes historisches Stadtmuseum. Zu Valjevo gehören weitere 70 kleinere Siedlungen wie das Wintersportzentrum Dicibare auf dem Berg Maljen und das Dorf Petnica mit einem Forschungszentrum und Höhlen, die bereits zur Steinzeit bewohnt waren. Zusammen mit diesen Siedlungen erreicht Valjevo knapp 87000 Einwohner.

Der Übergang zur Marktwirtschaft begann in Serbien mit dem Sturz der Regierung Milosevic im Herbst 2000, damit rund ein Jahrzehnt später als in den meisten anderen osteuropäischen Staaten. Die Wirtschaft des Landes war nach fast einem Jahrzehnt Wirtschaftssanktionen und dem Krieg 1999 stark geschwächt. Die neuen Regierungen setzten auf den zügigen Abbau von Zoll und Handelsbeschränkungen, die Privatisierung der öffentlichen Unternehmen und ausländische Investoren. Großzügige Zuschüsse für die Schaffung neuer Arbeitsplätze, zehn Jahre Steuerfreiheit und die äußerst niedrigen Löhne für gut ausgebildete Arbeitskräfte sollten sie anlocken.

Heute hat auch Valjevo sein Gesicht verändert: Es sind eine Reihe neuer Restaurants, hübscher Cafés und Einzelhandelsgeschäfte entstanden. Viele ausländische Banken, große Lebensmittelketten wie Merkator aus Slowenien, Agrokor aus Kroatien und Fachmarktzentren mit Geschäften von Drogeriemarkt DM, Teichmann, Takko und anderen sind gekommen und auch an Sonntagen bis 22 Uhr geöffnet. Für die zahlreichen, sehr kleinen traditionellen Einzelhandelsgeschäfte sind sie ein großes Existenzproblem.

Enttäuschend ist das Ergebnis bei der Gewinnung größerer ausländischer Industrieunternehmen. In Valjevo haben bis heute nur der slowenische Haushaltsgerätehersteller Gorenje und der italienische Hersteller von Damenstrümpfen Firma Golden Lady mit rund 1500 beziehungsweise 1200 Mitarbeitern neue Arbeitsplätze geschaffen. Die namhafte eigene Getränkefabrik Srbijanka wurde wie zahllose andere staatliche Betriebe über die staatliche "Agentur für Privatisierung", vergleichbar mit unserer Treuhand, verkauft. Sie hatte für die Region mit ihrem reichen Anbau von Äpfeln und Pflaumen, Himbeeren und Brombeeren, große Bedeutung. 6000 landwirtschaftliche Betriebe belieferten sie. Der neue Eigner aber war offensichtlich nur an der Immobilie interessiert oder wollte den Betrieb vom Markt nehmen und hat ihn nach dem Kauf umgehend geschlossen.

Die Schließung zahlloser eigener Industriebetriebe hat dazu geführt, dass man in den Geschäften vor allem importierte Ware vorfindet. Als einziger größerer einheimischer Industriebetrieb besteht in Valjevo weiter Krusik, allerdings mit einer von vormals 10000 auf heute 3000 Beschäftigten stark reduzierten Belegschaft. Das Unternehmen konzentriert sich heute auf Rüstungsgüter und ist damit aktuell vor dem Hintergrund der Kriege im Nahen Osten erfolgreich.

Das zentrale Problem für Menschen in Serbien und insbesondere die Jugend sind die hohe Arbeitslosigkeit und die niedrigen Löhne. Mehr als 6000 gemeldete Arbeitslose hat Valjevo derzeit nach Angaben seiner Wirtschaftskammer. Das entspricht einer offiziellen Quote von gut 17 Prozent. Die Jugendarbeitslosigkeit beträgt das Doppelte. Das durchschnittliche Einkommen der Beschäftigten nach Abzug der Sozialabgaben liegt in Serbien heute bei 390 Euro netto, in Valjevo sogar nur bei 337 Euro, kaum mehr als die 315 Euro in der Stadt vor zehn Jahren. Doch die Einkommensschere geht weit auseinander. Es gibt eine sehr dünne Schicht Gutverdiener, während die breite Mehrheit deutlich weniger verdient. Auch unter Berücksichtigung der wesentlich niedrigeren Lebenskosten zwingt das viele Menschen, eine zusätzliche zweite Arbeitsstelle zu aufzunehmen. Arbeitslosengeld gibt es nur für drei Monate beziehungsweise bei mehr als fünf Jahre ständiger Beschäftigung für sechs Monate. Danach gibt es keine weitere staatliche Unterstützung.

Es ist diese schwierige soziale Situation, die zu einem sehr starken Rückgang der Neugeburten geführt hat und insbesondere gut ausgebildete junge Menschen zunehmend dazu treibt, ihr Land Richtung Mitteleuropa zu verlassen. Seit dem Jahr 2000 ist die Einwohnerzahl Serbiens von 7,5 Millionen auf aktuell 6996000 Einwohner gefallen.

Auch Valjevo verliert jährlich über 600 Bürger. Diese dramatische Entwicklung verbundenen mit einer starken Überalterung der Gesellschaft macht deutlich, wie wichtig und dringlich die Investitionsprogramme und die Wirtschaftshilfe von der EU sowie der Bundesreplik Deutschland heute für die Region sind.

Bernd Duschner