Reichertshausen
Eine Straße, die keiner will

Reichertshausen plant, einen Weg auszubauen und die Anwohner an den Kosten zu beteiligen

29.12.2017 | Stand 02.12.2020, 17:01 Uhr

Die betroffene Wegstrecke parallel zur B 13 (rechts), die als Fahrradweg ausgewiesen ist. Die Bepflanzung links steht bereits auf Gemeindegrund. - Foto: Steininger

Reichertshausen (PK) Hoch schlagen die Wogen der Empörung bei etlichen Anliegern am nördlichen Ilmgrund in Reichertshausen. Die vorhandene Zufahrtsstraße soll ausgebaut werden - derzeit sind fünf Hausbesitzer von Erschließungskosten in beträchtlicher Höhe betroffen.

"Frustriert und enttäuscht" über das Verhalten der Gemeinde ist Armin Kottmayr, einer der betroffenen Anlieger und seit rund 30 Jahren ehrenamtlicher Finanzvorstand des TSV Reichertshausen mit 600 Mitgliedern. Kottmayr ist Sprecher von derzeit fünf Anliegern. Die Gemeinde plane die Ersterschließung eines laut Kottmayr "geteerten Wegs, der seit 40 Jahren in bester Qualität besteht und während der Neubauten die Belastung von 20-Tonner-Lkw aushielt. Der Weg ist an einigen Stücken schadhaft. Wir wären bereit, die Kosten für eine Ausbesserung oder eine neue Teerdecke mit zu finanzieren", betont der Sprecher. Die Absicht der Gemeinde, den alten "Weg" abzutragen, zu entsorgen, neu auszuheben und ihn von drei auf fünf Meter zu verbreitern, "ist für uns überhaupt nicht nachvollziehbar", betonte Kottmayr ausdrücklich. "Wenn wir einmal im Monat Gegenverkehr mit einem Anlieger haben, reichen drei Meter Breite völlig aus."

Laut Gemeinde habe eine Erschließung nach den geltenden Richtlinien (RASt 06) vor 40 Jahren nicht stattgefunden, deshalb betrachte sie die Maßnahmen als Neuerschließung mit einem Kostenanteil von nur zehn Prozent für die Kommune. "Da wird die neue Gesetzeslage schamlos ausgenutzt. Denn ab dem 1. Januar 2021 gelten Wege, die seit 40 Jahren bestehen, als ersterschlossen", sagte Kottmayr. Ab diesem Zeitpunkt müsste die Gemeinde einen höheren Eigenanteil aufbringen. "Deshalb will sie das noch vorher bewerkstelligen", so die Vermutung der Anlieger.

Warum der Weg künftig eine Breite von fünf Metern haben soll, erklären sich die Betroffenen mit eventuell künftigen, nördlich angrenzenden Baugebieten und mit der Ilmtal-Fahrrad-Route, die rund 100 Meter des vorhandenen Weges nutzt. Dass die Anlieger das mitbezahlen sollen, stößt auf deren völliges Unverständnis. Die Gemeinde habe laut zweier Hauskäufer "versprochen, dass keine Erschließungskosten anfallen". Außerdem bereite die Verbreiterung der Straße Probleme bei einzelnen Grundstücken. So entstehen hohe Aufwendungen durch das Abstützen einer Böschung - und das neben den vom Planungsbüro veranschlagten Erschließungskosten in Höhe von 200 000 Euro. "Ob das überhaupt ausreicht, wissen wir nicht. Die Belastungen für die Grundstücksbesitzer gehen bis zu 25 000 Euro", rechnete Kottmayr vor. Darunter seien zwei durch den Hausbau oder Hauskauf verschuldete junge Familien, die sich in ihrer Existenz bedroht sehen.

Ein Argument der Gemeinde sei die "Gleichbehandlung mit anderen Straßen und Anliegern". Am Ilmgrund aber würden die Kosten auf letztlich neun Anlieger umgelegt, in anderen Baugebieten mit 20 Anliegern und mehr wären breite Erschließungsstraßen eher angebracht, die Kosten würden sich also auf mehr Schultern verteilen und wären pro Grundstück deutlich geringer, argumentierte Kottmayr. "Da werden wir ungerecht behandelt. Wir fühlen uns von den Entscheidungsträgern der Gemeinde nicht mehr vertreten", schoss Kottmayr eine Breitseite gegen Bürgermeister und Gemeinderäte ab und fügte hinzu: "Das ist eine Variante von Vermögensenteignung."

Mittlerweile haben die Anwohner eine Anwaltskanzlei beauftragt, ihre Interessen zu vertreten. Die soll unter anderem prüfen, ob die Anlieger die Planungskosten zu tragen haben, ob es sich um eine Ersterschließung oder um einen Straßenausbau handelt, wobei Letzteres die Gemeinde mit 30 Prozent belasten würde anstelle von nur zehn Prozent. Außerdem ist eine Teilstrecke als Fahrradweg ausgeschildert, der womöglich staatlich bezuschusst werden könnte. Gegen die zu erwartenden Gebührenbescheide werden wir auf jeden Fall rechtlich vorgehen, kündigte Kottmayr an.

Natürlich stellt sich aus Sicht der Gemeinde die Situation anders dar. Ursprünglich bestand die Altbebauung aus zwei Häusern, als Zufahrt hatte die Gemeinde vor rund 40 Jahren "etwas Kies aufgeschüttet und eine Teerschicht auf rund drei Metern Breite aufgebracht", blickte Gemeindechef Reinhard Heinrich (CSU) zurück. Dann kamen um die 90er Jahre weitere Häuser dazu, bis dann sechs Wohneinheiten eine laut Heinrich "erstmalige Erschließung" erforderlich machten. Ein diesbezüglicher Gemeinderatsbeschluss erfolgte mit nur einer einzigen Gegenstimme.

Einen fachgerechten Unterbau hatte die Straße oder der "Weg" (laut Terminologie der Anlieger) vorher nie aufzuweisen, so Bauamtsleiter Manfred Thurner. Um überhaupt eine ordnungsgemäße Straße anlegen zu können, hatte der vormalige Grundbesitzer einen Streifen von rund einem Meter Breite über die ganze Länge parallel zur B 13 an die Gemeinde abgetreten, um einen späteren Straßenausbau zu ermöglichen, so seine Aussage.

Beim Verkauf der Grundstücke an die Bauherren sei der künftige Verlauf der Straße bei der Vermessung bereits festgelegt gewesen. Ebenso seien in den Notarverträgen die Erschließungskosten bis zum Verkauf enthalten wie auch, dass spätere Erschließungskosten zu Lasten der Käufer gingen, erklärte Thurner. Die Straße sei zwar "nicht explizit erwähnt", ist aber grundsätzlich deren Bestandteil.

Auch im südlichen Ilmgrund seien Erschließungskosten angefallen, die wegen des Untergrunds und der erforderlichen Gehwege wesentlich teurer gewesen seien als die bis zu 25 Euro, die pro Quadratmeter Grundstücksfläche im nördlichen Teil anfallen, argumentiert die Gemeinde. Das Recht schreibe aber eine Gleichbehandlung der Bürger vor, so müssten auch die Bürger im nördlichen Teil für die Erschließungskosten aufkommen, so die Logik der Gemeinde.

Der Regelausbau für Erschließungsstraßen sei 5,50 Meter Straßenbreite zuzüglich 1,50 Meter für den Gehweg. Nach einer Ortsbesichtigung seitens der Gemeinderäte aber habe man im Interesse der Anlieger auf den Gehweg verzichtet und die Straßenbreite auf das Mindestmaß von fünf Metern Schwarzdecke begrenzt, was an der Grenze der Zulässigkeit sei, so Heinrich. Für Härtefälle bei Fragen der Finanzierung gebe es die Möglichkeit von Stundungsanträgen, die eine Überbelastung vermeiden helfen. "Es wird deshalb niemand sein Haus verkaufen müssen", stellte Heinrich klar.