Reichertshausen
Selbstkritischer Versuch der Aufarbeitung

Mehr Sensibilität, aber möglichst keine Zensur Panzerwagenaffäre beschäftigt den Reichertshausener Gemeinderat

28.02.2016 | Stand 02.12.2020, 20:09 Uhr
Ein Faschingswagen in Panzerform hat nach dem Faschingszug in Reichertshausen überregional für Schlagzeilen gesorgt. −Foto: Eibisch

Reichertshausen (hsg) Es war ein Versuch der Aufarbeitung, und den hat der Reichertshausener Gemeinderat sachlich, ohne Polemik und in aller Offenheit unternommen. Die Panzerwagen-Affäre beim diesjährigen Gaudiwurm ist immer noch nicht ausgestanden - was am Freitag auch durch den bis auf den letzten Platz gefüllten Sitzungssaal im Reichertshausener Rathaus deutlich wurde.

Deutschlandweit hatten Anfang Februar die Medien über den Panzer-Motivwagen mit der Aufschrift "Ilmtaler Asylabwehr" berichtet, mit dem einige junge Burschen am diesjährigen OCV-Faschingszug durch das obere Ilmtal teilgenommen hatten. Prompt begann Gemeindechef Reinhard Heinrich (CSU) gleich mit einer Medien-Schelte, die sich vor allem auf überörtliche Presseorgane bezog. Für die sei, so Heinrich, der umstrittene Panzer eher zweitrangig und der OCV nur Mittel zum Zweck gewesen. Deren Interesse habe eher "der Entlarvung eines neuen Nestes von Ultra-Rechten beziehungsweise Pegida- oder AfD-Anhängern im konservativen Bayernland" gegolten. Er habe das "mit allem Nachdruck" verneint, ebenso habe er den Oberilmtaler Carnevalsverein gegen den Vorwurf einer "braunen Gesinnung" in aller Deutlichkeit in Schutz genommen. Heinrich war zum Zeitpunkt des Vorfalls erkrankt, hatte am Zug daher nicht teilnehmen können und musste dennoch den Medienvertretern Rede und Antwort stehen. Hier den Vorfall herunterzuspielen, hätte den Eindruck erweckt, dass die Gemeinde dies tolerieren und somit eine rechte Gesinnung offenbaren würde. "Wir müssen uns deshalb Gedanken machen, wie wir künftig verfahren, um ähnliche Vorfälle zu vermeiden", betonte Heinrich. "Hätte ich eine Entscheidungschance gehabt, hätte ich den Wagen nicht mitfahren lassen". Ebenfalls kritisch gesehen habe die Presse, dass der Faschingszug von der Gemeinde mit Steuergeldern in Höhe von 5000 Euro bezuschusst werde.

Die anteiligen Kosten für die Panzerattrappe in Höhe von 150 Euro werde der Steuerzahler nicht tragen müssen, stellte Gemeinderat Konrad Moll (UWG) in seiner Funktion als verantwortlicher Zugleiter klar. Moll zog noch einmal Bilanz über das Geschehen in Zusammenhang mit dem Faschingszug, insbesondere nach dessen Ende, als er erste Reporterfragen beantworten musste. "Ich war mir der Tragweite meiner Worte gar nicht so bewusst", äußerte er sich, "bis ich am nächsten Morgen die Zeitung gelesen habe". Moll fühlte sich in der Folge von den Medien förmlich überrollt, bekam sogar Besuch von der Kriminalpolizei und kam sich vor "wie in einem Tatort-Krimi". Natürlich drückte Moll sein Bedauern über die Affäre aus, betonte aber gleichzeitig, dass er im Hinblick auf den Zug im nächsten Jahr "eine Zensur nicht machen möchte". In einer Nachbargemeinde sei das Thema "Asyl" im Faschingszug verboten worden. "Das finde ich für unsere Gesellschaft äußerst schlimm, wenn ein kritisches Thema unter den Tisch gekehrt wird", betonte Moll.

Das ließ Heinrich nicht unwidersprochen. Er hätte vorher nie geglaubt, dass es Reichertshausen einmal in die Tagesschau, in die "Heute"-Nachrichten, ins österreichische Fernsehen, in den Rundfunk und bis in internationale Auslandsmedien schaffen würde. "Das ist höchst bedauerlich, aber da wird es politisch. Das Thema Asyl wird uns noch länger beschäftigen, also ist eine kritische Betrachtung im Vorfeld des Faschingszugs angesagt - das sind wir der Gemeinde schuldig.\"

In der nachfolgenden Diskussion übte Wolfgang Linner (CSU) Kritik am nicht anwesenden SPD-Kreisrat Florian Simbeck, der den Stein auf "Facebook" ins Rollen gebracht hatte. Linner ist zwar auch gegen eine komplette Zensur, aber bei so sensiblen Themen müsse man "genau hinschauen". Insbesondere dann, wenn die AfD einige Wochen vorher die Möglichkeit des Schießens auf Asylanten nicht ausgeschlossen habe.

"Humor ist eine ernste Sache", sagte Florian Hepting (CSU). Es sei ja schon ein Konzept für künftige Faschingszüge in Arbeit, darauf müsse man aufbauen und aus der jüngsten Erfahrung lernen - mit aller erforderlichen Sensibilität, auch im Interesse aller Beteiligten am Faschingszug. Das griff auch Klaus König (CSU) auf, der Moll für dessen Offenheit dankte. Man sei durch das Geschehen eindringlich sensibilisiert worden und "bereits mittendrin im Aufarbeitungsprozess".

Klare Worte fand Reichertshausens Dritter Bürgermeister Benjamin Bertram-Pfister (SPD): "Dieser Panzer war ein No-Go, in dieser politischen Situation geht das nicht. Ich bin auch gegen Zensur, aber wir brauchen ein Gespür dafür, dass manche Themen allen schaden - dem Verein, der Kommune, allen Beteiligten." Kritik übte er an der Polizei und am Zugführer, die vor Ort hätten reagieren müssen. Für Franz Lechner (UWG) war "der Panzer gewagt, die Aufschrift ein Fehler". Einen Fehler habe aber auch "ein anderer mit vielen Followern" gemacht, der für die große Verbreitung der Nachricht gesorgt habe. "Wir sind aus ganz Deutschland als Drecks-Nazis bezeichnet worden. Mit welchen Gefühlen kommen die Flüchtlinge nach Steinkirchen, die die Bilder aus dem Osten Deutschlands gesehen haben"

Nächstes Jahr feiert der OCV sein 50-jähriges Jubiläum. Bis dahin werden viele Wunden verheilt und die Narben geglättet sein. Möglichst zwischen Ostern und Pfingsten dieses Jahres soll ein Kreis aus der Mitte des Gemeinderats zusammen mit den Verantwortlichen des OCV über die weitere Vorgehensweise beraten.