Pfaffenhofen
Sankt-Martins-Debatte außer Kontrolle

Wie das Martinsfest in Pfaffenhofen einen Shitstorm im Internet ausgelöst hat

12.11.2013 | Stand 02.12.2020, 23:26 Uhr

Im Schein der Laternen: Ihren Laternenumzug haben sich die Burzlbaam-Kinder nicht verderben lassen. - Foto: Straßer

Pfaffenhofen (PK) Nach der Sankt-Martins-Debatte in Pfaffenhofen bleibt ein schaler Beigeschmack. Sie ist ein Lehrstück dafür, wie Geschichten sich in der scheinbaren Anonymität des Internets verselbstständigen können und wie Wahlkampf in die Hose gehen kann. Denn was ein Vorstoß aus dem christsozialen Lager ins Rollen brachte, hatte längst nichts mehr damit zu tun, dass Eltern des Burzlbaams mit ihren Kindern kein Sankt-Martins-, sondern ein Lichter- und Laternenfest feiern wollten.

Die weitgehend sachliche Brauchtumsdiskussion im Vorfeld der Feier ist in den Schlagzeilen einer Internetseite instrumentalisiert worden – und der Kindergarten und die Stadt sahen sich mit einem „Shitstorm“ konfrontiert, wie man im Internet massenhaft auftretende, teils beleidigende Schmähkritik nennt.

In teils zügellosen E-Mails und in Internetkommentaren wird eingebettet in islamfeindliche Schimpftiraden gegen „linke Gehirnwäsche“ geätzt oder den „unterwürfigen Volksverrätern“ ans Herz gelegt, auszuwandern – oder gar „irgendwo im Stillen Suizid“ zu begehen. Das gehört noch zu den harmloseren Entgleisungen.

Wie ist es dazu gekommen? Ende Oktober macht im hessischen Bad Homburg die Nachricht die Runde, der Martinszug eines örtlichen Kindergartens solle in Sonne-Mond-und-Sterne-Fest umbenannt werden – angeblich aus Rücksicht auf Mitglieder anderer Kulturkreise. Das Sankt-Martins-Fest sei niemals offiziell umbenannt worden, dementiert die Stadt – vergeblich: Das islamfeindliche populistische Internetnetzwerk „Politically Incorrect“ (PI), dem Verbindungen zum Rechtsextremismus nachgesagt werden, greift das Thema auf: „Nun hat auch eine Kita in Bad Homburg ihren Beitrag zur Abschaffung Deutschlands geleistet“, schreibt ein namentlich ungenannter Autor – und veröffentlicht die Kontaktdaten eines Stadtvertreters und des Kindergartens.

Bei der Stadt Bad Homburg gehen laut eines Berichts der „Frankfurter Rundschau“ 240 E-Mails ein, darunter Beleidigungen und Bedrohungen. Sie verfehlen ihre Wirkung nicht: Am Ende sind bewaffnete Polizisten zum Schutz des Sankt-Martin-Umzugs abgestellt, der aber friedlich verläuft.

Anfang November bereitet in Pfaffenhofen der Kindergarten Burzlbaam wie schon in den Vorjahren sein Lichter- und Laternenfest vor. Ein Vater, der Pfaffenhofener CSU-Stadtrat Hans Bergmeister, vermisst den Bezug zum Heiligen Martin und tritt – Wahlkampf lässt grüßen – eine kommunalpolitische Debatte los. Die einen kritisieren den fahrlässigen Umgang mit den christlichen Wurzeln, die anderen unterstellen den selbst ernannten Brauchtumsbewahrern Scheinheiligkeit und Profilierung auf den Rücken anderer.

Doch die Auseinandersetzung verselbstständigt sich im Internet. Bergmeisters Facebook-Seite „Rettet den St. Martinsumzug“ findet binnen weniger Tage 20 000 Unterstützer, davon nur ein Bruchteil aus Pfaffenhofen. Der Kommunalpolitiker löscht die Seite, als sich darauf Kommentare aus dem rechten Eck häufen. Zu lesen ist etwa: „Wenn den Kanaken unsere christliche Kultur nicht gefällt, sollen sie abhauen und die linken Gutmenschen gleich mitnehmen.“

Der Shitstorm zieht immer weitere Kreise. Denn auch was im Lokalteil unserer Zeitung steht, bleibt überregionalen Rechtsextremen nicht verborgen. Seit der Moscheedebatte pflegen etwa die rechtspopulistische Pro-Bewegung oder die Bürgerbewegung Pax Europa Beziehungen zu Islamgegnern in der Kreisstadt. Und so landet ein Ausriss der PK-Berichterstattung auf der Internetseite von Politically Incorrect – eingebettet in einen Artikel über die Vorgänge in Bad Homburg. „Der Kulturstreit um St. Martin hat landesweit heftige Diskussionen ausgelöst, auch in Pfaffenhofen“, heißt es. Im scheinbar straffreien Raum des Internets hagelt es islamfeindliche Kommentare. Auch bei der PK-Redaktion gehen E-Mails aus dem ganzen Bundesgebiet ein, die meisten anonym und weit unter der Gürtellinie. Um St. Martin geht es da freilich keinem mehr. „Ihr werdet schon merken, wenn der Antichrist euch seine Kultur überstülpt“, heißt es in einer Zuschrift ohne Absender. „Bitte konvertieren Sie zum Islam und verlassen Sie unser Land“ in einer anderen.

Ungeachtet dessen feiern am Martinstag die Burzlbaam-Kinder entspannt ihr Laternenfest. Die Stadt betont, dass die Eltern der Kindergärten immer selbst entscheiden dürfen, was und wie sie feiern wollen. Doch von all dem bekommt der Internet-Mob nichts mehr mit – und es interessiert ihn vermutlich auch nicht.

Was bleibt ist ein Lehrstück: darüber, wie lokale Themen im Internet ungeahnt hohe Wellen schlagen können. Darüber, wie gut die Rechten vernetzt sind. Darüber, wie der Name auf einer Kindergarteneinladung Fremdenfeindlichkeit schüren kann. Es ist aber auch die Geschichte der Burzlbaam-Kinder und -Eltern, die sich die Freude an ihrem Laternenfest nicht haben verderben lassen. Wie schrieb der Burzlbaam-Elternbeirat in einem Leserbrief: „Die Geschichte des Heiligen St. Martin fragt nicht nach Religion oder Politik“, heißt es darin. „Sie lehrt vielmehr, dass wir füreinander da sein sollten.“ Was soll man dem noch hinzufügen