Pfaffenhofen
Hilflos, ausgeliefert, verzweifelt

Im Landkreis wird das Thema Mobbing in Angriff genommen – auch mit Hilfe aus Niedersachsen

04.04.2012 | Stand 03.12.2020, 1:38 Uhr

 

Pfaffenhofen (PK) Mobbing. Das ist keine harmlose Hänselei, sondern der systematische Angriff auf einen Menschen mit weitreichenden psychischen Folgen. Einer wachsenden Zahl von Opfern will man im Landkreis Pfaffenhofen nun mit einem bayernweit wohl bisher einmaligen Aktionsbündnis entgegen wirken.

Was mit fiesen Kommentaren wie „picklige Gurke“ oder „fette Presswurst“ begann, wurde für die zehnjährige Lena (Name geändert) zu einer regelrechten Tortur, die sie in tiefe Depressionen stürzte. Erst war es nur ein Junge, der ihr Beleidigungen an den Kopf warf. Doch immer mehr schlossen sich ihm an, sprachen Drohungen aus, wurden in der Pause auch körperlich aggressiv. Lena wurde isoliert, von Ängsten und Selbstzweifeln geplagt, dachte sogar an Selbstmord. Die Geschichten der Opfer, die in zahlreichen Internetblogs nachzulesen sind, erzählen immer von misshandelten Seelen. Mädchen, die durch die Verbreitung intimer Fotos im Internet diskriminiert werden. Jungs, denen man in Facebook Neonazi-Kommentare in den Mund legt, damit sich sogenannte Hassgruppen gegen sie formieren. Das Ergebnis: Heranwachsende, die sich hilflos, ausgeliefert und verzweifelt fühlen.

 

Lange Zeit verharmlost

Von aktuellen Fällen in der Region alarmiert, hat das Kreisjugendamt unter dem Motto „Mobbing – nicht mit uns!!!“ ein Pilotprojekt initiiert, das beispielhaft sein dürfte und über das der PK in loser Folge im Rahmen einer kleinen Serie berichten wird. Die Jugendpfleger haben sich mit der Elternakademie, der Erziehungsberatungsstelle der Caritas, der Internetplattform Pafnet und dem Schulamt zusammengeschlossen und auch über den Tellerrand nach Niedersachsen geblickt. „Wir wollen mit vereinten Kräften Eltern, Kindern und Jugendlichen zur Seite stehen“, erklärt Kreisjugendpfleger Manfred Liesaus, dem das „Riesenthema“ Mobbing „eine besondere Herzensangelegenheit“ ist.

Denn Liesaus ist nah dran am Geschehen und beobachtet mit wachsender Sorge, dass immer häufiger junge Menschen betroffen sind. „Leider ist Mobbing lange Zeit verharmlost und verdrängt worden“, sagt der Sozialpädagoge. Deshalb gebe es jetzt dringenden Handlungsbedarf. Denn „Opfer kann jeder werden und die Betroffenen kommen von alleine aus der Falle nicht mehr heraus“. Ein erster Schritt müsse sein, ein Bewusstsein für die Problematik zu schaffen, um Opfer überhaupt zu erkennen. Denn aus den unterschiedlichsten Gründen verheimlichen diese oft ihr Martyrium.

Erstes Element im Ansatz der Initiatoren ist die Sensibilisierung der Lehrer im Umgang mit der Thematik. Im Mittelpunkt steht dabei der sogenannte „No Blame Approach“. Hinter dem englischen Begriff steckt die Erkenntnis, dass man die besten Ergebnisse erzielt, wenn man einen Ansatz „ohne Vorwurf“ wählt. Gemeinsam suchen in einer Klasse alle Beteiligten nach Lösungen zum Schutz der Mobbing-Betroffenen – ohne Strafmechanismen. Vielmehr sollen die Täter begreifen lernen, welchen seelischen Schaden sie bei anderen anrichten. Zugleich wird ihnen in der Gruppe klar gemacht, dass ihre Handlungsweise sie selbst ausgrenzt und nicht die Opfer. „Schulen, die mit dieser Methode arbeiten, melden 80 Prozent Erfolg“, unterstreicht Liesaus die Wichtigkeit solcher Herangehensweisen. Je nach Größe der Schule können sich im Landkreis zwei bis vier Lehrer einen Tag lang darin ausbilden lassen. Zusätzlich bietet das Schulamt Lehrerfortbildungen zum Thema Cybermobbing an.

Weil Jugendliche sich lieber an Gleichaltrige wenden, wenn sie Probleme haben, sind die sogenannten Scouts ein weiterer wichtiger Faktor des Aktionsbündnisses. In einer bisher im Freistaat einzigartigen Zusammenarbeit des Pfaffenhofener Jugendamtes mit der Landesmedienanstalt Niedersachsen wurden zehn Jugendliche aus dem Landkreis für ihre Aufgabe in der Betreuung von Mobbingopfern ausgebildet (PK berichtete). Im Zuge der Kooperation steht den Betroffenen auch das Internetportal www.juuuport.de als Plattform zum Austausch über Erlebnisse und Probleme im Web oder mit dem Handy zur Verfügung. Dazu können sie sich persönlich von eben jenen Scouts beraten lassen. Betreut werden diese von Kreisjugendpfleger Manfred Liesaus, dem Leiter der Erziehungsberatungsstelle Markus Kotulla, Nicole Weger von Pafnet und Susanne Tober von der Schulberatung.

Wie kann ich erkennen, ob mein Kind gemobbt wird? Wer ist im Zweifelsfall mein Ansprechpartner und wie kann ich meinem Sohn oder meiner Tochter helfen? Auf diese Fragen gibt die Elternakademie Antworten, deren Vertreter sich am 23. April treffen, um mit Jörg Breitweg von der Aktion Jugendschutz ein neuartiges Konzept zu erarbeiten. Zudem bietet das Expertenteam der Caritas-Erziehungsberatungsstelle betroffenen Kindern, Jugendlichen und Eltern Hilfe an.

 

Bundesweite Wellen

Im Landkreis stehe man voll hinter dem Projekt, betont Landrat Martin Wolf (CSU): „Bei dem Problem Mobbing dürfen wir die Hände nicht in den Schoß legen. Es kann jeden treffen, gerade Kinder und Jugendliche müssen wir schützen.“ Er findet es „großartig, dass die Aktion ein so großes Echo erfährt und sogar bundesweit Wellen schlägt“.