Pfaffenhofen
Prechter-Prozess wird zur Posse

Staatsanwalt stellt Befangenheitsantrag gegen Richter – was die ganze Hauptverhandlung gefährdet

28.12.2011 | Stand 03.12.2020, 2:00 Uhr

−Foto: Kraus

Pfaffenhofen/Ingolstadt (PK) Der Untreueprozess um die Ehrenberger Feuerwehrhaus-Affäre ist gestern zur Posse geraten: Ein Streit zwischen Richter und Staatsanwalt gipfelte in einem Befangenheitsantrag, der zum Abbruch der Hauptverhandlung führen könnte. Um die Anklage ging es dabei gar nicht mehr.

Anstatt dass es am vierten Tag des Berufungsverfahrens gegen den ehemaligen Pfaffenhofener Bürgermeister Hans Prechter (CSU) und seinen Parteifreund Georg Hammerschmid am Ingolstädter Landgericht um die Sache gegangen wäre, ist der offensichtliche Kleinkrieg zwischen Staatsanwalt und Richter eskaliert und hat seinen Höhepunkt erreicht: Anklagevertreter Ingo Desing hat gestern an der Unparteilichkeit und Unvoreingenommenheit des Vorsitzenden Richters Georg Sitka gezweifelt und einen Befangenheitsantrag gegen diesen gestellt. „Sie lassen mir keine Wahl“, empörte sich Desing. „Ich lehne den Vorsitzenden Richter wegen der Besorgnis der Befangenheit ab“, ließ er offiziell zu Protokoll geben. Der Richter sei „nicht gewillt, die Verfahrensrechte der Staatsanwaltschaft zu achten“.

Auslöser war die vorangegangene Ablehnung eines Beweisantrags der Staatsanwaltschaft. Die wollte eine Handvoll weiterer Zeugen zu den angeblichen Abrechnungs-Tricksereien Hammerschmids beim Ehrenberger Feuerwehrhausbau laden lassen. Die Berufungskammer unter Sitkas Vorsitz lehnte dies als unnötig ab und verweigerte mehrfach eine sofortige Herausgabe der schriftlichen Begründung.

Dann wurde es persönlich: „Ich habe das Gefühl, Ihre Anträge zielen nur auf eine Verfahrensverzögerung hin“, kritisierte der Vorsitzende Richter den Vertreter der Staatsanwaltschaft. Mit seinem Verhalten trete er das Gericht mit Füßen. „Ich habe Ihnen schon großes Entgegenkommen gezeigt“, mahnte Sitka. Denn am vergangenen Verhandlungstag am 22. Dezember habe er die Verhandlung unterbrochen und vertagt, weil Anklagevertreter Desing, so sagte der Richter, zuvor zur „vergnüglichen Kontaktpflege“ auf einer Veranstaltung des Richterbunds gewesen sei und sich deshalb nicht auf die Sitzung habe vorbereiten können. Desing, der selbst von einer offiziellen Fortbildungstagung des Bayerischen Justizministeriums spricht, stürmte empört aus dem Saal, nachdem mehrere Anträge auf eine Sitzungsunterbrechung ebenfalls abgelehnt wurden.

Der Befangenheitsantrag, den der Staatsanwalt nach seiner Rückkehr in die Sitzung stellte, könnte weitreichende Konsequenzen für den Prozess haben: Die Ingolstädter Berufungskammer muss nun unter Ausschluss Sitkas prüfen, ob dieser befangen ist. Hammerschmid-Verteidiger Jesko Trahms warf natürlich ein, dass laut Strafprozessordnung der Antrag abzulehnen sei, wenn dadurch „das Verfahren nur verschleppt werden soll“. Sollte die Kammer aber entscheiden, dass der Richter ausgetauscht werden muss, geht alles zurück auf null: Ein neuer Richter muss sich neu einlesen, die Hauptverhandlung wird vermutlich abgebrochen und von vorne begonnen werden. Das würde den Prozessfortschritt viele Monate zurückwerfen.

Gestern wurde auch nach einer über einstündigen Sitzungsunterbrechung, während der auf dem Flur des Landgerichts banges Warten herrschte, keine Entscheidung mehr gefällt. Fortgesetzt wird die Hauptverhandlung nach Terminfindungsschwierigkeiten bei den Verteidigern schon morgen um 10 Uhr am Landgericht Ingolstadt.

Beim verbalen Schlagabtausch in der teils chaotischen Sitzung schaltete sich übrigens auch Prechter-Verteidiger Josef Grauvogl ein: „Das Reden verbieten Sie mir hier nicht“, schimpfte er an die Adresse des Staatsanwalts. „Wenn wir schon unhöflich sind, dann alle“, kommentierte Richter Sitka trocken. Verteidiger Trahms forderte sogar, gegen Desing „sitzungspolizeiliche Maßnahmen“ wegen dessen Abgangs zu verhängen – also ein Ordnungsgeld. Und im Publikum, das sich zum größten Teil aus Verwandten Hammerschmids zusammensetzte, rumorte es gewaltig. Von einer „Farce“ und „lachhaftem Verhalten“ war die Rede, auch gelegentliche, wenn auch leise Zwischenrufe gab es.

Dass ein Befangenheitsantrag, der ein faires Verfahren ermöglichen soll, nicht durch die Verteidigung, sondern durch die Staatsanwaltschaft gestellt wird, gilt unter Juristen als außergewöhnlich – und könnte darauf hindeuten, dass die Staatsanwaltschaft schon einmal ihre Chancen bei einer möglichen Revision verbessern will.