Pfaffenhofen
"Akzeptanz herstellen"

Andreas Neumair vom Bürgernetzverein erklärt, warum Daten trotz Spionage gespeichert werden müssen

05.07.2013 | Stand 02.12.2020, 23:56 Uhr

Zieht interessante Schlüsse aus dem NSA-Skandal: Andreas Neumair vom Bürgernetzverein plädiert dafür, trotz der Spionage Userdaten zu speichern. Sonst würden Verbrecher die Oberhand gewinnen - Foto: Straßer

Pfaffenhofen (PK) Die Enthüllungen des US-amerikanischen Geheimdienstmitarbeiters Edward Snowden haben die ganze Welt aufgeschreckt. Jetzt hat die Affäre dazu geführt, dass die Unionsparteien die seit Jahren umstrittene Vorratsdatenspeicherung aus ihrem Wahlprogramm gestrichen haben.

Severin Straßer hat sich mit Andreas Neumair über die aktuellen Entwicklungen unterhalten. Der 34-Jährige ist Vorsitzender des Pfaffenhofener Bürgernetzvereins sowie Geschäftsführer und Teilhaber des IT-Systemhauses Stahl.

 

 

Herr Neumair. Sind Sie als IT-Experte von den Enthüllungen Edward Snowdens überrascht worden?

Andreas Neumair: Ich habe gewusst, dass früher oder später was kommt. Mit was ich nicht gerechnet habe, ist, dass es eine einzelne Person schafft, durch ihre Enthüllungen die geplante Vorratsdatenspeicherung in Deutschland zu kippen. Edward Snowden ist für mich ein Held. Er hat alles aufgegeben, sein Leben weggeschmissen. Ich finde toll, was er gemacht hat. Seine Enthüllungen bringen uns auf den richtigen Weg.

 

Wie muss die Politik jetzt reagieren?

Neumair: Die Politiker haben gepennt und das Thema unterschätzt. Und dass sie jetzt zurückrudern und die Vorratsdatenspeicherung kippen wollen, das ist ein Armutszeugnis und eine Bankrotterklärung. Sie muss jetzt Vertrauen schaffen. Das ist das Wichtigste. Auf dem Stand, den wir momentan haben, dürfen wir auf keinen Fall stehen bleiben. So ist es einfach zu gefährlich, die Internetkriminalität wird sprunghaft steigen. Ich wäre als Bürger sogar damit einverstanden, dass meine Daten gespeichert werden, wenn ich Vertrauen in die Politik und Vertrauen in die hätte, die diese Daten speichern.

 

Die Politik muss es also schaffen, deutlich zu machen, dass die Daten gut aufgehoben sind und nicht von anderen Geheimdiensten abgegriffen werden können?

Neumair: Ganz genau. Das wäre mir persönlich der liebste Fall. Das ist wie mit den Kfz-Kennzeichen. Die werden auch zentral gespeichert, jeder hat ein gewisses Vertrauen in die Behörde. Und trotzdem haben die Strafverfolger die Möglichkeit, etwas herauszufinden. Das große Problem im Internet ist nur: Entweder ich erfasse alles, oder ich erfasse nichts. Und deshalb ist es eine schwierige Diskussion. Die Politik muss die Akzeptanz dafür herstellen, dass alles gespeichert wird, weil sie sonst keine Verbrecher mehr findet. Und ich möchte aber, dass die gefunden werden.

 

Braucht es dazu neue Institutionen?

Neumair: Die Politik muss es schaffen ein Gremium aus Juristen und Informatikern zu bilden, das sich Gedanken macht, wie man den Bürger informieren kann, dass ein Datensatz über ihn angelegt wurde. So einem Gremium würde ich meine Daten anvertrauen. Ich möchte auf alle Fälle darüber informiert werden, wenn meine Daten abgefragt werden und wer dahintersteckt. Das gibt mir eine Gewissheit. Wenn jetzt ein Polizist an meine Daten heranwill, möchte ich gerne wissen, warum ich ins Visier geraten bin. Dann kann ich mich verteidigen.

 

Das heißt, jetzt läuft so etwas komplett im Verborgenen ab?

Neumair: Genau. Ich bekomme das noch nicht einmal mit, wenn meine Daten abgefragt werden. Ich möchte Bescheid wissen. Nur so kann man Vertrauen aufbauen.

 

Aber das Vertrauen ist durch die Enthüllungen von Edward Snowden natürlich weg.

Neumair: Völlig. Das, was die USA gemacht haben, ist ja nur die Spitze des Eisbergs. Ich möchte gar nicht wissen, was hier in Deutschland alles passiert ist. Wenn man das Vertrauen der Bürger so verspielt, dann wird sich auf lange Sicht nichts mehr tun. Es wird jetzt eins passieren: Die Verbrecher, die im Internet unterwegs sind, werden sich die nächsten paar Jahre tierisch freuen. Das wird so lange gehen, bis noch mehr Leuten die Identität geklaut wurde, bis noch mehr Leute Probleme mit dem Gesetz bekommen haben, obwohl sie gar nichts gemacht haben. Menschen, denen Daten geklaut werden, von denen Bilder irgendwo hinkommen, wo sie es nicht wollen, denen Kreditkartendaten und Kontoverbindungen geklaut werden. Erst dann, wenn das wieder ein gewisses Maß überschritten hat, wird die Bevölkerung sagen: „Politiker, bitte unternehmt wieder was, so können wir es auch nicht lassen.“

 

Aber wie kann das im Internet technisch laufen, die Daten zu schützen?

Neumair: Das ist natürlich schwierig. Es läuft immer so: Der Verbrecher lässt sich etwas einfallen, der Staat unternimmt was dagegen. Verbrecher haben angefangen Handschuhe anzuziehen, damit sie keine Fingerabdrücke hinterlassen, dann wurde der DNA-Test entwickelt. Es ist immer ein Wettlauf. Es wird auch bei der Internetkriminalität ein Wettlauf bleiben. Aber unser Staat hat gepennt, wir haben nichts gemacht. Deshalb sind die Verbrecher derzeit weit vorne.

 

Es ist ihnen also zu einfach gemacht worden?

Neumair: Ja, natürlich.

 

Welche technischen Möglichkeiten gibt es denn, Datenleitungen zu schützen?

Neumair: Die Leitungen selber zu schützen, ist schwierig. Es muss einfach die Identität der User geschützt werden. Ich glaube wichtig ist, dass man die Anonymität des Internets irgendwann mal wieder auf einen Menschen runterbricht. Noch mal: Ich könnte mir vorstellen, dass es so ähnlich läuft wie beim Auto, dass jeder ein Kennzeichen hat. Und wenn ich Vertrauen in die Organisation habe, die diese Kennzeichen verwaltet, wäre ich auch damit einverstanden, dass meine Daten gespeichert werden. Aber nur wenn ich auch informiert werde, wenn ich irgendwo reingeraten bin und mich auch verteidigen kann. Sonst kann ich kein Vertrauen haben. Die Vergabe von IP-Adressen, die als eindeutiges Erkennungsmerkmal im Netz dient, sollte nicht mehr von Providern, sondern von einer staatlichen Stelle vorgenommen werden. Eben so ähnlich wie ein Kfz-Kennzeichen.

 

Haben Sie damit gerechnet, dass Geheimdienste wirklich so viele Daten abgreifen?

Neumair: Dass sie die Daten abgreifen, da war ich mir ganz sicher. Das Problem ist die Auswertung. Die Datensätze sind ja doch ziemlich groß. Und da dachte ich nicht, dass sie schon so weit sind, wie es derzeit scheint. Da war ich doch überrascht. Aber in Zukunft wird noch viel mehr möglich sein. Das sollte aber weder vom Staat noch von Verbrechern zum Schlechten ausgenutzt werden.

 

Was können die Geheimdienste von einem ganz normalen Bürger wissen?

Neumair: Ich gehe davon aus, dass sie von mir nicht besonders viel wissen. Ich glaube, dass alle Daten, die innerhalb von Deutschland geblieben sind, sicher sind. Ich betreibe mit meiner Firma selbst ein Rechenzentrum, da weiß ich sicher, dass da definitiv kein Ding dazwischensteckt, das irgendwelche Daten abgreift. Ich glaube Deutschland ist, was den Datenschutz angeht, eines der sichersten Länder der Welt.