Pfaffenhofen
Wo man gut arbeiten und gut leben kann

Neue Doppelspitze des Wirtschaftsbeirats will die vielen Vorzüge des Landkreises noch stärker ins Bewusstsein rücken

23.06.2017 | Stand 02.12.2020, 17:53 Uhr

Bei ihnen stimmt die Chemie: Vorstandssprecher Claude Herion (links), Chef einer in Wolnzach ansässigen Firma für Antriebstechnik, und der Stellvertretende Sprecher Franz Böhm, Inhaber einer Werbeagentur mit Sitz in Rohrbach, sind zwar auf völlig unterschiedlichen Geschäftsfeldern tätig, arbeiten aber an der Spitze des Wirtschaftsbeirates Hand in Hand für den Landkreis. - Foto: Richard Kienberger

Pfaffenhofen (PK) Seit Februar fungieren sie als Vorstandssprecher des Wirtschaftsbeirates. Jetzt stellt die Doppelspitze Claude Herion (55) und Franz Böhm (58) erste Pläne und Ziele vor. Weit oben auf der Agenda: Den Landkreis noch besser als bisher als ein Gebiet zu präsentieren, in dem man gut leben und gleichzeitig auch gut arbeiten kann. "Die Work-Life-Balance hier ist super", sagt Herion. "Aber unser Selbstverständnis dafür, dass wir hier ausgezeichnet unterwegs sind, ist leider in den eigenen Reihen nicht ausreichend vorhanden", bedauert Böhm. Doch Letzteres soll sich nun ja ändern.

Wer in den vergangenen Jahren an den Wirtschaftsbeirat des Landkreises dachte, der dachte automatisch an den Vorsitzenden Bernd Huber. Huber, der jetzt Ehrenvorsitzender ist, war Gesicht und Motor des Beirates. Warum hat man keinen direkten Nachfolger für ihn gewählt, sondern einen sechsköpfigen Vorstand, dessen Sprecher Sie sind?

Claude Herion: Der Wirtschaftsbeirat war eine One-Man-Show. Das Amt des Vorsitzenden war ein Fulltime-Job mit einer Vielzahl von Terminen, die Bernd Huber nur übernehmen konnte, weil er beruflich nicht mehr aktiv war. Er war in einer Person Vorsitzender, Sprecher, Organisator, Chauffeur und Sekretär. Als er mich fragte, ob ich mir vorstellen könnte, dieses Amt zu übernehmen, lehnte ich zunächst ab, weil das in dieser Form für einen aktiven Unternehmer nicht möglich gewesen wäre. Als er nochmal nachfragte, sagte ich, dass ich mir das nur als Doppelspitze mit Franz Böhm vorstellen könnte, weil wir uns schon immer sympathisch waren. Und von uns kam auch die Idee, einen breiten Vorstand ohne Vorsitzenden, sondern mit einem Sprecher zu bilden. Eine Rolle, die ohne großen Aufwand auch einmal ein anderer übernehmen kann, weil wir zum Beispiel beide viel im Ausland sind. Erst wurde die Satzung entsprechend geändert, dann haben wir uns zur Wahl gestellt.

 

Wie funktioniert denn die Aufgabenverteilung im Sechser-Gremium, von wem kommen die Vorgaben?

Franz Böhm: Die Vorgaben kommen schon weiterhin von der Spitze, die nach wie vor den Motor des Vorstandes bildet. Aber es ist nicht mehr so wie früher, wo Bernd Huber im Vorstand berichtete und wir anderen nur zugehört haben. Das war uns zu passiv, wir wollen einen aktiven Vorstand. Etwa alle sechs Wochen finden Arbeitssitzungen statt und es sind sich auch alle darin einig, dass jeder eine definitive Aufgabe übernehmen muss. Das reicht vom Bereich Compliance - also von der Entwicklung eines Regelwerks zum Umgang von uns Unternehmern untereinander - über das Thema "Wohnungen für Fachkräfte" bis hin zur Organisation des Unternehmertages und des Unternehmerforums, wo auch Bernd Huber mit seinen guten Kontakten natürlich weiter mit eingebunden sein wird.

 

Welche Themen- und Arbeitsschwerpunkte stehen denn in den nächsten Jahren im Vordergrund?

Herion: Der Wirtschaftsbeirat wurde ja institutionalisiert, das hat Bernd Huber großartig gemacht. Jetzt gilt es, aus diesem Gremium mit 25 Unternehmern, die im Leben stehen, Erfahrung haben und regional vernetzt sind, auch was zu machen. Wir schauen gerade, was man in diesem attraktiven Landkreis noch besser machen kann, wie man sich noch stärker vernetzt und welche konkreten Aufgaben wir übernehmen können. Es geht um lauter Ehrenämtler, die wir mitnehmen und begeistern wollen. Und da sind wir derzeit noch auf der Suche nach dem großen Thema, das sich als Aufgabe für die nächsten Jahre anbietet. Erst dachten wir, das Thema Fachkräftemangel wäre der gemeinsame Nenner für unsere Unternehmen, aber ich habe jetzt viele Kontakte zur Arbeitsagentur oder auch zu Inklusionsbeiräten und da bekommt man teilweise ein anderes Bild. Es stellt sich schon die Frage, ob wirklich ein Fachkräftemangel da ist, oder ob das nur ein Schlagwort ist, das von der Politik ausgenutzt wird. Das versuchen wir gerade gemeinsam zu bewerten.

 

Wie soll diese Bewertung ablaufen?

Herion: Zunächst brauchen wir konkrete Unternehmensdaten und die zu bekommen, ist gar nicht so einfach. Auch wenn man das in der heutigen Zeit, in der wir doch ständig irgendwelchen Behörden irgendwelche Daten liefern müssen, kaum glauben mag. Jeder hat seine eigene Kartei, aber es gibt nichts Gemeinsames. Aber das Thema gehen wir an. Wir müssen wissen, wie viele Gewerbetreibende, also Realunternehmer, es im Landkreis gibt. Das muss dann soweit wie möglich heruntergebrochen werden in Handwerk, Industrie und Dienstleistungen, auch um herauszufinden, wo der Fachkräftemangel wirklich ein Problem ist und ob nun in unserem Landkreis Kaufleute, Ingenieure, CNC-Dreher oder Verkäufer fehlen.

Böhm: Da sehen wir es wieder mal. Es wird alles mögliche an Zahlen und Fakten erhoben und jede Menge Daten werden in den Verwaltungen aufbereitet. Und wenn Du dann eine Liste möchtest, in der steht, wie viele Unternehmer hier ansässig sind, dann gibt es so etwas nicht. Dabei wäre es unheimlich wichtig, wenn wir nach Außen tragen könnten, dass es hier zum Beispiel 3000 oder auch 4000 Unternehmen aus den verschiedensten Branchen gibt. Das wäre eine Ansage an jede Fachkraft, der bewusst würde, welch breites Feld wir hier haben.

 

Örtliche Firmen, die im technischen Bereich tätig sind, klagen auf alle Fälle schon seit Jahren darüber, dass sie im Ringen um Fachkräfte vor allem gegen Audi keine Chance haben. Der Wirtschaftsbeirat unter Führung von Bernd Huber hat deshalb auch den Dialog mit Audi gesucht. Wird der fortgesetzt und sehen sie da Erfolgsaussichten?

Herion: Die Audi-Leute haben bei einem Treffen gesagt, dass sie Verantwortung für die Region übernehmen. Aber das ist schwierig für Audi, das ist ein Riesenkonzern und gehört zu Volkswagen. Da werden die Vorgaben gemacht und dabei wird man wenig Rücksicht darauf nehmen, was hier im Landkreis läuft. Den Dialog fortzusetzen, das ist schon in Ordnung. Aber Erwartungshaltung haben wir da keine.

 

Muss man bei der Suche nach Arbeitskräften heute andere Wege gehen?

Herion: Eigentlich sind wir Industrie- und Handwerksbetriebe doch die Kunden. Und die Lieferanten sind die, die eine Arbeit suchen oder sich beruflich verändern wollen. Und das Zusammenbringen von Kunden und Lieferanten sehe ich hier derzeit als Riesenproblem.

 

Warum?

Herion: Wenn wir nur einmal an junge Leute mit einem körperlichen Handicap denken. Da müssten doch die Schuldirektoren eigentlich die Unternehmer besuchen und denen sagen, "ich hab hier einen jungen Menschen mit Handicap, der gerne CNC-Dreher oder Ingenieur werden will. Geht da bei Ihnen was" Aber bei mir war noch nie ein Schulleiter und hat nachgefragt. Wir müssen die Leute zusammenbringen, an diesen Strukturen muss gearbeitet werden. Außerdem muss künftig in der Schule schon groß geschrieben werden, dass die Leute Verantwortung für sich selbst übernehmen und sich nicht zurücklehnen und auf Hilfe durch den Staat setzen. Wir können weder die Gesellschaft noch die Politik grundsätzlich verändern, aber wir können darauf aufmerksam machen, dass die jungen Leute ihre Zukunft selbst in der Hand haben. Sie sollten sich einfach trauen, zu den Unternehmen gehen, und sagen, was sie machen wollen.

 

Fakten und Unternehmensdaten sammeln, einen Branchenspiegel erarbeiten, dann das Thema Fachkräftemangel bewerten, für mehr Selbstverantwortung werben - gibt es noch weitere Ziele, die Sie sich gesetzt haben?

Böhm: Im Wirtschaftsbeirat sitzen gebündelt 25 Unternehmer, die alle Markenkontakte deutschlandweit oder darüber hinaus haben. Gemeinsam müsste es uns doch gelingen, dass wir ein neues Selbstverständnis entwickeln und auch nach Außen hin vermitteln können, dass man im Landkreis gut leben, gut arbeiten und dabei auch ganz gut verdienen kann. Das ist unsere Aufgabe. Wenn ich bei Auslandsreisen von Geschäftspartnern gefragt werde, wo denn meine Firma sitzt, dann passiert es mir auch heute noch immer wieder, dass ich sage "nördlich von München". Und das ist einfach falsch. Wir müssen das Selbstverständnis entwickeln, dass wir eben nicht "bei München" sagen, weil das nicht der Nabel der Welt ist. Natürlich verdient man in München gut, aber wenn Du dort keine eigene Wohnung besitzt, wird es schwierig. Bei uns im Landkreis kann man arbeiten und leben, in München geht das oft nur sehr schwer zusammen.

Herion: Die Work-Life-Balance ist hier wirklich im Vergleich zu vielen Gegenden in Deutschland und darüber hinaus super. Das müssen wir bekannter machen. Es gibt tolle Firmen, Baggerseen, Freibäder, Sporteinrichtungen, Schulen, kulturelle Angebote, schöne Cafés... Ich habe weltweit Freunde, wenn die hierherkommen, sagen die "ihr müsst ja viel Geld haben, hier ist ja alles vom Feinsten".

 

Imagewerbung ist eine Sache. Ist es auf der anderen Seite auch denkbar, dass sich Unternehmer - eventuell initiiert durch den Wirtschaftsbeirat - zusammentun und mal wieder Werkswohnungen für ihre Mitarbeiter bauen, da es bei uns ja für den Durchschnittsverdiener immer schwieriger wird, bezahlbaren Wohnraum zu finden?

Herion: Wir haben im Beirat den Ausschuss Wohnungsmarkt, da erarbeiten wir gerade Konzepte. Aber auf jeden Fall glaube ich, dass es eine der möglichen Lösungen sein kann, dass wir uns zusammentun und Werkswohnungen bauen. Das hat mein Großvater schon in Pfaffenhofen gemacht. Mit so etwas kann man Beispiele setzen, damit man sehen kann, dass das bei uns funktioniert und andere das auch anpacken können. Wie das gehen kann, zeigt zum Beispiel die Ausbildungsakademie, die die Wolnzacher Firma Linner und wir von WMH Herion gegründet haben. Wir wollen mit so etwas begeistern und dann wird der Kreis immer größer. Man darf uns aber auch nicht überfordern, wir machen das alles ehrenamtlich und was immer wir anpacken - es soll auf alle Fälle kein Schnellschuss, sondern nachhaltig sein.

 

Alles redet vom Arbeitskräftemangel. Haben denn die Flüchtlinge, die zu uns gekommen sind, für eine gewisse Entspannung auf dem Arbeitsmarkt gesorgt?

Herion: Nein. Man kann auf keinen Fall den Fachkräftemangel durch Flüchtlinge ausgleichen. Keine Chance. Das ist eine komplett andere Kultur. Vielleicht wird einmal die zweite Generation der Flüchtlinge, die heute bei uns ankommen, die dann hier in den Kindergarten und in die Schule gegangen sind und sich angepasst haben, den Arbeitsmarkt beleben. Aber da reden wir über einen Zeitraum von 20 oder 30 Jahren. Außerdem muss man auch an die industriellen Veränderungen denken. Die einfache Industriearbeit wird immer weniger. Wir sind ein Hochpreisland, das Hochtechnologie verkauft und leben von Entwicklung, Forschung und Innovation. Wie sollen die ganz einfachen Menschen mit keinerlei Schulbildung, die jetzt teilweise zu uns kommen, da den Anschluss finden?

Böhm: Wir haben es bei uns in der Firma geschafft, einen Syrer einzustellen. Aber grundsätzlich sind die Sprachbarrieren einfach enorm, die Unterschiede beim kulturellen Verständnis - das sprengt alles, was wir kennen. Aber ich sehe in der Digitalisierung, die für uns im Wirtschaftsbeirat ein großes Thema ist, auch eine Chance, diese Menschen schneller als bisher zu integrieren. Digitalisierung ist nicht nur der Grundstein, um vernetzt zu arbeiten, sondern auch um Integration zu betreiben. Aus dem Smartphone, das doch heute jeder dabei hat, könnte bald der Kommunikator werden. Man spricht rein und kriegt eine Simultanübersetzung. Wenn ich mit einem Afghanen auf Deutsch sprechen kann und der versteht mich, dann ist doch die größte Integrationshürde genommen. Ich bin davon überzeugt, dass uns das eine echte Chance bringt, erfolgreich Integration zu betreiben.

 

Was plant der Wirtschaftsbeirat in Sachen Digitalisierung? Wie weit sind denn die örtlichen Unternehmen da schon?

Herion: Digitalisierung, das ist genauso ein Riesenbegriff wie Industrie 4.0. Wenn ich heute vier Professoren frage, was das ist, dann kriege ich fünf Antworten. Wir versuchen jetzt, das Ganze bei Unternehmerforen und Workshops herunterzubrechen und zu erklären, weil das momentan gerade für viele Handwerksbetriebe noch zu abstrakt ist und es deshalb auch unnötige Berührungsängste gibt.

 

Nicht zuletzt mit Blick auf das Gewerbegebiet Bruckbach und den Riesenkomplex, den die Firma Thimm dort erstellt hat: Braucht der Landkreis immer noch weitere große Firmenansiedlungen oder kommen wir an die Schmerzgrenze, bei deren Überschreitung der Kreis an Lebensqualität einbüßt?

Böhm: Als die ersten Gespräche über die Thimm-Ansiedlung liefen, stand die Automobilbranche gerade mit dem Rücken zur Wand und man suchte in der Sorge um Arbeitsplätze dringend nach Alternativen zur Automotivsparte. Zu der Zeit, als über dieses Projekt entschieden wurde, war das meines Erachtens also der richtige Entschluss - auch wenn ich nicht unterschreiben würde, dass so etwas heute nochmal ähnlich laufen würde.

Herion: Wie viel Industrie verträgt der Landkreis - dieses Thema wird sicher künftig noch kritischer diskutiert werden. Auch zur Klärung dieser Frage brauchen wir die schon angesprochene Datenerhebung. Natürlich brauchen wir ein gesundes Wachstum, aber wir müssen andererseits nicht auf Gedeih und Verderben Riesenunternehmen in den Kreis holen. Die bestehenden Unternehmen sollen mit ihrem gesunden Branchenmix organisch weiterwachsen. Das muss im Gleichgewicht bleiben.

 

Sie sind beide erfolgreiche Unternehmer. Was würden Sie denn jungen Leuten heute als Tipp mit auf den Berufsweg geben?

Herion: Man muss an seinen Ideen und Visionen festhalten und an sich glauben. Es gibt keinen Plan B! Diese Einstellung, die viel mit Kreativität und Eigenverantwortung zu tun hat, hat mir in meinem Leben sehr geholfen. Und zu dieser Einstellung würde ich auch der Jugend raten, denn wenn ich ständig sage, wenn das nicht funktioniert, dann das, und wenn das auch nicht, dann was anderes, dann wird sich wenig weiterentwickeln.

Böhm: Unternehmer sein, das ist ein total geiler Job. Du kannst wirklich viel machen und die Leute dazu bewegen, auch selber was anzupacken und zu machen. Wir wollen den jungen Leuten Mut machen, selbst als Gründer aktiv zu werden.

 

Die Fragen stellte Robert Schmidl.