Pfaffenhofen
Durch "10-H-Plus" ein Mehr an Einfluss

Gemeindetagsexperte erklärt, weshalb die Windkraftplanung für die Bürger zusätzlichen Schutz bedeutet

22.09.2016 | Stand 02.12.2020, 19:16 Uhr

Pfaffenhofen (PK) Es ist eine skurrile Situation: In Ilmmünster haben Gemeinde und Bürger über Monate über Windkraft diskutiert und sich in einem Bürgerentscheid schließlich gegen Anlagen im Gemeindebereich entschieden. Nun will ein privater Investor trotzdem zwei Windräder mit 150 Metern Gesamthöhe errichten. Ob er sich innerhalb der Konzentrationsfläche an die 10-H-Regelung hält, wird gerade am Landratsamt geprüft. Die Gemeinde hat keine Möglichkeit, etwas dagegen zu unternehmen. Matthias Simon, Baurechtsexperte beim Bayerischen Gemeindetag, erklärt die Hintergründe - und warum der Bau von Windrädern bei Ilmmünster nun keine politische Entscheidung mehr ist.

Herr Simon, die Gemeinden haben einen Teilflächennutzungsplan mit Konzentrationsflächen für Windkraft aufgestellt. Nun gibt es auch die 10-H-Regelung des Freistaats. Über eine privilegierte Anlage auf einer Konzentrationsfläche entscheidet ein immissionsschutzrechtliches Verfahren am Landratsamt. Welche Rolle spielt hier die Gemeinde?

Matthias Simon: Mit der Privilegierung macht ein Projektant lediglich von seiner Baufreiheit Gebrauch. Die 10-H-Regelung sowie die Teilflächennutzungsplanung greifen bereits vorab steuernd, also durch eine Entprivilegierung, ein. Aus diesem Grund reduziert sich die Beteiligung der Gemeinde auf das sogenannte Einvernehmensverfahren, indem sie sich unter anderem zur Erschließung, ihren Planungen sowie zu eigenen Belangen äußern kann. Die Genehmigung erteilt am Ende das Landratsamt anhand objektiver Kriterien. Entgegen der verständlichen Annahme vieler Bürger spielt die "Politik" an dieser Weiche keine Rolle. Bei Einhaltung von 10 H, der Teilflächennutzungsplanung, sonstiger Gesetze und den Belangen des Naturschutzes gelangt man schlichtweg zu einem Genehmigungsanspruch, den alle Beteiligten nach Recht und Gesetz zu prüfen haben. Das kann mehrere Monate dauern.

 

Wenn ein Windrad 10-H-konform ist und auf einer Konzentrationsfläche liegt, wie es nun in Ilmmünster der Fall ist: Könnten die Gemeinden ihre Einflussmöglichkeiten durch die zusätzliche Aufstellung eines Bebauungsplanes für die Konzentrationsflächen stärken beziehungsweise sich dadurch die Planungshoheit sichern?

Simon: Plant ein Antragsteller teilflächennutzungsplan- und 10-H-konform, hat die Genehmigungsbehörde nach Recht und Gesetz zu entscheiden. Die gemeindlichen Steuerungsmöglichkeiten stellen sich dann regelmäßig als gering dar. Die Gemeinden haben sich auf Ebene der Teilflächennutzungsplanung ja bereits Gedanken gemacht, an welchen Stellen Windräder vorstellbar sind. Es bedarf dann einer "städtebaulichen Begründung", weshalb eine zusätzliche Steuerung durch einen Bebauungsplan notwendig ist."

 

Darf im Landkreis auch ein Windrad gemäß der 10-H-Regelung gebaut werden, wenn der Standort außerhalb der Konzentrationsflächen liegt?

Simon: Nein. Die Bürger sind doppelt geschützt. Einmal durch die 10-H-Regelung - das Windrad muss das Zehnfache seiner Höhe von der nächstgelegenen Wohnbebauung wegstehen. Zusätzlich muss es aber gleichzeitig noch - weil die Landkreisgemeinden dies so gesteuert haben - innerhalb einer Konzentrationsfläche liegen. Der Landkreis hat diese Sonderstellung, weil er sich nicht nur auf die 10-H-Regelung verlassen hat, sondern gleichzeitig eine Teilflächennutzungsplanung vorgenommen hat. Ich würde das "10-H-Plus" nennen. Dadurch wird durch die Gemeinden ein "Mehr" an Einfluss genommen und der Bürger wird besser geschützt - auch wenn das in weiten Teilen nicht vollständig nachvollzogen werden kann, weil sich das rechtliche Gefüge als äußerst komplex darstellt.

 

Hat der Teilflächennutzungsplan die Situation im Vergleich zu vorher verbessert oder verschlechtert? Oder bietet 10 H letztlich den besseren Schutz?

Simon: Für den Landkreis stellt sich die Entweder-oder-Frage nicht. Es gibt anderswo Gemeinden, die haben beschlossen, dass ihnen die 10-H-Regelung genügt. Das heißt, dort darf ein Windrad bei zehnfachem Abstand seiner Höhe privilegiert gebaut werden. Man geht dort zum Landratsamt und beantragt einfach die Genehmigung. Daneben gibt es den Fall, dass es bereits eine Ausweisung von Konzentrationsflächen gab, bevor das Gesetz zur 10-H-Regelung in Kraft trat. Solche Gemeinden haben oftmals beschlossen, dass ihnen eine Steuerung über die Konzentrationsflächenausweisung reicht. Sie verzichten auf 10 H. Und es gibt den Landkreis Pfaffenhofen mit der 10-H-Regelung plus der eigenen Steuerung. Ich würde sagen, dass Pfaffenhofen demnach einen sehr schlüssigen Weg gewählt hat, was den Schutz des Bürgers angeht.

 

Ist der Teilflächennutzungsplan änderbar?

Simon: Es gibt nach meinem Dafürhalten gegenwärtig keinen Grund dafür. Wenn ein Antragsteller im Landkreis nicht 10-H-konform bauen will, muss er innerhalb der Konzentrationsfläche liegen - genauso wenn er 10-H-konform bauen will. Unterschreitet er den 10-H-Korridor, braucht er zusätzlich noch einen Bebauungsplan. Hält er sich an 10 H, darf er privilegiert - also innerhalb der Konzentrationszone - bauen. Das dürfte er aber auch, wenn die Gemeinde keine Konzentrationsflächen ausgewiesen hätte. Wenn die Konzentrationsflächen nicht da wären, dürfte der Antragssteller überall außerhalb des 10-H-Korridors privilegiert bauen. Der Bürger erleidet durch den Teilflächennutzungsplan also keinerlei Nachteile. Es ist dadurch ein "Weniger" an Raum und ein "Mehr" an Steuerung für die Gemeinde und die Bürger gewonnen. Den Plan kann man natürlich dennoch ändern.

 

Könnte man die beiden Vorgaben deckungsgleich formulieren: Die Teile der Konzentrationsflächen fallen weg, die nicht 10-konform sind?

Simon: Dann begeben wir uns unter Umständen in den Bereich einer sogenannten Negativplanung oder generieren einen Abwägungsfehler. Man benötigt eine "städtebauliche Begründung" für eine solche Überarbeitung. Ein schlichtes "Wegzwicken" könnte zu einem fehlerhaften Teilflächennutzungsplan führen und in der Folge zu einem Weniger an Steuerung.

 

Wenn ein Windrad auf einer Konzentrationsfläche liegt, aber nicht 10-H-konform wäre, dann braucht es einen Bebauungsplan. Wer trägt die Kosten?

Simon: In der Regel wird die Gemeinde mit dem Investor, der ja ein Interesse an der Bauleitplanung hat, einen Planungskostenerstattungsvertrag schließen. Dieser hat sodann die Kosten der Bauleitplanung zu tragen. Diese können sich je nach vorrätigem Datenmaterial bis zu mehreren 10 000 Euro bewegen.

 

Was kann ein Bebauungsplan regeln?

Simon: Beispielsweise die Standorte der Anlagen, die Abstände zueinander und deren Höhe.

 

Im Fall Pfaffenhofen will die Bürgerenergiegenossenschaft Windräder bauen, aber die Stadt noch einen Bürgerentscheid abhalten. Die Standorte sind nicht 10-H-konform, aber liegen auf einer Konzentrationsfläche. Kann hier ein privater Investor zeitgleich einen Antrag nach dem immissionsschutzrechtlichen Verfahren stellen?

Simon: Das Gesetz knüpft keine speziellen Voraussetzungen an das Recht, eine Genehmigung zu beantragen. Aber man benötigt einen privatrechtlichen Zugriff auf die Fläche: Nur dann kann man darauf bauen.

 

Auch wenn laut Teilflächennutzungsplan Größen und Höhen vorgegeben sind: Sind Befreiungen möglich? Beispielsweise wenn eine Höhe von 190 Metern möglich wäre, kann trotzdem mit 198 Metern gebaut werden?

Simon: Der Teilflächennutzungsplan kennt keine Befreiungssystematik. Bebauungspläne sind aus den Flächennutzungsplänen zu entwickeln und haben sich demnach an dessen Darstellungen zu halten. Privilegierte Vorhaben ebenso.