Pfaffenhofen
"Wer schreiben kann, kann auch malen"

Ganz legal: Sprayer verwandeln Fußgänger-Unterführung in ein Gesamtkunstwerk

24.05.2016 | Stand 02.12.2020, 19:46 Uhr

"Jeder hat Potenzial": Kursleiter und Graffiti-Profi Andreas Dill erklärt im Tunnel die Technik, hilft mit Tipps und Tricks.

Pfaffenhofen (PK) "Die Kuh war einfach da", meint Lorenz Benz auf die Frage, weshalb er sich als Motiv für "100 Prozent Simmentaler Rind" entschieden hat. Jetzt ist sie fertig, eingeklemmt zwischen Hamburgerbrötchen, Gurken und Tomaten.

"Die werben damit, dass sie tatsächlich Fleisch verkaufen, und auch noch so billig", verweist der knapp 13-Jährige auf einen großen Fastfood-Anbieter. Das mag er nicht und die Hamburger auch nicht. Dass seine Simmentaler im gesprühten Protest eine schwarzbunte Holsteiner geworden ist, darf man der künstlerischen Freiheit zuordnen. Lorenz ist einer von neun Teilnehmern des Graffiti-Workshops, angeboten von der Stadtjugendpflege. "Ich würde noch ein paar Punkte wie Lichter hineinsetzen", erklärt Leiter Andreas Dill einem anderen Sprayer, der gerade eine Skyline auf die Wand bringt. Gegenüber arbeitet Raphael Schäfer (13) an seinem "Iron Man mit Stark Industries".

Tatort ist die Fußgänger-Unterführung zwischen Niederscheyern und dem Schul- und Kindergartengelände, und das Sprühen ist hier ganz legal. Seit zehn Jahren beschäftigt sich Andreas Dill mit der Graffitikultur; seine beeindruckenden Arbeiten sind an vielen - ebenfalls legalen - Wänden in Pfaffenhofen zu sehen. Grundlagen, Tipps und Tricks gibt er gern in Workshops weiter und sieht in ausnahmslos jedem Teilnehmer Potenzial: "Wer schreiben kann, der kann auch malen". Jeder habe doch als Kind gern gemalt, doch die Freude daran sei bei vielen leider irgendwann verloren gegangen, meint er: "Und wer kritzelt nicht gern nebenbei beim Telefonieren" Zwar sei der Workshop eigentlich für Jugendliche gedacht, doch: "Wenn noch Platz an der Wand war, haben auch schon Eltern mitgemacht - und zwar richtig gern".

Ohne Skizze einfach loslegen, das können nur echte Profis, deshalb gehört der erste Tag des Workshops der Vorarbeit; erst am zweiten Tag geht es an die Wand. Und die muss erst einmal vorgestrichen werden. Dabei verschwinden die Werke der Vorgänger, ein Schicksal, mit dem sich jeder Sprayer abfindet. "Man muss lernen, mit der Sache abzuschließen", sagt Andreas Dill, "es ist ja keine Leinwand, die von einem Sammler archiviert wird". So könne es durchaus passieren, das auf den legalen Wänden ein Bild schon zwei Tage später übersprüht werde: "Ein Foto muss genügen". Das Geklacker der kleinen Kugeln in den Sprühdosen ist dann am zweiten Tag in der Unterführung tonangebend. Natürlich tragen alle Teilnehmer einen Mundschutz; ein junges Paar hält beim schnellen Gang durch den Tunnel automatisch die Luft an. "Mit der Maske merkt man eigentlich nichts", meint Raphael, der sich nach dem Motto "Cool wär's doch" für den Workshop eingeschrieben hat. Auch Oliver Severin, ebenfalls 13, kam auf Empfehlung eines Freundes. In der Spruchblase seines riesigen Donald Duck steht daher nun "Max, my Friend". Kurz und knapp erklärt der 28-jährige Sebastian Schwamm, weshalb er bei sommerlicher Hitze im Tunnel auf der Leiter steht: "Aus Bock". Es ist sein erster Graffiti-Kurs und sein Werk - man einigt sich darauf, dass es eine Art Elch ist, der einen Besen schwingt - findet er "ganz okay".

Matthias Stadler von der Stadtjugendpflege sprüht mit Schablone deren Logo zwischen die frischen Arbeiten; auch bei Glanzpunkten und Seifenblasen ist er behilflich. Das permanente Schütteln und Drücken spüren die Sprüher deutlich in den Fingern. "Die Hände werden schon beansprucht, und eine gewisse Kraft sollte vorhanden sein - daher die Teilnahme ab 13 Jahren", erklärt Andreas Dill. Früher arbeiteten Graffiti-Künstler in erster Linie mit Autolacken, doch mittlerweile gibt es Farben, die speziell für die Szene entwickelt wurden. Auch die haben den typischen Geruch, und daher überlegen die beiden Radlerinnen, ob sie die Unterführung passieren sollen: "Na gut, aber schnell".

Während die neuen Werke nun eher im Verborgenen blühen, leuchten andere Pfaffenhofener Graffitis an exponierten Stellen. Wie gehen die Betrachter damit um? Eigentlich könne man eine recht hohe Akzeptanz in der Kreisstadt feststellen, meint Andreas Dill. Seine persönliche Erfahrung: "Die Generation Ü60 hat mehr Freude daran als 40Plus". Am späten Nachmittag ist die Unterführung ein frisches Gesamtkunstwerk, die Dosen werden in Kisten verstaut und Lorenz Benz hofft, dass seine Hamburgerkuh nicht so bald von einem Sprayer übermalt wird. Drücken wir ihm die Daumen.