Pfaffenhofen
Äpfel gebracht und die Mutti mitgenommen

05.12.2016 | Stand 02.12.2020, 18:57 Uhr

"Der traurigste Nikolaustag in meinem Leben war der 6. Dezember 1957. Ich war damals Schüler der zweiten Klasse an der Volksschule Reichertshausen. Den Schulweg legten wir Oberpaindorfer meistens zu Fuß zurück, später mit dem Fahrrad. Nur im Winter fuhren wir mit dem Zug. Die Älteren mussten auf die Kleinen achtgeben. "Wer nicht pariert, wird vom Nikolaus mitgenommen", wurden wir eingeschüchtert. "Die ganz Schlimmen werden vom Krampus in den Sack gesteckt."

Als ich am Nikolaustag 1957 nachmittags wie gewohnt nach Hause kam, erwartete mich mein Vater an der Haustüre. Freudig erzählte ich ihm, dass der Nikolaus an der Schule war und jedem Kind etwas mitgebracht hat: einen Lebkuchen und einen Apfel. Die Lebkuchen hatte unsere Lehrerin, Fräulein Rannertshauser, selbst gebacken. Den Nikolaus spielte der spätere Bürgermeister Hans Oberhauser in einem ausgedienten Messgewand des Pfarrers - er war keineswegs furchteinflößend, wie wir Kinder das erwartet hatten.

Mein Vater hat mich dann vorsichtig unterbrochen und ganz zögerlich geantwortet, dass bei uns der Nikolaus auch da war. Er hat uns aber nichts gebracht. Er hat uns deine Mutti mitgenommen. "Ja - wie, was, warum", fragte ich ganz verwirrt. Mein Vati nahm mich an der Hand und führte mich schweigend ans Bett meiner Mutter. Sie lag darin. Sie war noch da, aber doch nicht mehr ganz da - sie war gestorben."

Erst ein paar Tage vorher war sie aus dem Krankenhaus nach Hause gekommen. Sie hatte eine monatelange Leidenszeit hinter sich. Ich war damals der Meinung, wer aus dem Krankenhaus entlassen wird, ist gesund oder wird es bald. Und alles wird dann so wie früher sein. Aber meine Mutti wollte nur daheim sterben. Und jetzt war sie tot.

Mitgenommen vom Nikolaus? Es blieb für mich als Kind unerklärlich. Er nimmt doch nur die Bösen mit. Aber warum meine Mutter?

Am Abend zogen die Burschen aus dem Dorf als Krampus verkleidet um die Häuser. Furchterregend und mit Kettengerassel wollten sie auch mich erschrecken. Mein Vater schickte sie weg.

In den folgenden Tagen wurde ich viel getröstet. Es wäre für sie eine Erlösung gewesen, hieß es. Sie müsse jetzt keine Schmerzen mehr ertragen und habe ihren Platz im Himmel gefunden - direkt neben dem Heiligen Nikolaus. Tatsächlich ist ihr Grab, ihre letzte Ruhestätte, direkt neben der Nikolauskirche in Paindorf.

Inzwischen sind fast 60 Jahre vergangen. Irgendwie, so glaube ich, wurde ich durch dieses Kindheitserlebnis vorgeprägt. Fast 40 Jahre habe ich den Nikolaus verkörpern dürfen. In etlichen Vereinen bei Weihnachtsfeiern, zeitweise in den Kindergärten und bei vielen Familien. Ich habe mich dabei stets nicht nur wie ein Darsteller gefühlt. Ich wollte vielmehr für die Kinder immer der Gabenbringer sein, der wirkliche, echte, gute Nikolaus." ‹ŒPeter Waidosch