Pfaffenhofen
"Wir wollen unsere Meyra leben sehen"

Zweijährige leidet an bisher unheilbarer Krankheit Ihre Familie tut alles für sie und braucht jetzt Hilfe

02.12.2016 | Stand 02.12.2020, 18:58 Uhr

Foto: Magdalena Zurek

Pfaffenhofen (PK) "Meyra zeigt uns den Weg und wir helfen ihr, ihn zu gehen" - was einfach klingt, ist für die Eltern des zweijährigen Mädchens ein täglicher Kampf. Denn Meyra Serbest leidet an der bisher unheilbaren Spinalen Muskelatrophie SMA.

Hatice Serbest erinnert sich noch gut an die Wochen nach der Geburt. Der überschwänglichen Freude über den Familienzuwachs folgten Tage der Unsicherheit. "Irgendwas stimmt mit unserer Kleinen nicht" - dieser Gedanke drängt sich der Mutter zunehmend auf. Denn ihre Meyra ist anders als die übrigen Babys auf der Station. "Sie hat nicht gestrampelt, nicht laut geschrien". Nach einigen Wochen wird die Sorge zur Gewissheit: Das Mädchen leidet unter einer unheilbaren spinalen Muskelatrophie (siehe auch Infokasten). Schlimmer als der Schock über diese Diagnose sei jedoch die Haltung der Ärzte gewesen, erzählt die heute 35-Jährige. "Lassen Sie das Kind gehen", riet man den Eltern. Und hinter ihrem Rücken wurde die Kleine als "Schlappi" bezeichnet. "Sie können sich gar nicht vorstellen, wie weh das getan hat", meint die gebürtige Münchnerin, der bei der Erinnerung an den "Albtraum" die Tränen kommen.

Ihr Mann reagiert unversöhnlich. "Das ist doch eine Aufforderung zum Mord", meint er. Für den 47-Jährigen galt damals wie heute: "Jedes Kind ist ein Geschenk Gottes. Wir wollen unsere Meyra leben sehen". Dafür mussten sie sich als "egoistisch" bezeichnen lassen, erklärt die Mutter, die ihren Job als Verkäuferin an den Nagel gehängt hat, "um rund um die Uhr für unser Kind da zu sein".

Es dauert lange, bis sie in Freiburg einen Experten finden, der sich mit dieser seltenen Krankheit auskennt. "Wir waren wirklich in jeder Klinik", meint dazu Aleyna. Die Sechsjährige ist es auch, die ganz lapidar erklärt, was mit ihrer Schwester nicht stimmt. "Die kann nicht so richtig atmen und nicht selber essen, da helfen wir ihr halt dabei". Ganz selbstverständlich ist das für sie. Ebenso selbstverständlich, wie das gemeinsame Spiel. Meyra gluckst fröhlich, wenn die Schwester ihr das Mobile über der Couch anstupst. Nur wenn die Mama aus dem Blickfeld gerät, dann wird sie unruhig. Wimmert leise. Schreien kann sie nicht, "dafür sind ihre Muskeln nicht kräftig genug", so Doreen Lutz. Die Kinderkrankenschwester gehört quasi mit zur Familie. Von Montag bis Freitag ist sie zwischen 8 und 13.30 Uhr bei den Serbests. Übernimmt den Teil der Versorgung, den die Mutter und Oma Halise nicht leisten können: Medikamentengaben, Physiotherapie, das Absaugen des Schleims, an dem Meyra ohne Hilfe ersticken würde. Gerade ist sie dabei die Magensonde zu reinigen, über die die Zweijährige ihre Nahrung erhält.

Die Wärme, die den Besucher in dem kleinen Wohnzimmer empfängt, kommt nicht nur vom bullernden Ölofen. Sie ist auch der Art zu danken, wie diese Familie mit ihrem schweren Los umgeht. Kein Hadern und Jammern. Stattdessen eine leise Fröhlichkeit. "Meyra reagiert sehr sensibel auf negative Stimmungen, wir wollen es ihr so behaglich wie möglich machen", sagt die Mutter. Kürzlich feierte Meyra ihren zweiten Geburtstag. Mit einem Lolli - "damit sie mal was Süßes schmeckt, weil sie doch keine Kekse schlucken kann", erläutert Aleyna fachmännisch.

Um ihrer Tochter die bestmögliche Behandlung zukommen zu lassen, nehmen die Eltern an einer Medikamenten-Studie teil. "Heilung bleibt ein Wunschtraum, aber alles, was unserem Schätzchen ein Stück Lebensqualität mehr gibt, ist gut", sagt dazu die Mutter und ist froh, dass sie ihrem Kind bisher den sonst üblichen Luftröhrenschnitt zur Beatmung ersparen konnte. "Wir brauchen nur nachts eine Atemmaske". Regelmäßig muss Meyra im Zuge besagter Studie in die Klinik nach Freiburg. Mit einem normalen Pkw ist das bald nicht mehr möglich, denn die Zweijährige ist tüchtig gewachsen. "Da Meyra aber nicht sitzen und daher nur im Liegen transportiert werden kann, brauchen wir eigentlich einen Kleinbus mit Beatmungsgerät und Notfallequipment, der auch noch Platz für Mama und Krankenschwester bietet". Den aber kann sich die Familie nicht leisten. Papa Cetin ist Lkw-Fahrer und Alleinverdiener. "Allein der Umbau eines normalen Neunsitzers kostet schon rund 25 000 Euro", weiß er von Betroffenen in der Selbsthilfegruppe, der er sich mit seiner Frau angeschlossen hat. Meyra sei zwar "in ihrem Körper gefangen", geistig aber völlig normal. Deshalb böte so ein Bus auch die Chance, "mit ihr mal in den Zoo zu fahren, um ihr ein bisschen Abwechslung zu bieten". Was im Übrigen auch Aleyna "super toll" finden würde.

Ein weiteres Problem treibt die Familie um. Bisher leben sie mit der Oma im ersten Stock eines 100 Jahre alten Hauses in der Quellengasse. Im Bad gibt es keine Wanne -"und in den Waschzuber, den wir bisher genutzt haben, passt Meyra nicht mehr rein". Dabei müsste sie täglich ihre Übungen im warmen Wasser machen. Die Mutter träumt daher "von einer Dreizimmerwohnung mit Wannenbad im Erdgeschoss". Ein bescheidener Traum. Wenn die "Schmerzgrenze" aber bei 800 Euro Warmmiete liegt, wird es schwer, etwas Geeignetes zu finden. Zumal die Familie gerne in Pfaffenhofen und Umgebung bleiben würde, denn " hier haben wir uns ein ganzes Netzwerk von Freunden und Hilfen aufgebaut".

Hatice Serbest hat nun einen Antrag auf Unterstützung beim Verein Familien in Not gestellt. Die Mitglieder bewilligten nach eingehender Prüfung zunächst 2000 Euro als Soforthilfe zur Anschaffung von Hilfsmitteln, die Meyras Pflege erleichtern. Bei weiterem Förderbedarf wird erwogen, die Kosten für die Fahrten zur Klinik in einem Spezialfahrzeug zu übernehmen. "Alle übrigen Hilfsmaßnahmen für die Familie hängen mit davon ab, wie viele weitere Anträge bei uns eingehen und wie hoch das Spendenaufkommen bei der diesjährigen Vorweihnacht der guten Herzen sein wird", sagt Hermann Heubeck, Zweiter Vorsitzender des Hilfsvereins.

Die erste Wochenbilanz der Hilfsaktion fiel im Übrigen ganz hervorragend aus - vor allem dank einer äußerst großzügigen Spende der Rohrbacher Firma Trob.