Pfaffenhofen
Unter Kontrolle der Sieger

Der Neuanfang: Das Gewerbe im Landkreis Pfaffenhofen leidet in der Nachkriegszeit am Materialmangel

30.05.2016 | Stand 02.12.2020, 19:45 Uhr

Ein Blick in die Werkstatt aus der Anfangszeit von Lowa: Im Bild Therese und Lorenz Wagner (Mitte stehend), Seniorchef Johann Nepomuk Wagner (Zweiter von rechts) und Lehrling Sepp Lederer (ganz rechts). Der spätere Firmenchef und Schwiegersohn von Lorenz Wagner machte Lowa zu einem internationalen Markenzeichen. - Foto: Lowa

Pfaffenhofen (PK) In der Nachkriegszeit hatten die Gewerbetreibenden in Pfaffenhofen es nicht leicht: Exportkontrollen und Bürokratie erschwerten das Geschäft, zudem kamen einige nicht an die Materialien heran. Wie alle anderen Bereiche unterlagen auch die Firmen der Kontrolle der Besatzungsmacht.

Im Frühjahr 1948 fährt ein Jeep der US-Army vor dem Blaudruck-Firmengebäude am Schwarzbach in Pfaffenhofen vor. Adolf Groß, Chef der kleinen Textil-Fabrik, weiß, was auf ihn zukommt. Der kommandierende US-Offizier im Kreis wird einiges von ihm wissen wollen: Umsatzzahlen, die Anzahl der Angestellten und etwaige Exportabsichten. Der Unternehmer ist zur Auskunft verpflichtet, denn noch leben die Deutschen unter Besatzungsherrschaft.

Nach dem Zusammenbruch der NS-Herrschaft im Mai 1945 dauerte es vier Jahre, bis auf westdeutschem Boden wieder ein teilsouveräner Staat gegründet werden konnte. Pfaffenhofen lag in der US-Besatzungszone. Schon im Jahr 1945 entwickelte sich neues politisches Leben, es wurden Parteien gegründet, Kommunal- und Landtagswahlen fanden statt. Weitgehend in Vergessenheit geraten ist, dass die oberste staatliche Autorität auch auf örtlicher Ebene von US-Offizieren ausgeübt wurde. Sie hatten auch die Aufgabe, Gewerbebetrieben Exportgenehmigungen zu erteilen, da die Ausfuhren aus der US-Zone unter der Kontrolle der Besatzungsbehörden standen.

Aus einem Bericht des US-Offiziers, der sich in Kopie im Hauptstaatsarchiv München befindet, geht hervor, welche Gewerbebetriebe sich in seinem Landkreis befanden und wie ihre Geschäftstätigkeit aussah. Der Besatzungsoffizier überprüfte insgesamt neun Firmen im Kreis, die Ergebnisse übermittelte er 1948 - Pfaffenhofen zählte damals übrigens knapp 7000 Einwohner - an seine vorgesetzte Behörde in München. So beschäftigte beispielsweise die Deutsche Blaudruck GmbH am Schwarzbach in Pfaffenhofen damals 50 Mitarbeiter und stellte Herrenhemden, Frauen- und Kinderbekleidung her. Der Umsatz lag im ersten Halbjahr 1948 bei 150 000 Reichsmark. Die Firma, die vor dem Krieg Textilien nach England verkauft hatte, konnte im Jahr 1948 nicht an ausreichend Rohmaterialien herankommen und fühlte sich von den Exportkontrollen und der Bürokratie eingeengt, schrieb der US-Offizier an seine Vorgesetzten.

Die Lage des Gewerbes in der Nachkriegszeit spiegelt sich besonders deutlich in der Situation der Werkzeug- und Maschinenfabrik von Ernst Herion (WMH) wieder. 50 Mitarbeiter stellten damals in der Weiherer Straße alle Arten von Werkzeugen und Maschinenteilen her. Der Militärbericht besagt, dass die Pfaffenhofener Firma nur ein kleiner Ableger eines Betriebes im russischen Sektor von Berlin wäre, der konfisziert worden sei. Maschinen für die Niederlassung in Pfaffenhofen seien gegen Ende des Krieges von Berlin hierher transportiert worden. Der Umsatz habe im ersten Halbjahr bei 330 000 Reichsmark gelegen. Die Firma exportiere derzeit nicht, plane aber Ausfuhren, sobald die Geschäftsverbindungen der Vorkriegszeit wieder aufgenommen werden können.

Auf dem Gelände der Maschinenfabrik Stocker befand sich die Produktionsanlage der Druckwalzenfabrikation Felix Boettcher, Teil einer Firma aus München und Hamburg, die wohl wegen des Krieges nach Pfaffenhofen ausgelagert worden war. Der Betrieb beschäftige elf Mitarbeiter, es sei beabsichtigt, 1949 nach München zurückzukehren.

Auch die Firma Ilmtaler Sportschuhfabrik Lorenz Wagner (Lowa) Jetzendorf unterlag der Kontrolle der Besatzungsmacht. Sie hatte im ersten Halbjahr 1948 50 Mitarbeiter und einen Umsatz von 142 000 Reichsmark. Laut dem US-Offizier plane sie nicht, in den Export einzusteigen, sondern wolle ihre alten Kunden nicht verlieren. Der Hersteller von handgenähten Sportschuhen, vor allem für Skifahrer und Wanderer, könne nicht an ausreichende Mengen an Leder herankommen und deshalb sei eine Expansion nicht möglich. Auch zu Beginn der 50er Jahre war die karge Zeit noch nicht vorbei. Als sich das Leder für Lowa in Folge der Korea-Krise um 50 Prozent verteuerte und die Preise fielen, war der Betrieb über Nacht vorübergehend zahlungsunfähig. Erst ab 1955 begann der unaufhaltsame Aufstieg zu einer Firma, die heute mit ihren Produkten in der ganzen Welt zu Hause ist.

Agnes Reuß ist Lehrerin am Schyren-Gymnasium Pfaffenhofen für Englisch und Spanisch sowie Fachbetreuerin für Geschichte. Die Pfaffenhofenerin hat im Hauptstaatsarchiv München zahlreiche Unterlagen aus der US-Besatzungszeit im Landkreis Pfaffenhofen gesichtet, die sie in unregelmäßigen Abständen für die PK-Redaktion auswertet.