Pfaffenhofen
"Wutbürger würden ihn vereinnahmen"

Pfarrerin Christiane Murner erklärt, wie Martin Luther heute leben würde und warum er noch aktuell ist

30.12.2016 | Stand 02.12.2020, 18:51 Uhr

"Nur hereinspaziert" - zum Lutherjahr will Pfarrerin Christiane Murner gerne auch Leute in ihrer Kirche begrüßen, die damit sonst nicht so viel am Hut haben. - Foto: Paul

Pfaffenhofen (PK) Das Streben nach mehr Eigenverantwortung, die Suche nach Antworten - auch heute sind die Eigenschaften Martin Luthers noch wertvoll, sagt Pfarrerin Christiane Murner. Sie leitet die Geschäftsführung der Gemeinde Pfaffenhofen und ist Sprengelpfarrerin für den Bereich Pfaffenhofen Süd und Scheyern. Im Interview mit unserer Zeitung erklärt sie, wie sie den Antisemitismus Luthers einordnen würde und was sie sich beim Verhältnis zur katholischen Kirche wünscht. Hintergrund ist, dass sich am 31. Oktober 2017 zum 500. Mal die Veröffentlichung von Martin Luthers 95 Thesen jährt.

 

Frau Pfarrerin, die evangelische Kirche feiert 2017 das "Martin-Luther-Jahr". Manch einer dürfte sich allerdings über die Persönlichkeit Luther eher schämen, so etwa in Bezug auf seinen Antisemitismus.

Murner: Luther ist eine ambivalente Persönlichkeit. Es gibt sehr viele Errungenschaften, auf die man stolz sein kann, es gibt aber auch sehr viele Schattenseiten der Reformation - wie etwa der Antisemitismus. Und diese Erblast gilt es aufzuarbeiten, wir wollen da nichts beschönigen. Das Reformationsjahr ist dafür ein guter Anlass.

 

Was ist denn heute noch wertvoll an Luther?

Murner: Deutlich wertvoll ist beispielsweise seine Auseinandersetzung mit der Bibel, seine Fähigkeit, diese übersetzen zu können. Zudem konnte er gut etwas im Diskurs mit anderen erarbeiten. Es gab ja nicht nur Luther allein als Reformator, sondern er hatte ja viele Mitstreiter, beispielsweise Philipp Melanchthon. Oder die Argula von Grumbach, eine bayerische Reformatorin. Das alles waren Männer und Frauen, die sich nicht mehr abfinden mochten mit den damaligen Verhältnissen, die nach neuen ethischen Grundsätzen gesucht haben, nach mehr Eigenverantwortung, und Antworten finden wollten auf die drängenden Fragen der Zeit.

 

Wenn Martin Luther heute leben würde: Wäre er eher auf Seiten derjenigen, die die Institutionen verteidigen würden - oder wäre er ein sogenannter Wutbürger?

Murner: Ich glaube, das Problem an Luther ist, dass er vielfach vereinnahmt wird. Schon die Nazis haben seinen Antisemitismus vereinnahmt. In der heutigen Zeit würden ihn wohl tatsächlich die so genannten Wutbürger vereinnahmen. Aber Luther ist auch ein ganz starker Ordnungstheologe. Er war sehr interessiert an der Aufrechterhaltung der öffentlichen staatlichen Ordnung, dass die Fürsten - also im weitesten Sinne die Regierung - weiter das Sagen haben, dass es Ruhe und Frieden im Land gibt. Für ihn waren die Fürsten von Gott eingesetzt, er hat sie aber auch bei Ihrer Verantwortung gepackt und gesagt, Ihr müsst Euch vor Gott rechtfertigen. Und Luther war ganz stark von der Bibel geprägt - und die Bibel ist ein Fluchtbuch, mit ganz vielen Fluchtgeschichten. So leicht vereinnahmen ließe er sich also nicht von den Empörten, die unzufrieden mit der Regierung sind.

 

Luther war ja auch ein ganz starker Kommunikator. Er hat als einer der ersten das damals neue Medium Buchdruck professionell für sich genutzt. Würde Martin Luther heute twittern und whattsappen?

Murner: Stimmt, er hat mit vielen Menschen kommuniziert, er liebte es, zu disputieren - übrigens auch sehr gern mit seinen theologischen Gegnern, beispielsweise Johannes Eck von Ingolstadt, seinem wichtigsten Kontrahenten hier in unserer Region. Ja, ich glaube, heute besäße er sicher einen Facebook-Account. Aber die Kommunikation funktionierte bei ihm nur bis zu einem bestimmten Punkt. Mit Menschen, deren Denken ihm völlig fremd war, mochte er nicht reden.

 

Mit wem zum Beispiel?

Murner: Unter anderem mit den sogenannten Schwärmern und den Täufern, die die Reformation noch viel radikaler vorantreiben wollten als Luther das tat. Oder auch mit den Juden. Es gibt historische Zeugnisse von Rabbinern, die mit ihm ins Gespräch kommen wollten, aber dem hat er sich verweigert. Da war Luther dann nur beschränkt dialogfähig. Wobei er nicht im rassistischen Sinne etwas gegen Juden hatte, es beschränkte sich bei ihm auf rein theologische Überlegungen. Er konnte und wollte - darin ist er ganz ein Kind seiner Zeit - einfach nicht verstehen, warum die Juden Jesus Christus nicht als den Messias anerkennen möchten. Da dachte er ähnlich wie der Apostel Paulus. Aber irgendwo ist das auch wieder menschlich, jeder von uns hat schließlich seine Schwächen.

 

Sie arbeiten ja auch viel mit Konfirmanden zusammen. Was kann ein vor 500 Jahren verstorbener Mann wie Luther einem Jugendlichen von heute noch bedeuten?

Murner: Es gibt durchaus viele Parallelen. Luther hatte beispielsweise Konflikte mit seinem Vater. Es ging um die Entscheidung, ob er tatsächlich sein Leben als Mönch verbringen soll oder nicht doch lieber Jura studiert. Später hat er damit gehadert, ob die Entscheidung gegen den Zölibat und für die Ehe mit Katharina von Bora richtig war. Zoff mit den Eltern, Ärger bei der Berufswahl, Probleme mit Sexualität und Partnerschaft - also wenn das keine Themen sind, die junge Menschen betreffen!

 

Was planen denn die Evangelen konkret in Pfaffenhofen zum Reformationsjahr?

Murner: Eine ganze Menge. Beispielsweise eine Informationsveranstaltung zu der bereits genannten Argula von Grumbach. Dann eine Aktion, bei der wir Luthers Tischreden vertonen. Einen Ausflug zu den Lutherstädten in Mitteldeutschland und nach Coburg, mehrere Referate und Lichtbildvorträge, eine Predigtreihe speziell zu den Kernthesen von Luthers Lehre. In Wolnzach gibt es ein ganz tolles Konzert. Es gibt auch ganz viele ökumenische Veranstaltungen.

 

Ökumene ist ein gutes Stichwort. Zuletzt hatte man ja den Eindruck, Ihr Landesbischof Heinrich Bedford-Strohm und der Vorsitzende der katholischen Bischofskonferenz, Reinhard Kardinal Marx, sind die allerbesten Freunde. Wie sieht es an der Basis aus?

Murner: Die Ökumene vor Ort in der Gemeinde ist sehr gut. Aber ich will auch nicht verschweigen, dass es immer an den beiden jeweiligen Pfarrern vor Ort, dem katholischen und dem evangelischen, liegt, wie die beiden Gemeinden miteinander können. Oft ist es auch schwierig, teils aus Unwissenheit, teils aus Animosität. Aber wir müssen wissen, dass wir als Kirchen in der Zukunft nur noch werden bestehen können, wenn wir das Gemeinsame betonen.

 

Was wäre denn noch ein offener Wunsch?

Murner: Ganz vorn dran steht das gemeinsame Feiern des Abendmahls - und zwar die offizielle Variante, dass man sich gegenseitig einlädt. Aus evangelischer Sicht steht dem nichts entgegen, wir könnten gemeinsam mit katholischen Priestern feiern. Die Grenze wird hier von katholischer Seite gezogen. Sie anerkennen nicht, dass wir genauso geweihte und gesegnete Priester sind. Wir haben für sie nicht die apostolische Sukzession. Und die Frage der Frauenordination ist für die katholische Kirche ohnehin ganz schwierig.

 

Eine Fusion oder Wiedervereinigung ist also eher unwahrscheinlich?

Murner: Das liegt in Gottes Hand, aber da müsste noch einiges passieren. Es wäre aber schon viel gewonnen, wenn man sich wenigstens gegenseitig voll anerkennen würde.

 

Mitunter tut sich die katholische Seite aber auch mit dem Weg schwer, den die evangelische Kirche gesellschaftspolitisch eingeschlagen hat, etwa bei der Anerkennung gleichgeschlechtlicher Partnerschaften. Sind in der Kirche Konservative inzwischen unerwünscht?

Murner: Diese Entscheidung unserer Landeskirche löst natürlich nicht nur Jubel aus. Persönlich habe ich da zwar keinen Gegenwind gespürt - aber wahrscheinlich ist es so, dass sich die Leute, die das kritisch sehen, eher zurückziehen in die innere Emigration. Aber die Landessynode bemüht sich schon, auch mit diesen Leuten im Gespräch zu bleiben, deren Überzeugungen nicht über Bord zu werfen und ethische Fragen verbal auszufechten. Manchmal gewinnt die eine Seite, mal die andere. Es ist aber nun mal so in der Demokratie, dass der Wille der Mehrheit entscheidet - und die Synode ist demokratisch gewählt. Und unsere eher konservativen Gläubigen haben ja auch noch andere Möglichkeiten, sich zu engagieren, beispielsweise in Gebetskreisen oder in der landeskirchlichen Gemeinschaft.

 

In der St.-Laurentius-Gemeinde in Altdorf bei Nürnberg gab es kürzlich mächtig Ärger, weil ausgerechnet Ayman Mazyek, der Vorsitzende des Zentralrats der Muslime, von der Kanzel zum Reformationstag sprach. War das trotzdem eine gute Idee?

Murner: Man muss die jeweiligen Gegebenheiten vor Ort beachten, die Stimmung in der betreffenden Gemeinde. Und es ist entscheidend, was man mit einer solchen Aktion erreichen kann und möchte. Es bringt nichts, wenn es anschließend bei vielen Gemeindemitgliedern eher Wut und Enttäuschung gibt. Damit ist dem guten Zusammenleben von Christen und Muslimen auch nicht gedient. Deshalb wäre ich mit solchen Aktionen sehr vorsichtig.

 

Das Gespräch führte

André Paul.