Pfaffenhofen
"Ich wollte diesen Stoff meistern"

Steffen Kopetzky über seine Arbeit als Autor, seinen neuen Roman "Risiko" – und Vergleiche mit Ken Follett und Karl May

27.02.2015 | Stand 02.12.2020, 21:36 Uhr
Im Auftrag des Kaisers: Von einer Geheimexpedition nach Afghanistan, mit dem Ziel, einen islamischen Aufstand anzuzetteln, erzählt Steffen Kopetzky in »Risiko«. −Foto: Kraus

Pfaffenhofen (PK) Mit „Risiko“ ist jetzt der fünfte Roman des Pfaffenhofener Autors Steffen Kopetzky erschienen. Das hochspannende und literarisch hochklassige 727-Seiten-Werk, das unsere Zeitung am vergangenen Samstag im Kulturteil vorstellte, könnte – darauf deuten sehr positive Reaktionen aus Buchhandel und Kritik hin – zum großen Wurf des 44-Jährigen werden.

Kopetzky schickt in „Risiko“ seine erfundene Hauptfigur, den Marinefunker Sebastian Stichnote, und eine zusammengewürfelte deutsch-türkische Mannschaft 1915 auf eine – historisch verbürgte, aber bislang weitgehend unbekannt gebliebene – Reise an den Hindukusch. Im Auftrag des deutschen Kaiserreiches soll das Expeditionskorps den Emir von Afghanistan und die Stämme der muslimischen Paschtunen zum Dschihad aufstacheln – zum Angriff auf Britisch-Indien, um so den Kriegsgegner zu schwächen.

Im Gespräch mit unserer Redaktion blickt Steffen Kopetzky zurück auf die Entstehung seines ersten nicht autobiografischen Buchs und gibt Einblicke in die Arbeitsweise eines Schriftstellers, der gleichzeitig Familienvater, Kommunalpolitiker und Vorsitzender des Neuen Kunstvereins ist. Auch die Frage, ob es je einen großen Pfaffenhofen-Roman aus seiner Feder geben wird, hat der Autor beantwortet.

 

Herr Kopetzky, Sie sind 2003 zufällig auf ein englisches Buch über die deutsch-türkische Expedition nach Afghanistan gestoßen und wollten, wie Sie erzählt haben, diese faszinierende Geschichte seither in einem Roman verarbeiten. Erst jetzt hat es damit geklappt – ist das nicht eine sehr lange Entstehungsgeschichte für ein Buch?

Steffen Kopetzky: Natürlich kann man sich nicht für jedes Buch zehn Jahre Zeit lassen, aber ich habe ja während dieses Zeitraums auch noch drei andere Bücher veröffentlicht, in denen man, wenn man genau hinschaut, die Spuren der Annäherung an diesen Stoff sehen kann. 2003 habe ich begonnen, mich aus der Perspektive eines Romanciers mit dem Thema zu befassen. Der Stoff hat mich seither permanent beschäftigt, aber die Kreise wurden immer größer. Erst einmal waren die großen Themenkomplexe Erster Weltkrieg und Islam auszumessen – und ich habe mir die Zeit genommen, die es braucht, um viele, viele Bücher dazu zu lesen und viele, viele Gespräche zu führen.

 

Sie hatten die Idee, Sie sammelten eine Unmenge an Informationen – wie ging es dann weiter, wie bringt man dieses Wissen in Romanform?

Kopetzky: Der Punkt war, dass ich keinesfalls den Expeditionsleiter Niedermayer als Hauptfigur haben wollte. Das wäre nicht der richtige Erzähler und die richtige Perspektive gewesen. Und ich wollte unbedingt auch über die deutschen Schiffe Goeben und Breslau schreiben, die 1914 in die osmanische Marine übernommen wurden. Als ich dann gelesen habe, dass die erste als Zirkusmaterial deklarierte Ausrüstung für die Expedition vom rumänischen Zoll gestoppt wurde, weil den Zöllnern Funkantennen aufgefallen waren, dachte ich an einen Funker als Hauptperson. Er könnte von einem der Schiffe kommen und an der Expedition teilnehmen. Der Funker wurde der Mittler zwischen der Niedermayer-Geschichte und den Schiffen. Und als ich vor fünf Jahren diese Idee hatte, war meine Hauptfigur da, dann fing die Geschichte an zu leben und das eigentliche Schreiben hat begonnen.

 

Wie schreibt denn Steffen Kopetzky? Möglichst viel am Stück, wie im Fieber und bis zum Zusammenbruch? Oder ist das eher ein langsamer Prozess?

Kopetzky: Am Stück und wie im Fieber – da wäre ich wahrscheinlich gestorben. Früher habe ich einfach bohemienhaft in der Nacht gearbeitet, war immer unter Druck und habe immer so lang geschrieben, bis ich erschöpft war und ins Bett gehen musste. Manchmal um 7, manchmal um 8 Uhr morgens. Als wir dann Kinder bekommen haben, war meine Schreiberexistenz irgendwie auf den Kopf gestellt. Es war am Anfang nicht leicht, mich umzustellen auf einen Arbeitsbeginn am Morgen. Doch jetzt, bei diesem Buch, habe ich gemerkt, dass das bei mir angekommen ist und diese Arbeit am Morgen für mich keine Qual und keine Überwindung mehr ist, sondern dass mir das in Fleisch und Blut übergegangen ist.

 

Wie sieht denn Ihr Arbeitstag konkret aus?

Kopetzky: Ich stehe am liebsten schon vor den Kindern auf. Auch schon mal um halb vier, wenn ich mich ausgeschlafen fühle. Je früher ich am Schreibtisch sitze, desto besser und dann schreibe ich so bis 14 oder 14.30 Uhr. Das ist anstrengend und man lässt sich gerne ablenken. Manchmal ziehe ich den Stöpsel vom Telefon heraus, das geht nicht anders, sonst haut es dich aus der Geschichte. Ich habe dann auch keine Mails und bei Facebook bin ich sowieso nicht. Das Internet nutze ich nur für Recherchen und der Computer dient mir nur als Schreibmaschine.

 

Und wenn dann der Nachwuchs das Arbeitszimmer stürmt, wo der Papa gerade den Emir von Afghanistan im Kopf hat?

Kopetzky: Bei meinem letzten Roman, „Der letzte Dieb“, war die Ada gerade erst geboren und der Poldi war vier Jahre alt. Da hat er noch nicht so richtig mitbekommen, was da läuft. Aber bei „Risiko“ haben sie schon kapiert, dass ich an einem wichtigen Projekt arbeite. Und natürlich dürfen die Kinder reinschauen, wenn sie von der Schule kommen, das ist für mich kein Problem. Nur in den Ferien war’s ein bisschen schwierig für mich. Da hätte ich schon oft lieber mit den Kindern was gemacht und mal nicht geschrieben. Also speziell die letzten zwei Jahre waren schon streng.

 

Sie leben mit Ihrer Frau Dorle und Ihren beiden Kindern in Ihrer Heimatstadt Pfaffenhofen. Klingt eher bodenständig und bürgerlich – und gar nicht abenteuerlich und exotisch. Haben Sie sich mit „Risiko“ vielleicht auch ein wenig eigenes Fernweh und eigene Abenteuerlust von der Seele geschrieben?

Kopetzky: Meine größte Sehnsucht war, das Buch endlich fertig zu schreiben. Ich war für die Biennale in Bonn sechs Jahre lang als künstlerischer Leiter tätig und bin da sehr viel weggefahren. Und früher, als Schlafwagenschaffner, war ich auch sehr viel unterwegs. Mein Bedürfnis nach Wegfahren ist eigentlich gar nicht so groß. Das mit der Biennale war toll, aber als das 2008 zu Ende war, habe ich mir vorgenommen, jetzt wirklich zu schreiben und das bedeutet: Schreibtisch. Ich kann auch auf Reisen überhaupt nicht arbeiten. Ich war früher schon in Istanbul und bin noch einmal hingefahren, um zu recherchieren, aber ansonsten hatte ich gar kein Fernweh, sondern Schreibtischweh.

 

Ihr Buch heißt „Risiko“ – geht man als Schriftsteller, der sich an ein so aufwendiges Projekt wagt, eigentlich ein hohes persönliches Risiko ein oder ist man über Verträge voll abgesichert?

Kopetzky: Mein Debüt aus dem Jahr 1995 war sozusagen fertig, als ich es dem Verlag angeboten habe. Seitdem habe ich nie ein Buch einfach so geschrieben, sondern es war immer ein Verlag da und ein Vorschuss. Bei „Risiko“ wollte ich keinen Vertrag, keinen Vorschuss und kein Expose, mit dem man wieder in der Pflicht ist und mit dem Druck aufgebaut wird. Ich wollte mich nicht festlegen, bevor ich nicht wusste, was das für ein Buch sein wird. Ich wollte die Freiheit haben, einfach zu schreiben und es so zu machen, wie ich es mir vorstelle, ohne jemanden reinschauen zu lassen. Und das war richtig so. Ich habe erst 200 Seiten, also sehr viel Text, geschrieben, bevor ich mich nach einem Verlag umgeschaut habe. Es freut mich sehr, dass es dann mit Michael Zöllner, einem der Verleger von Klett-Cotta geklappt hat, weil ich ihn schon lange kenne und es immer schon mein Traum war, mit ihm ein Buch zu machen.

 

Trotzdem: Ganz schön riskant. Es hätte ja sein können, dass kein Verlag Interesse zeigt – obwohl das bei dieser Geschichte schon eher unwahrscheinlich ist.

Kopetzky: Sicher, es war ein Risiko. Aber ich bin jetzt seit fast 20 Jahren freier Autor und hatte in der Zeit nie einen Moment, in dem ich in finanzieller oder sonstiger Bedrängtheit gewesen wäre. Ich habe immer Arbeit gehabt, mehr als ich eigentlich bewältigen konnte, und habe immer gut Geld verdient. Aber als ich anfangen habe, waren meine Vorbilder Arno Schmidt oder James Joyce. Diese Leute, die ich bewundert habe, konnten jahrelang an etwas sitzen und mussten nicht täglich was raushauen. Das wollte ich einfach auch mal machen. Also habe ich das auch für mich gewagt.

 

Sie sind Autor, Familienvater, Kulturreferent im Stadtrat und Vorsitzender des Neuen Pfaffenhofener Kunstvereins. Geht das zusammen, oder müssen Sie irgendwo Abstriche machen?

Kopetzky: Wenn ich, was die Politik angeht, 2008 und jetzt vergleiche, dann geht das jetzt gut zusammen. Ich musste anfangs erst die Spielregeln der Politik lernen und habe mich da sehr reingewühlt. Und da war ja auch nichts, wir hatten in der Verwaltung keinerlei Strukturen, die Kulturarbeit hätten machen können. Ich musste halt Stühle schleppen und das kann nicht die Aufgabe eines ehrenamtlichen Stadtrates sein. Jetzt haben wir einen extrem fähigen Kulturmanager und einen Etat, jetzt geht das ehrenamtlich. Beim Kunstverein ist es ähnlich. Die Stadt hat die Kulturhalle gekauft, in der unsere Ausstellungen stattfinden, während wir früher erst einmal den Raum auftun, alles hinschaffen und dann wieder abbauen mussten. Das ist alles nicht mehr so und wir haben im Verein eine gute Mannschaft. Die Kinder werden auch immer größer – also ich habe das Gefühl, dass am Anfang so viel zu tun war, dass ich manchmal schon etwas überfordert war, doch jetzt macht es schön langsam so richtig Spaß.

 

Zurück zu „Risiko“: Mischt der Verlag bei so einem Buch sehr mit – oder heißt es da einfach „schreib zu“?

Kopetzky: Da gibt es sicher Unterschiede. Mein Verleger Michael Zöllner, der auch mein Lektor war, pflegt nicht, den Autoren zu sagen, was sie schreiben sollen.

 

Sagt er auch nicht, wie schnell sie schreiben sollen?

Kopetzky: Wir wollten das Buch bewusst nicht 2014 herausbringen, weil wir der Meinung waren, dass es in der Welle von Publikationen zum Ersten Weltkrieg nicht richtig wäre. Es ist ja letztlich kein Buch über den Weltkrieg, auch wenn es in großem Maß damit zu tun hat. Aber es geht eigentlich um ein geistiges und physisches Abenteuer. Im Januar 2013 standen die Druck- und Abgabetermine, ab da war klar, dass ich noch eineinhalb Jahre Zeit habe und es dann kein Polster mehr gibt. Da war echt viel zu tun. Aber ich habe mich als sehr disziplinierter Arbeiter erwiesen. Mir selbst gegenüber habe ich Respekt erworben (lacht).

 

Trifft auf „Risiko“ die Einstufung literarischer Abenteuerroman zu?

Kopetzky: Auf jeden Fall.

 

Ich hoffe, Sie finden das nicht beleidigend. Aber Sie werden in ersten Kritiken als Mischung aus Ken Follett und Karl May gehandelt. Fühlen Sie sich denn in dieser Gesellschaft wohl?

Kopetzky: Der Stoff von „Risiko“ ist sehr, sehr interessant und ich finde es wichtig, in unserer Zeit über diese Dinge etwas zu erfahren und zu sehen, dass das, was uns heute so sehr beschäftigt – Stichworte Islam oder auch Terrorismus und die Probleme im Nahen Osten und in Pakistan – schon damals angerührt und auf den Weg gebracht wurde. Es war mir wichtig, so zu schreiben, dass das Buch gelesen wird und niemand es aus der Hand legt und sagt „das pack’ ich nicht“. Ganz davon abgesehen: Wenn man anschaut, wie zum Beispiel die Motivkomplexe gearbeitet sind, ist das schon sehr literarisch. Ken Follett ist ein Bestsellerautor, der auch mal Lektor war und Karl May hat auch viel geschrieben, was als Buch gut funktionierte. Beleidigend finde ich den Vergleich also erstmal nicht, ich sehe bei mir bloß eine komplexere Anlage.

 

Wird „Risiko“ denn ein Bestseller und ihr bisher größter Wurf? Bei Ihnen hat man jedenfalls das Gefühl, dass Sie schon sehr stolz auf diesen Roman sind.

Kopetzky: Warten wir ab, wie das Buch ankommt. Es ist jedenfalls das erste nicht wesentlich von autobiografischen Motiven angetriebene Buch von mir. Ich finde das eben souveräner, wenn man das so sagen darf, ich finde es frei. Ich habe mir diesen Stoff gesucht und ich wollte diesen Stoff meistern.

 

Sind denn die Filmrechte schon verkauft?

Kopetzky: Nein, aber diese Frage habe ich jetzt schon mehrfach gehört. Schaun ma mal – für eine Verfilmung als Vorabendserie ist das Buch sicher nicht geeignet. Für mich ist es schon schön, dass die Hörbuchrechte gleich weg waren und das Hörbuch zeitgleich mit dem gedruckten Buch auf den Markt kam. Das gab es bisher bei mir auch noch nie und das ist doch schon mal ein gutes Zeichen.

 

Wenn so ein Buch „geboren“ ist – kommt dann für den Autor Kopetzky die große Leere, ist man da völlig ausgebrannt?

Kopetzky: Nein, das war früher mal der Fall, weil da meine Arbeitsweise eine ganz andere war. Bei „Grand Tour“ habe ich zum Beispiel bis zuletzt gearbeitet und in höchster Not geschrieben. Kaum war ich fertig, war das Buch da und die Messe und die Lesereise stand an. Da war ich wirklich fertig, total kaputt und am Ende. Jetzt ist es so, dass ich tagsüber arbeite und das ähnlich funktioniert wie bei einem Sportler, der den Marathonlauf angeht, auf den er sich vorbereitet hat. Ich bin jedenfalls überhaupt nicht ausgebrannt und habe jetzt Lust auf ein paar Lesungen und auch schon neue Projekte.

 

Welche?

Kopetzky: Ein Herzensprojekt, das ganz lange auf der Liste stand, sind Kindergeschichten. Bei den Rundfunksendern RBB, WDR und NDR läuft die Reihe „Ohrenbär“. Das ist so etwas wie das „Betthupferl“ vom Bayerischen Rundfunk, also Zehn-Minuten-Geschichten am Abend. Für diese Reihe habe ich mir Figuren ausgedacht und auch meinen Kindern davon erzählt. Und die haben mich immer gefragt, wann ich diese Geschichten denn mal aufschreibe – und das mache ich jetzt.

 

Und gibt es auch schon Ideen für einen neuen Roman?

Kopetzky: Ja.

 

Verraten Sie auch welche?

Kopetzky: Das wäre nicht wirklich sinnvoll. Die Devise, nicht mehr über ungelegte Eier zu reden, hat sich bewährt, das mache ich in Zukunft immer so.

 

Sie haben über Seekriege, den Islam, Persien und Afghanistan geschrieben – gibt es irgendwann den großen Pfaffenhofen-Roman aus Ihrer Feder oder ist die Kulisse für so etwas zu klein?

Kopetzky: Nein, das ist ja keine Frage der Stadtgröße. Ein Pfaffenhofen-Roman steht schon am Horizont, auch wenn ich jetzt nicht sagen kann, wann das konkret sein wird.

 

Wenn Ihnen die richtige Hauptfigur über den Weg läuft?

Kopetzky: Nein, die habe ich schon.

 

Wer spielt denn die Hauptrolle, wer ist denn der Funker Stichnote von Pfaffenhofen?

Kopetzky: Ich werde mich jetzt nicht von Ihnen verleiten lassen, mehr darüber zu sagen, auch wenn ich durchaus Lust dazu hätte (lacht).

 

Das Interview führte

Robert Schmidl.