Pfaffenhofen
Herr über 60 000 Bücher

Kreisbüchereileiter Hans-Peter Schratt geht nach 39 Jahren in den Ruhestand

24.04.2014 | Stand 02.12.2020, 22:47 Uhr

Hans-Peter Schratt hatte fast jedes seiner 60 000 Bücher schon einmal in der Hand. Nun geht der bekannte Bibliothekar, der viele Schüler- und Lesergenerationen begleitet hat, in den Ruhestand - Foto: Kraus

Pfaffenhofen (PK) Generationen von Schülern und Lesern kennen den bärtigen Bibliothekar: Seit ihrer Gründung, also 39 Jahre lang, hat Hans-Peter Schratt die Pfaffenhofener Kreisbücherei geleitet und geprägt. Heute ist der letzte Arbeitstag des 63-Jährigen, der sich in den Ruhestand verabschiedet.

Etwa 25 000 Leser dürfte die Kreisbücherei über die Jahrzehnte erlebt haben. Aktive Leser sind es derzeit gut 4000, die Hälfte davon kommt regelmäßig. Für sie alle hat Büchereichef Schratt zum Abschied einen Tipp: „Nicht immer nach dem Klappenbild gehen, sondern auf alles einlassen. Es gibt viele tolle Bücher, die kein Mensch kennt.“ Er muss es wissen. Denn den Großteil der rund 60 000 Bücher des derzeitigen Bibliotheksbestands hat er zusammengetragen. Und so hat den gebürtigen Obersdorfer in den letzten Arbeitstagen dann doch ein bisschen der Wehmut gepackt – aller Vorfreude auf den Ruhestand zum Trotz: „Solange ich hier in der Bücherei bin, habe ich eine persönliche Bindung zu fast jedem Buch, weil ich sie fast alle schon einmal in der Hand hatte“, erzählt Schratt.

In den fast vier Jahrzehnten Kreisbücherei, auf die der Diplom-Bibliothekar zurückblickt, gibt es aber auch Tiefpunkte. Der 2. Juli 1987 etwa war der düsterste Tag seiner Laufbahn: Sintflutartige Regenfälle lassen den Gerolsbach über Nacht anschwellen. Als mitgespültes Heu das Wehr am Schulzentrum verstopft, tritt der Fluss über die Ufer. Den Anblick am nächsten Morgen wird Schratt nicht vergessen: „In der Tiefgarage schwammen mir schon die ersten Bücher entgegen.“ Der Schyren-Gymnasium und Kreisbücherei stehen bis zu einem Meter unter Wasser. 3000 Bücher sind zerstört. Die Feuerwehr kann aber das Wertvollste retten: den Katalog und das Leserverzeichnis. An Normalbetrieb ist monatelang nicht zu denken, weil der Estrich angebohrt und mit Heißluft getrocknet werden muss: „Es war heiß, stickig, laut und hat furchtbar gestunken.“

Ähnlich wilde Zeiten hat Schratt nur ganz am Anfang seiner Karriere erlebt: Nach seinem Studium am Süddeutschen Bibliothekarlehrinstitut in Stuttgart arbeitete er zunächst zwei Jahre lang in der Städtischen Bibliothek München in Schwabing – in den Zeiten der Studentenbewegung, als umstrittene Autoren wie Carlos Castaneda aus den Bücherregalen verbannt wurden. „Da gab es auch Kunden die Langhans hießen“, erinnert er sich. „Der hat damals schon gesponnen.“

Doch dann zog es den jungen Diplom-Bibliothekar und seine Frau Monika – heute die Dritte Bürgermeisterin der Kreisstadt – nach Pfaffenhofen. Am dortigen, neu gebauten Gymnasium hoben Landrat Traugott Scherg und Schulleiter Joseph Irlinger nämlich die Kreisbücherei aus der Taufe: „Damals wurden relativ viele Bibiliotheken gegründet“, erinnert sich Schratt. „Und das hiesige Modell, Schulbüchereien und öffentliche Büchereien zusammenzulegen, war der letzte Schrei.“ Synergieeffekte, würde man auf Neudeutsch sagen: Man brauchte statt zwei nur eine Brockhaus-Enzyklopädie, für die gerne mal ein mittlerer vierstelliger D-Mark-Betrag fällig war.

Angesiedelt war die Kreisbücherei damals noch im Schyren-Gymnasium. 1994 wurde in den Neubau umgezogen, der dreimal soviel Platz bietet – der Zwischentrakt zwischen Gymnasium und Realschule. Damals wurden auch Computer eingeführt. Vorher gab es nur Zettelkataloge: „Heute kann man sich gar nicht mehr vorstellen, dass man auf der Suche nach Büchern Zettel durchwühlen musste“, erinnert sich Schratt. Kurz darauf folgte das Internet – und das ermöglichte nicht nur den damaligen Schülern von Gymnasium und Realschule erste Gehversuche in der neuen digitalen Welt, sondern bot auch der Bibliothek bis dahin ungeahnte Möglichkeiten: „Heute kann man am Computer ein Buch sofort ausfindig machen, auch wenn es in Sydney ist.“

Schratt hat in seinem Berufsleben nicht nur eine bis dahin unbekannte technische Revolution miterlebt. Auch was das Leseverhalten der Nutzer betrifft, hat sich viel geändert. Das sei einerseits der Technik geschuldet, weiß Schratt. Aber auch der Gesellschaft, etwa dem wachsenden Zeitdruck in der Arbeitswelt: „Viele Leute haben offenbar nur noch Zeit, um leichtere Unterhaltung zu lesen“, berichtet er. In der Urlaubszeit hingegen sei die Romanausleihe doppelt so hoch wie sonst. „Das war früher nicht so.“

Die Zukunft der Bibliotheken sieht Schratt indes nicht in Gefahr: „Es wird immer Menschen geben, die gerne lesen.“ Zumindest, was Literatur betrifft. Anders sieht es bei der einstigen Rolle der Bibliothek als Informationsquelle aus: Firmensuche, Fachwörterbuch, Behördenwegweiser, Adressen – die Büchereien sind längst von den Internet-Suchmaschinen abgelöst worden. „Das macht es mir jetzt relativ leicht, aufzuhören“, sagt der scheidende Leiter – denn Informationsbeschaffung war sein Steckenpferd. „Die Bibliotheken müssen sich da neu definieren“, mahnt Schratt. Aber nicht mehr unter ihm. Das ist eine Aufgabe, die auf seinen noch ungekannten Nachfolger wartet, der im Juli anfangen soll.

Und im Ruhestand? Noch hat Schratt keine großen Pläne. Mehr Zeit mit der Frau und der Enkelin. Öfter mal verreisen, was mit fünf Kindern früher zu kurz gekommen ist. Und Lesen natürlich. Privat mag Schratt fast alles von Thomas Mann. „Nur ,Königliche Hoheit‘ werde ich vielleicht nicht noch mal lesen.“ Öfter mal Spazierengehen, ab und an die Oper besuchen. „Und erst einmal den Dachboden aufräumen.“ Denn dort liegen noch sehr viele Bücher, die sortiert werden wollen.