Pfaffenhofen
Herbergssuche im Jahr 2015

Familie Abu Naser braucht eine feste Bleibe

30.11.2015 | Stand 02.12.2020, 20:29 Uhr

Familie Abu Naser ist dem syrischen Bürgerkrieg entkommen - ihr größter Wunsch wäre es, in Pfaffenhofen bleiben zu können. Doch findet sich eine Wohnung für sie - Foto: Scheerer

Pfaffenhofen (PK) Anerkannte Flüchtlinge können ihre Familie nach Deutschland holen: Auch Mohamad Abu Naser, selbst anerkannter Asylbewerber, ließ seine Familie nach Pfaffenhofen reisen. Doch für die Syrer ist die Flucht damit noch nicht beendet.

Die zehnjährige Bara’a steht an der gläsernen Schiebetür des Flughafengebäudes, in der sich der auf der Terminalstraße vorbeirauschende Autoverkehr spiegelt. Die beiden älteren Schwestern, die Mutter und der kleine Bruder sind bei ihr. Es ist regnerisch und kalt; in den Straßengräben halten sich Schneereste. Es ist Bara’as allererster Tag in Deutschland. Seit Mittwoch vergangener Woche sind Mutter und die vier Geschwister in der Bundesrepublik.

Vor ziemlich genau zwei Jahren hat man das Haus von Familie Abu Naser geplündert und niedergebrannt. Sbeineh ist sieben Kilometer von Damaskus entfernt. Sie ist zum Schlachtfeld zwischen Rebellen und Regierungstruppen geworden. Zu diesem Zeitpunkt ist Bara’a mit ihrer Familie schon geflohen.

Als das Zuhause unwiederbringlich verloren ist, beschließen die Eltern, das Land zu verlassen. Doch die Summe, die die Schleuser verlangen, kann die sechsköpfige Familie unmöglich aufbringen, und die Gefahren des Weges wären für die Kinder unabsehbar.

Vater Mohamad hat als Lehrer für die Vereinten Nationen gearbeitet, die sich in Sbeineh um das – nun entvölkerte – palästinensische Flüchtlingslager kümmerten; er wird es über die westliche Balkanroute versuchen. Sobald es geht, wird er seine Frau – sie ist Grundschullehrerin – und die Kinder auf sicherem Weg nachholen. Es gehört zu den Absurditäten der Flucht, dass zuerst einer im überfüllten Gummiboot das Leben riskieren muss, um nach der Anerkennung in Deutschland einen Antrag auf Familiennachzug einreichen zu können. Anfang 2015 hat Mohamad es nach Pfaffenhofen geschafft; ein kleines Zimmer findet sich. Viele Monate vergehen, ehe die Zusammenführung klappt. Warum dauert es so lange? Frau und Kinder sind in Lebensgefahr. Mohamad kann es nicht verstehen, doch die Behörden sind überlastet. Sein Plan geht nicht auf: Er kann hier keine Wohnung suchen; sie würde ihm nicht bewilligt, solange die Familie noch außer Landes ist. Als die Maschine der Pegasus Air um 13 Uhr in München landet und der Vater kurz darauf Bara’a und ihre Geschwister in den Armen hält, kann er ihnen nicht mehr bieten als eine improvisierte Übernachtung bei Freunden.

Obwohl die Mitarbeiter von Stadt, Landkreis und Jobcenter viel Verständnis zeigen und ein Caritas-Mitarbeiter unermüdlich Kontakt mit den Ämtern hält, fühlt Mohamad sich von einer Dienststelle zur nächsten weitergereicht: „Geben Sie mir die Möglichkeit, eine Bleibe für meine Familie zu finden.“ – „Holen Sie sie her, dann sehen wir weiter.“ – „Gibt es nicht eine städtische Wohnung“ – „Sie brauchen einen Wohnberechtigungsschein.“ – „Wie bekomme ich den“ – „Sie müssen zuerst alle hier gemeldet sein, brauchen eine Adresse. Selbst dann können Jahre vergehen. Gehen sie nach München, dort wird man sie in der Bayernkaserne unterbringen.“ – „Das hieße, bei Null anfangen. Wir sind keine Illegalen. Wir haben ein gültiges Visum.“ – „Vielleicht die Obdachlosenunterkunft – aber dort ist alles belegt. Warten Sie auf einen Bescheid vom Ausländeramt. Sobald Sie eine Wohnung haben, können Sie bleiben.“ Die Versuche, diesen geschlossenen Kreis zu durchbrechen, zehren an den Nerven. In Pfaffenhofen lernt Mohamad Deutsch, hier hat er neue Freunde gefunden. Die Familie seines Bruders, die schon seit 2013 hier lebt, ist ein Halt für die Seinen. Die Vorstellung, durch ein Zurück in die Massenunterkunft noch einmal entwurzelt zu werden, ist nur schwer zu ertragen.

Samstagabend blickt Bara’a mit dem Vater und Omar, dem Kleinsten, vom Rathausbalkon auf die beleuchteten Buden und den Trubel des Weihnachtsmarktes hinunter. „Könnten doch Weihnachten oder das neue Jahr meiner Familie eine feste Bleibe bringen“, sagt der Vater. Er hofft, dass einer der vielen Menschen dort unten – oder ein Zeitungsleser – eine geeignete Wohnung mit drei oder vier Zimmern zu vermieten hat.

Bara’a knabbert neugierig an einem Hipp-Weihnachtslebkuchen – der fremde Geschmack eines fremden Landes. Wird sie in dieser Stadt bleiben können? Die Cousinen haben ihr schon einmal den Weg zur Schule gezeigt. Für alle Fälle.