Pfaffenhofen
Expressionist auf dem Sprung

Lutz-Stipendiat Marko Dinic liest im Rathaussaal vor etwa 60 Zuhörern

26.07.2015 | Stand 02.12.2020, 20:59 Uhr

Sprachgewaltig: Lutz-Stipendiat Marko Dinic (rechts) wirft im Gespräch mit Pfaffenhofens Kulturreferent Steffen Kopetzky der Europäischen Union einen angemaßten Machtanspruch vor. Sein Schreiben versteht er als politisch. - Foto: Scheerer

Pfaffenhofen (PK) In der „konservierten Kühle der dicken Wände“ des Flaschlturms war Marko Dinic drei Monate lang zu Hause. Bei einer Lesung stellte der Lutz-Stipendiat am Freitag Kostproben seines literarischen Werkes vor.

Insbesondere eine Erzählung, die während seines Aufenthalts in Pfaffenhofen entstanden ist. Den ersten Teil seines Programms bildete ein Stück mit dem Titel „Trödeln“, Teil einer Trilogie in rhythmischer Prosa. Hier entfesselt Dinic durch automatisches Schreiben einen gewaltigen Strom aus Wahrnehmungen und Zitaten, Reflexionen und Wortspielen: „einsame Kopfsteine zwischen zweisamen Karossen“. Diese Art Literatur lebt radikal aus dem Augenblick des Vortrags: wo der Strom abreißt, ist der Kopf leer.

Im Gespräch mit dem Autor Steffen Kopetzky erläutert der 1988 geborene Dinic, dass das Schreiben für ihn ein Weg war, sich aus den Zwängen des Elternhauses zu befreien. Es überrascht, dass er sich von Slam-Poetry distanziert – denn seinen Vortrag könnte man sich auch auf der Bühne des „Substanz“ vorstellen. Er versteht sich auch als politischer Schriftsteller, der von Seehofer-Äußerungen zur Flüchtlingsfrage angewidert ist und gegen massenmedial gefütterten Krisenvoyeurismus aufbegehrt. Literatur, sagt er, sei dazu da, „in die Fresse zu hauen“. Als er am Hauptplatz einmal eine Personenkontrolle beobachtet, verspürt er Abscheu vor obrigkeitsstaatlicher Gängelung; Menschen würden wie Verbrecher behandelt. Der tatsächliche Hintergrund des Polizeieinsatzes bleibt unklar.

Bedingung des Stipendiums war, dass Dinic der Stadt Pfaffenhofen ein literarisches Werk widmet. Er hat sie sich anhand von Joseph Maria Lutz’ Roman „Der Zwischenfall“ (1928) erschlossen, im dort beschriebenen „Kleindlfing“ ist nämlich Pfaffenhofen zu erkennen. Herausgekommen ist eine Erzählung, die dort am stärksten ist, wo am schärfsten beobachtet wird: die an einen Heiligenschein erinnernde Blutkruste am Bauch eines überfahrenen Marders etwa. Oder die „glatt polierten Silberknäufe“ unter den Bullaugenfenstern in der Küchentüre des „Othello“, das auf diese Weise seine literarische Verewigung erfährt – eine materialreiche Moment- und Bestandsaufnahme von bleibendem Wert.

Formal virtuos spielt Dinic auf der Klaviatur des Expressionismus und streift dessen fiebrige Überdrehtheit über die Kleinstadt. Dabei setzt er auch auf Knalleffekte: Das Wort „Holocaust“ fließt ihm leicht aus der Feder, und existenzialistischer Ekel manifestiert sich gern in menschlichen Ausscheidungsvorgängen. Letztlich sucht Dinic auf dem Hauptplatz nichts weniger als „Erlösung“ und die „Rettung der Millionen“; in einem ganz großen Traumbild werden Schauplätze historischer Massenverbrechen auf die Kreisstadt projiziert. Angesichts des Mahnmals am Haus der Begegnung steigert sich die Erzählung zu einer wortgewaltigen Anklage des nationalsozialistischen Verbrechens im Allgemeinen, vorgebracht allerdings mit einem Pathos, das ins Ironische zu kippen droht; schließlich wird theatralische Übertreibung anderswo in Dinics Vortrag als Mittel der Selbstdistanzierung einsetzt. Und da wird es dann schwierig. Vielleicht wäre es ja auch eine Nummer kleiner gegangen.

Im Mittelpunkt steht ein ziemlich einsames Ich, Schattenwürfe registrierend, das eigene Schreiben selbstverliebt kommentierend, existenziell arg in jede seiner Beobachtungen involviert. Gegen Ende haben wir es mit einem obskuren Doppelgänger zu tun, der den Autor bei der Verrichtung seines Handwerks beschattet. So kommt der Text à la „Unendliche Geschichte“ in sich selbst vor. Schreiben und Sterben im Flaschlturm – um sich selbst kreisender Autor in um sich selbst kreisendem Text.

Dinic quillt über vor Sprachgewalt und verschwenderischem Bilderreichtum. Man darf gespannt sein, was passiert, wenn er aus der Selbstbezogenheit ausbricht. Was einmal sein Stoff, seine Geschichte werden wird? Ein Stoff, stark genug, einen besessenen Graphomanen zu disziplinieren – Marko Dinic ist reif, ihn zu finden.