Pfaffenhofen
"Es geht um das Bemühen, zu verstehen"

Islambeauftragter Rainer Oechslen zu Gast in Pfaffenhofen

04.05.2016 | Stand 02.12.2020, 19:52 Uhr

Islamexperte Rainer Oechslen sprach in Pfaffenhofen über Missverständnisse und Fehlauslegungen in Bibel und Koran. - Foto: Steinbüchler

Pfaffenhofen (esr) Um ein brisantes Thema - die Gewalt im Islam - hat sich der Vortrag des Islambeauftragten der Evangelischen Landeskirche, Rainer Oechslen, in Pfaffenhofen gedreht. Sein Referat beschäftigte sich aber auch mit Gewalt im Christentum und trug den Titel: "Koran und Bibel: Quellen des (Un-)Heils"

In der Kreisstadt gibt es seit zehn Jahren den interreligiösen Dialog zwischen Christen und Muslimen unter der Leitung von Pastoralreferent Sepp Steinbüchler, katholischer Theologe und Vorsitzender des Internationalen Kulturvereins, der nun auch den Vortragsabend als Teil der "Interkulturellen und Interreligiösen Tage" in Pfaffenhofen organisiert hatte. Über 1000 Muslime leben schon seit Jahren in Pfaffenhofen, erläuterte Steinbüchler. Und hinzu kämen in jüngster Zeit noch rund 250 Flüchtlinge und Asylbewerber, von denen die meisten Sunniten sind. "Der Anlass für den heutigen Vortrag ist hochpolitisch", erklärte Steinbüchler mit Blick auf den IS-Terror und zunehmende Ängste und Unsicherheiten. "Aber auch in der Vergangenheit des Christentums wurde Gott oft missbraucht für Gewalt und Kriege", erinnerte er - und leitete damit zu der Frage über, ob Religion als solche gefährlich sei und ob Gewalt womöglich durch Bibel und Koran gefördert werde.

Dieser Frage ging Oechslen in seinem Vortrag nach. Sowohl aus der Bibel als auch aus dem Koran zitierte er ausgewählte Stellen, die mit Gewalt zu tun haben, und legte sie aus. Was aus dem Zusammenhang gerissen brutal und gewalttätig erscheint, sei nämlich ganz anders zu verstehen, wenn man den Kontext und die Hintergründe kenne. Hinzu kämen noch falsche oder zweideutige Übersetzungen, die zu Missverständnissen führen.

So seien etwa mit den oft zitierten "Ungläubigen" im Koran keineswegs alle Christen und Juden gemeint, sondern alle "Undankbaren", die nicht für die Schöpfung Gottes dankbar seien. Immerhin stehe ja auch im Koran: "Unser Gott und euer Gott sind einer. Ihm sind wir ergeben."

Nur wer sich intensiv mit den Schriften beschäftige, könne die oft schwierigen Texte wirklich erfassen, meinte Oechslen. Und gerade der Koran sei nicht leicht zu verstehen: "Das ist nicht Prosa, sondern Poesie und auf Anhieb ebenso schwer zu begreifen wie manche Gedichte." Oder, wie ein Zuhörer es ausdrückte: "An diesen Texten muss man länger kauen."

In der bekannten Bibelstelle "Auge um Auge, Zahn um Zahn..." im Alten Testament gehe es keineswegs um Rache oder grausame Bestrafung, sondern um einen finanziellen Schadenersatz für verschiedene Verletzungen, stellte der evangelische Theologe und Islamexperte klar. "Das muss man juristisch begreifen, es ist eine Art Sozialgericht." Auch im Neuen Testament gebe es ähnliche Stellen, und sogar in der Bergpredigt ist vom Ausreißen des eigenen Auges und vom Abhacken der eigenen Hand die Rede. "Stünde das im Koran, würde Frau von Storch sagen, das muss man wörtlich nehmen", meinte Oechslen mit Blick auf die Berliner AfD-Chefin. Dabei bedeute diese Bibelstelle vielmehr, dass mancher Entschluss und mancher Verzicht so weh tun könne wie körperlicher Schmerz.

Ursprünglich, so führte Oechslen aus, habe Mohammed mit seiner Lehre Frieden stiften wollen. Er sei zwar kein Pazifist gewesen und habe Widerstand erlaubt, aber Angriffskrieg und Friedensbruch verboten. Als "Kern des Islam" bezeichnete der Referent das Bemühen auf dem Weg Gottes, die Gottergebenheit und die Dankbarkeit für die Schöpfung. Zudem appelliere der Koran an die Vernunft des Menschen.

"Friedlich liest sich anders", hielt ein Zuhörer dagegen und Oechslen stellte klar, dass er nichts beschönigen wolle, sondern dass es ihm in diesem Vortrag um die Auslegung der Schrift gehe. "Ich möchte auf die Wurzeln zurückgreifen und eine Vertiefung in die derzeitigen Diskussionen bringen." Zumeist gehe es auch gar nicht um Religion, sondern um politische Machtspiele, um gesellschaftliche und kulturelle Hintergründe: "Terror ist ein Zeichen der Schwäche, nicht der Stärke. Der IS ist im Irak auf dem Rückzug - jetzt versuchen sie, den Terror nach Europa zu bringen."

Auf Integrationsprobleme in Deutschland - auch ganz konkret in Pfaffenhofen - angesprochen, meinte der Experte: "Viele Migranten leben noch, symbolisch gesprochen, mit gepackten Koffern. Wir müssen das Signal geben: Ihr müsst Eure Identität nicht überbetonen, Ihr müsst Euch nicht verschleiern, damit wir Euch akzeptieren." Für ein besseres Miteinander sei eine Fortsetzung des interkulturellen und interreligiösen Dialogs ganz wichtig. "Und vor allem geht es um das Bemühen, zu verstehen."