Pfaffenhofen
Ein Obdachloser löst den Wandel aus

Autorin Sina Trinkwalder erzählt bei ihrer Lesung, wie sie ihr Leben komplett umkrempelte

22.10.2017 | Stand 02.12.2020, 17:19 Uhr
Man muss sich aus den Problemen im Leben selbst herausarbeiten , sagt Sina Trinkwalder. Auszüge aus ihrem Buch "Im nächsten Leben ist zu spät" las sie am Samstag im Haus der Begegnung. −Foto: Paul

Pfaffenhofen (PK) Mit vollem Körpereinsatz: Die Augsburger Unternehmerin und Sachbuchautorin Sina Trinkwalder hat bei ihrer Lesung in Pfaffenhofen das Publikum nicht nur mit ihrer Darbietung überzeugt. Sie war bei den Literaturtagen am Samstagnachmittag zu Gast im Haus der Begegnung.

Der Titel ihres neuen Buches "Im nächsten Leben ist zu spät" mag zwar grammatikalisch etwas holpern. Aber dafür wurde der Inhalt - Untertitel: Ärmel hochkrempeln, Probleme lösen, glücklich sein - von der 39-Jährigen mit vollem Körpereinsatz präsentiert. Hinter den für sie bereitgestellten Tisch mit der akkuraten weißen Tischdecke und der Wasserkaraffe darauf wollte sich Sina Trinkwalder auch nicht setzen. Ja, zunächst dachte sie nicht mal daran, überhaupt traditionell aus ihrem Buch vorzulesen: "Lesen können die Leute ja auch daheim."

Man könnte eher sagen, sie spielte den Inhalt vor. Trinkwalder - graue Jeans, schwarzes T-Shirt, Lederstiefel, die langen dunklen Haare zum Pferdeschwanz gebunden - gestikulierte und interagierte mit dem Publikum. Das war alles andere als langweilig.

Vielleicht liegt das auch an dem alles andere als glatt gebügelten Lebenslauf der Autorin: Die Augsburgerin hat zwei Studiengänge - erst Politikwissenschaft, danach Betriebswirtschaftslehre - abgebrochen, sie ist geschieden, hat mal in einer RTL-Dokusoap mitgespielt und einen Aufenthalt in der Psychiatrie nach einem nervlichen Zusammenbruch, den hat sie auch schon hinter sich. Da liegt, so man denn gern und lesbar schreibt, ein Ratgeberbuch natürlich nah. Und eigentlich ist diese Art Literatur ja die Pest: Häufig leicht esoterisch angehauchte Kalenderspruchweisheiten werden auf Hunderte Seiten aufgeblasen und der Weg des Autors beziehungsweise der Autorin aus der Materie ist der ultimativ beste.

Trinkwalder dagegen gab erst mal keine Tipps und Ratschläge. Stattdessen erzählte sie: Von ihrer Zeit in der Marketingberatung, wie ihr trotz hohen Einkommens und schöner Reisen um die Welt Zweifel kamen am eigenen beruflichen Tun. Sie sprach selbstbeleidigend von ihren massiven Gewichtsproblemen, vom ungesunden Lebenswandel von der charakterlichen Oberflächlichkeit. Ihr Ansatz: Man muss sich selbst aus den Problemen im Leben rausarbeiten, von anderen gibt es dafür keine Patentratschläge.

Ihr persönlicher Wandel sei gekommen, als 2009 ein Obdachloser am Hauptbahnhof in Wuppertal ihre kaum gelesenen Hochglanzzeitschriften erbat, weil er aus dem edlen Papier für sich und seine Frau Weihnachtsschmuck basteln wollte. Sina Trinkwalder gab ihren alten Job auf und gründete ihr erstes Sozialunternehmen.

Heute fertigt die Autorin in ihrer Heimatstadt Brichbag ökosoziale Produkte. Unter anderem werden aus diversen Textilresten der Sonnenschutzindustrie Rucksäcke hergestellt, die sie dann gemeinsam mit dem Paritätischen Dachverband an Obdachlose verteilt. Zu ihren meist weiblichen Beschäftigten - sie nennt sie "meine Ladies" - gehören vor allem Frauen, die sonst kaum Chancen auf dem Arbeitsmarkt haben.

Das Gespür für kommerzielles Marketing besitzt Trinkwalder aber noch. Als eine junge Zuhörerin zum Schluss fragte, wie sie denn zu sich selbst gefunden haben, antwortete sie lachend: "Lesen Sie mein Buch!"