Pfaffenhofen
Der hohe Preis der Zivilcourage

Edgar Leber hat sich Schlägern in den Weg gestellt – und muss vor Gericht um Entschädigung kämpfen

16.04.2014 | Stand 02.12.2020, 22:48 Uhr

Edgar Leber am Schauplatz des Überfalls: Fünf maskierte Schläger hatten vor zwei Jahren die Wohnungstür seines Nachbarn im ersten Stock eingetreten. Als ihm Leber zu Hilfe kam, stürzte er bei dem Gerangel mit den Schlägern über das Treppengeländer dreieinhalb Meter ins Erdgeschoss hinunter - Foto: W. Hailer

Pfaffenhofen (PK) Nicht einfach wegschauen, sondern Hilfe leisten, wenn Menschen von Gewalttätern bedroht werden. Diese Zivilcourage, wie sie Politiker nach spektakulären Fällen immer wieder einfordern, hat der Pfaffenhofener Edgar Leber bewiesen – und dafür einen hohen Preis bezahlt.

Beim Versuch, seinen Nachbarn vor einer brutalen Schlägertruppe zu schützen, zog sich der heute 50-jährige Bauarbeiter im März 2012 schwere Verletzungen zu, an deren Folgen er bis heute leidet. Seit zwei Jahren kämpft er vergeblich um Schmerzensgeld und Schadenersatz. Doch nach einem jetzt vom Sozialgericht München gefällten Urteil darf Edgar Leber endlich auf eine angemessene finanzielle Entschädigung hoffen.

Es sind Szenen wie aus einem TV-Krimi, die sich am 7. März 2012 in einem größeren Mietshaus an der Münchner Straße in Reisgang abspielen: Fünf mit Sturmhauben vermummte und mit Baseballschlägern bewaffnete Männer stürmen an diesem Abend die Treppe in den ersten Stock des Hauses hinauf und treten die Tür zur Wohnung eines 22-jährigen Versicherungsvertreters ein. Offenbar, so wird später von der Polizei ermittelt, wollen sie ihm wegen Geldstreitigkeiten eine Lektion erteilen. Doch bevor es so weit kommt, ist Edgar Leber, der im Erdgeschoss wohnt, schon nach oben gerannt, um seinem Nachbarn zu helfen. „Die Polizei ist schon da“, ruft er und versucht gleichzeitig, die Angreifer zurückzuhalten. Der mutige Einsatz zeigt Wirkung. Die Schläger lassen von ihrem Opfer ab und ergreifen die Flucht. Doch bei dem Gerangel schubst einer der Männer den Helfer über das Geländer im ersten Stock dreieinhalb Meter tief ins Erdgeschoss hinunter, wobei sich dieser einen komplizierten Bruch des Sprunggelenks und des Wadenbeins zuzieht.

Während das eigentliche Opfer des Überfalls, der 22-jährige Hausnachbar, mit relativ harmlosen Blessuren davon kommt, muss sein Beschützer nach dem Unfall in der Ilmtalklinik zweimal operiert werden. Mit Schrauben und einer Metallplatte wird das gebrochene Bein stabilisiert. Weil die Wunde nicht zuheilt, folgt einige Monate später eine dritte OP in der Klinik in Bogenhausen. „Man musste mir ein Stück vom Beckenknochen und Gewebe aus dem Oberschenkel verpflanzen, um die alte Wunde zu schließen“, erzählt Edgar Leber. „Im Sprunggelenk habe ich aber immer noch starke Schmerzen. Ich kann es nicht länger als drei Stunden belasten, dann schwillt es an und ich muss den Fuß hochlagern“.

Seinen Beruf als Bauarbeiter kann der 50-Jährige wegen seiner Verletzung nicht mehr ausüben. „Eigentlich hätte ich im April 2012 eine fest zugesagte Stelle bei einer Gartenbaufirma antreten sollen, stattdessen bin ich seit zwei Jahren auf Hartz IV angewiesen“.

Für Edgar Leber ist es nur ein schwacher Trost, dass die Schläger – fünf junge Manchinger im Alter von 18 bis 25 Jahren – schon wenige Tage nach dem Überfall ermittelt werden konnten und mittlerweile nach einer Berufungsverhandlung am Landgericht Ingolstadt rechtskräftig zu Freiheitsstrafen von jeweils 15 Monaten, davon zwei auf Bewährung, verurteilt wurden. Neben dem Überfall in Pfaffenhofen waren den Männern noch verschiedene andere Delikte zur Last gelegt worden, darunter illegaler Besitz von Schusswaffen und Drogen.

Die schwere Körperverletzung zu Lasten Lebers spielte im Urteil aber keine Rolle, wie dessen Pfaffenhofener Rechtsanwalt Martin Rohrmann gegenüber der PK-Redaktion erklärte. „Wir waren zwar als Nebenkläger im Prozess vertreten, doch konnte nicht geklärt werden, welcher der fünf Täter meinen Mandanten über das Treppengeländer geschubst hat, da alle maskiert waren und keiner die Tat zugegeben hat“, so Rohrmann. Im Strafprozess müsse aber die Körperverletzung einer konkreten Person zugeordnet werden können. „Leider hat das Gericht an der Aufklärung dieses Sachverhaltes kein besonderes Interesse gezeigt“, bedauert der Pfaffenhofener Anwalt ebenso wie Edgar Leber: „Es kann doch nicht sein, dass einer strafrechtlich nicht zu belangen ist, wenn er maskiert in einer Gruppe auftritt. Da ist man doch wirklich blöd, wenn man in solchen Situationen anderen Menschen hilft und am Ende mit seinem Schaden allein gelassen wird“.

Eine bittere Kritik, die sich vor allem auch gegen die Bayerische Landesunfallkasse richtet. Dort hatte der 50-Jährige über seinen Anwalt Zahlungen aus der gesetzlichen Unfallversicherung beantragt, die nach Paragraf 2 des Sozialgesetzbuches VII auch Personen erhalten können, die als Nothelfer bei Unfällen oder Gewalttaten gesundheitliche oder materielle Schäden erlitten haben. Doch die Landesunfallkasse lehnte den Antrag mit einer lapidaren formalen Begründung ab. Es sei nicht mit der „an Sicherheit grenzenden Wahrscheinlichkeit nachgewiesen, dass Ihr Mandant zum Zeitpunkt des Eintritts seiner Verletzung eine aktive Rettungshandlung zugunsten eines Dritten verrichtet hat,“ schrieb die Landesunfallkasse an Rohrmann. Der reichte, nachdem auch sein Widerspruch gegen den Ablehnungsbescheid zurückgewiesen worden war, im Januar 2013 Klage beim Sozialgericht München ein und bekam jetzt in vollem Umfang Recht. In der mündlichen Verhandlung sahen die Vorsitzende Richterin und ihre beiden Beisitzer keinerlei Zweifel, dass sich Edgar Leber seine schweren Verletzungen bei einer aktiven Nothilfe zugezogen und deshalb Anspruch auf Leistungen der gesetzlichen Unfallversicherung hat. Jetzt hofft Martin Rohrmann, dass die Landesunfallkasse das Urteil akzeptiert und sein Mandant schon bald Zahlungen, wie etwa Verletztengeld und Erwerbsminderungsrente, erhält. „Es ist schon ärgerlich genug, dass die Geschädigten in solchen Fällen erst einmal abgewimmelt werden und ihre Ansprüche vor Gericht durchsetzen müssen. Aber wenn die Unfallkasse jetzt auch noch Rechtsmittel einlegen würde und die Sache weiter verzögert, wäre das wirklich ein fatales Signal für alle Bürger, die Mitmenschen in akuten Notsituationen helfen wollen“.