Pfaffenhofen
Der Chancengeber

Alfons Gigl aus Geisenfeld ist seit sieben Jahren Jugendschöffe - und erlebte so manche Überraschung

13.03.2018 | Stand 02.12.2020, 16:42 Uhr
Jugendlichen eine Chance geben: Das tut Alfons Gigl gern, wenn Angeklagte ihn überzeugen können, dass sie es ernst meinen. Gigl ist seit sieben Jahren Jugendschöffe und muss - genau wie die Justitia im Bild über ihm - oft genau abwägen, wie er entscheidet. −Foto: Brenner

Geisenfeld (PK) Drogenhandel, Kindesmissbrauch oder Vergewaltigung - Anfangs konnte Alfons Gigl kaum glauben, dass es so etwas hierzulande überhaupt gibt. Seit sieben Jahren arbeitet er als Laie am Jugendschöffengericht. Daraus hat er auch persönlichen Lehren gezogen.

Weit weg wähnte Gigl die großen Drogengeschäfte oder so manch andere Straftaten, als er sein Ehrenamt als Jugendschöffe am Amtsgericht Pfaffenhofen begann. Doch weit gefehlt. Diebstahl, Körperverletzung, Drogenhandel, Vergewaltigung oder Kindesmissbrauch - all das kommt vor Gericht vor, wenn der 65-Jährige als Laienrichter Dienst hat. "Einmal ging es beispielsweise um Drogengeschäfte in einem Geisenfelder Ortsteil, und zwar in großem Stil", so Gigl. Das überraschte sogar ihn - obwohl er die Stadt als Zweiter Bürgermeister und Mitglied in vielen Vereinen besser kennt als die meisten.

Nach sieben Jahren Schöffenamt hat sich seine Sicht auf die Dinge ein wenig verändert. "Die Jugendlichen kommen aus jedem sozialen Milieu", sagt er. Ihre Aussagen vor Gericht zeigten, dass auch Kinder aus intakten Elternhäusern in die Kriminalität abgleiten, wenn sie die falschen Freunde kennenlernen. "Da kann wirklich keiner sagen: Bei mir ist das nicht möglich", sagt Gigl. Und zieht daraus einen persönlichen Schluss: "Man kann froh sein, dass es der eigenen Familie gutgeht."

Zu Gigls Familie gehören eine Tochter und ein Sohn sowie drei Enkelkinder. Mit Jugendlichen hat er sowieso schon immer viel zu tun gehabt. Als Fußballtrainer ebenso wie in seiner Arbeit als Geschäftsstellenleiter bei der Sparkasse Pfaffenhofen, wo er unter anderem Auszubildende betreute. Diese Art Erfahrung ist es auch, die ein Schöffe mitbringen muss. "Mitten im Leben stehen" nennt es Ulrich Klose, Vorsitzender vom Pfaffenhofener Schöffengericht.

Gigl stand mitten im Leben, als er seinen Dienst antrat. Dennoch war er anfangs voller Ehrfurcht, brachte sich nur vorsichtig ein. Doch mit der Zeit bekam er ein besseres Gefühl dafür, wie er seine Entscheidung treffen kann, berichtet er. Dabei geht es immer um Menschenkenntnis. "Ich muss herausfinden, wie ernst es jemand meint", sagt er. Verwickele sich ein Angeklagter in Widersprüche oder reagiere nachdenklich, wenn der Richter darauf hinweise, dass er die Wahrheit sagen muss, dann könne das Zeichen für eine Lüge sein. "Wichtig ist auch, ob jemand überhaupt schon die Reife hat, die Auswirkungen seiner Handlungen für seine Zukunft zu erkennen." Hat er die nicht, setzt sich Gigl oft dafür ein, dass er beispielsweise betreut wird. Generell tendiert er zur Milde. "Ich bin vom Typ her eher so, dass ich gern noch eine Chance gebe", so Gigl. Denn oft sei es für die Zukunft eines jungen Menschen entscheidend, ob er vorbestraft ist oder nicht - etwa wenn es um einen Job geht. So habe er sich bei der Besprechung mit dem Vorsitzenden Richter ab und an für ein geringeres Strafmaß eingesetzt. Oft begegnet er später einem ehemaligen Angeklagten und sieht, dass er sein Leben mittlerweile im Griff hat. Ein schönes Gefühl, sagt Gigl.

Aber es gibt auch die Schattenseiten. "Manchmal weiß man gleich, dass man die Person vor Gericht wiedersehen wird." Wenn der Angeklagte schon mit der Null-Bock-Attitüde den Gerichtssaal betritt. Einmal sei jemand bereits in Handschellen vorgeführt worden, der Richter habe ihm zudem mit Beugehaft gedroht. "Er sagte, das sei ihm völlig egal", so Gigl. In solchen Fällen, wenn jemand gar nicht versuche, die Konsequenz aus seiner Tat zu ziehen, "soll er auch seine Strafe bekommen". Manchmal könne ein Dauerarrest durchaus wachrütteln.

Richtig schwierig wird es für den Geisenfelder, wenn er es mit Straftaten zu tun bekommt, die sich niemand gerne vorstellen mag. Zum Beispiel Kindesmissbrauch. "Es gibt Fälle, die bringen einen schon zum Grübeln." Während der Verhandlung muss Gigl seine Pflicht erfüllen, emotional Abstand wahren, um eine gerechte Entscheidung treffen zu können. Seine Gedanken nimmt er nachher mit nach Hause. Dort wird er sie im Alltäglichen wieder los. "Ich arbeite dann zum Beispiel gern in meinem Schrebergarten, das entspannt."

Die Fragen, die sich Gigl vor sieben Jahren gestellt hat und ihn unter anderem dazu bewogen hatten, Schöffe zu werden, sind längst beantwortet. Er weiß jetzt, was die Gründe sein können, die einen jungen Menschen zum Täter werden lassen. Und er weiß auch, dass es selbst hierzulande kaum etwas gibt, das es nicht gibt.

Gigl will sein Wissen auch an andere Jugendliche weitergeben. "Manche reden so cool daher", sagt er. "Dann sage ich: Man kann schneller ein Problem haben als man denkt. Also pass lieber auf."