Pfaffenhofen
Alle in die Klinik

Ab Frühjahr gibt es für Patienten im Landkreis feste Anlaufstellen beim ärztlichen Bereitschaftsdienst

29.12.2017 | Stand 02.12.2020, 17:01 Uhr
Pulsmessen gehört zu den Klassikern der Untersuchungen während eines Bereitschaftsdienstes. Heiko Weerda, Obmann der Bereitschaftsdienstgruppe Pfaffenhofen, demonstriert es bei Arzthelferin Agnes Friedl. −Foto: Brenner

Pfaffenhofen (PK) Feste Adressen statt wechselnder Praxen: Ab kommendem Frühjahr wird sich der ärztliche Bereitschaftsdienst im Landkreis grundsätzlich ändern. In der Pfaffenhofener Ilmtalklinik entsteht eine Praxis, außerdem wird ein Fahrdienst unterwegs sein. Die Gebiete werden dafür bayernweit größer.

Bekanntlich greift der ärztliche Bereitschaftsdienst immer dann, wenn die Ärzte ihre Praxen schließen - in bedrohlichen Situationen war und ist der Notarzt unter der 112 zuständig. Wer zwar kein Notfall ist, aber dennoch nachts oder am Wochenende einen Arzt braucht, wählt die 116117. Dann kommt zurzeit entweder ein Arzt nach Hause oder das Personal vermittelt zu der Praxis, die gerade Dienst hat. Für manche Patienten ist das verwirrend oder mühsam, immer mehr fuhren deshalb lieber gleich in die Notaufnahmen - die Kliniken berichteten vermehrt von Fällen, für die eigentlich der Hausarzt zuständig sei.

Ab dem 24. April werden diese Patienten in Pfaffenhofen einfach direkt in die erste Etage der Ilmtalklinik geschickt, dann nämlich geht dort die Bereitschaftspraxis in Betrieb. "Ich sehe das als Zukunftslösung", sagt der Pfaffenhofener Landrat Martin Wolf (CSU). "Das System wird so verlässlicher, planungssicherer, transparenter." Auch der Geschäftsführer der Ilmtalklinik, Ingo Goldammer, sieht Vorteile. "So können die Patienten besser versorgt werden." Echte Notfälle, die der Betroffene selbst vielleicht gar nicht erkannt hat, können umgehend behandelt werden - schließlich ist der Patient ja schon in der Klinik. Heiko Weerda, Obmann der Bereitschaftsdienstgruppe Pfaffenhofen, ergänzt: "Außerdem kann manches schneller abgeklärt werden, weil der Arzt die Patienten direkt zur Ultraschall- oder Laboruntersuchung weiterschicken kann", sagt er.

Wer so krank ist, dass er lieber nicht zur Praxis fahren will, kann über die 116117 einen Hausbesuch anfordern - künftig wird nämlich zusätzlich zum Bereitschaftsdienst in den Kliniken und auch nachts ein medizinisch ausgebildeter Fahrer mit einem Arzt unterwegs sein. Dabei könnten allerdings lange Wartezeiten entstehen, sagt Obmann Weerda. Denn die Kassenärztliche Vereinigung Bayerns (KVB), die die ambulante medizinische Versorgung sicherstellen muss, hat alle Gebiete in Bayern deutlich vergrößert. "Wenn ein Arzt dann gerade in Hallbergmoos unterwegs ist, dann kann es lange dauern, bis er nach Pfaffenhofen kommt", so Weerda. "Das bedeutet für manche Patienten, dass sie sich womöglich vom Taxi in die Klinik zur Bereitschaftspraxis fahren lassen müssen."

Für die Ärzte hat der neue Fahrdienst aber einen entscheidenden Vorteil, sagt Matthias Fleige, der kommissarisch den ärztlichen Kreisverband Pfaffenhofen leitet. "Früher mussten die Ärzte alleine zu den Hausbesuchen fahren - jetzt ist es viel entspannter", so Fleige. Die Ärzte könnten sich nun im Wagen auf den Einsatz vorbereiten, während sie gefahren werden. Ganz anders sieht das der Scheyrer Allgemeinmediziner Michael Seidl. "Für mich ist das eine Verschwendung von Geldern", sagt er. "Ich will selbst entscheiden, ob ich mich fahren lasse oder nicht."

Für die Ilmtalklinik hingegen könnte sich die Umstellung mittelfristig wohl auch wirtschaftlich lohnen, glaubt Goldammer. "Zwar haben wir erstmal weniger Erlös, weil wir Patienten abgeben, aber im Gegensatz standen bisher die höheren Kosten der Versorgung" - bekanntlich waren die Nicht-Notfälle für die Kliniken immer ein Verlustgeschäft.

Das war nicht das einzige, was bisher landkreisweit am ärztlichen Bereitschaftsdienst kritisiert wurde. Teilweise floss laut Auskunft der Ärzte sogar zusätzliches Geld an Vertreter, für die sich der Einsatz sonst nicht lohnen würde. Das bayernweite Problem: Der Dienst wurde immer unattraktiver, vor allem auf dem Land war zuletzt eine immer kleinere Gruppe Ärzte immer häufiger im Einsatz. Der Dienst selbst rentiert sich aber vor allem da, wo viele Einsätze sind; also in der Stadt. Dennoch muss sich jeder niedergelassene Arzt an dem Dienst beteiligen, wenn er keinen Vertreter findet. Damit wurde der Dienst in manchen dünn besiedelten Regionen zum "wesentlichen Niederlassungshindernis" für junge Ärzte, heißt es im Vorwort des KVB-Vorstands zu den Umstrukturierungen. Teilweise hatten demnach in manchen Regionen Ärzte jedes zweite Wochenende Dienst.

Laut dem Obmann der Bereitschaftsdienstgruppe Pfaffenhofen, Heiko Weerda, fallen für jeden Kollegen momentan rund zehn bis zwölf Dienste im Jahr an - und selbst bei dieser Frequenz versuchten zuletzt immer mehr Ärzte, den Dienst loszuwerden. Nach den Änderungen dürfte sich das auf fünf bis sechs Dienste verringern, schätzt der Mediziner. Dank der größeren Gebiete werden die einzelnen Dienste außerdem lukrativer, weil es mehr zu tun gibt. "Künftig wird eher jemand den Dienst antreten wollen", sagt Weerda. Und es wird auch leichter, die Dienste an Vertreter - die sogenannten Poolärzte - abzugeben. Diese sind selbstständig im Bereitschaftsdienst tätig und springen für Niedergelassene ein, die ihren Dienst abgeben wollen.

Die Reaktion der Ärzte auf die Umstellungen ist dennoch unterschiedlich, sagt Weerda. Einige Kollegen störten sich daran, dass sie künftig gezwungen sind, an der Klinik statt in der eigenen Praxis zu praktizieren. Zum Beispiel der Scheyrer Allgemeinmediziner Seidl. "Die KV versklavt uns zunehmend", sagt er. "Für was habe ich eine eigene Praxis, wenn ich nun zum Bereitschaftsdienst in die Klinik fahren muss - an einem fremden Ort, mit fremden Personal?" Für Seidl ist das eine Beschränkung seiner Selbstständigkeit.

Sein Kollege Weerda hat kein Problem damit: "Sicher wird das in der Umstellungsphase schwierig", sagt er. In der eigenen Praxis kenne man sich schließlich besser aus. "Doch das wichtigste Utensil hat schließlich jeder Arzt dabei: Sein Gehirn."

Kommentar

Die Umstrukturierung des Bereitschaftsdienstes war längst überfällig. So gab es in den vergangenen Jahren immer öfter Tage, an denen im Landkreis gar keine Praxis Bereitschaftsdienst anbot. Das hört nun zum Glück auf. Jetzt wissen die Patienten, wo sie zu regelmäßigen Zeiten hinkönnen - egal wer gerade Dienst hat. Dazu kommen die medizinischen Vorteile - Untersuchungen können schneller vollzogen werden, weil ja die Diagnostik auch gleich vor Ort ist.

Ein Problem bleibt aber weiter bestehen: Nach wie vor wird es schwer, junge Ärzte auf das Land zu locken. Zwar wird es auch für Landärzte künftig leichter, den oft als lästig empfundenen Bereitschaftsdienst abzugeben. Doch das wichtigste Argument gegen eine Praxis auf dem Land ist nun einmal die Wirtschaftlichkeit. Nach wie vor ist eine Praxis auf dem Land, wo in der Regel weniger Privatpatienten sind, für Nachwuchsmediziner weniger attraktiv als in der Stadt. An diesen Verhältnissen könnte sich nur etwas ändern, wenn das duale System der Krankenversicherung aufgelöst würde.

Dafür ist die KVB nicht zuständig, sie kann aber trotzdem etwas tun. Oft sprechen mangelnde Flexibilität sowie die hohe Verantwortung für viele Mediziner gegen die Eröffnung einer Ein-Mann-Praxis auf dem Land. Indem die KVB mehr Gemeinschaftspraxen anmietet, kann sie Ärzte locken, indem sie ihnen ein Angestelltenverhältnis bietet. Auch eine eigene Familie lässt sich für junge Mediziner viel besser realisieren, wenn Kollegen da sind, die einen auch mal vertreten können. | Desirée Brenner