Pfaffenhofen
"Burn-out ist oft eine Depression"

Danuvius-Klinik-Chefarzt Thomas Messer erklärt, wie man der Krankheit vorbeugen kann

08.10.2015 | Stand 02.12.2020, 20:42 Uhr

Foto: DK

Pfaffenhofen (zur) Begleitung im Alltag, regelmäßige Gespräche oder Therapiesitzungen – wenn all das zur Behandlung einer Depression nicht mehr ausreicht, kommt die Danuvius-Klinik in Pfaffenhofen ins Spiel. Hier kann die Krankheit stationär behandelt werden. Chefarzt Thomas Messer warnt vor einer Bagatellisierung der Erkrankung.

"Betroffene sollten frühzeitig professionelle Hilfe in Anspruch nehmen", mahnt der Facharzt für Psychiatrie und Psychotherapie. Der Privatdozent verweist auf Forschungsergebnisse, die eine wechselseitige Beeinflussung von Körper und Psyche belegen. Koronare Herzerkrankungen, Diabetes und Krebs können Angst, Sucht oder Persönlichkeitsstörungen auslösen. Umgekehrt sind sie auch die Folge von psychischen Erkrankungen. Die negative Konsequenz der Wechselbeziehung: eine Verschlechterung der Lebensqualität und eine verkürzte Lebenserwartung. "Hier rechtzeitig einzugreifen, um den Teufelskreis zu durchbrechen, ist wichtig", sagt er.
 

Herr Messer, wann ist es an der Zeit, eine stationäre Behandlung der Depression in Betracht zu ziehen?

Thomas Messer: Unumgänglich wird die stationäre Behandlung wenn spezialisierte und komplexe Therapiemethoden notwendig werden. Gleiches gilt, wenn der Patient sich selbst gefährdet – weil er sich bewusst verletzt oder Selbsttötungsabsichten hegt.

 

Wie finden die Menschen ihren Weg zu Ihnen?

Messer: In rund zwei Dritteln aller Fälle überweist ein Haus- oder Facharzt den oder die Betroffene zu uns. Zirka ein Drittel der Menschen kommt aus eigenem Antrieb. Bei einigen Patienten ist im Vorfeld bereits eine ambulante Therapie erfolglos geblieben oder aus freien Stücken abgebrochen worden.

 

Wie lange müssen die Erkrankten in der Klinik bleiben?

Messer: Die Spanne reicht von einem Tag bis zu einem halben Jahr. Im Durchschnitt sind es etwa 28 Tage.

 

Weshalb erkrankt jemand überhaupt an einer Depression?

Messer: Belastende Lebensereignisse und traumatische Erlebnisse sind weniger häufig der Auslöser, als man denken mag. Fast die Hälfte aller an einer Depression Erkrankten sind genetisch vorbelastet. Es gibt Risikogene, die eine erhöhte Vulnerabilität, also eine große Verletzlichkeit, bewirken. Eine rein psychotherapeutische Vorgehensweise ist bei den Betroffenen nur bedingt zielführend. Zudem zeigen wissenschaftliche Untersuchungen, dass die Schwere der Krankheit bei der Wahl der Behandlungsmethode eine entscheidende Rolle spielt. Vereinfacht ausgedrückt: Je schwerwiegender die Ausprägung, desto eher wirkt sich der Einsatz von Medikamenten positiv auf biologische Prozesse im Gehirn aus.

 

Wir können weder unsere genetische Veranlagung ändern noch mögliche Schicksalsschläge verhindern. Gibt es aus Ihrer Sicht dennoch Schutzmechanismen?

Messer: Die Erfahrung zeigt, dass es vor allem wichtig ist, die sogenannte Resilienz zu fördern. Das heißt also jene innere Stärke, die unsere Reaktion auf Tiefschläge bestimmt. Generell ist es hilfreich, als negativ empfundenen Stress zu minimieren. Jeder muss dabei für sich selbst erspüren, was ihn belastet oder über Gebühr unter Druck setzt. Das kann durchaus der persönliche Drang nach Fitness oder das Streben nach Luxus sein. Eine gesunde Schlafhygiene ist ebenfalls bedeutsam. Sport, richtig dosiert und ohne Leistungsdruck betrieben, kann bisweilen fast so gut wirken, wie Medikamente. Ganz wichtig ist zudem die Pflege sozialer Kontakte in allen Facetten von der Familie bis zum Ehrenamt. Es gilt, sich nicht zu verkriechen, sich nicht zu isolieren.

 

Uns geht es doch objektiv betrachtet gut, wie erklären Sie die wachsende Zahl an beruflichen Ausfallzeiten durch psychische Erkrankungen?

Messer: Bei genauem Hinsehen fällt auf, dass sich in mindestens 20 bis 30 Prozent der Fälle hinter einem diagnostizierten Burn-out-Syndrom, also einem auf das Arbeitsumfeld bezogenen Erschöpfungszustand, eine Depression verbirgt. Meines Erachtens sind die Gründe hierfür in der Beschleunigung und Verdichtung der Prozesse am Arbeitsplatz zu suchen. Moderne Medien machen eine universelle und permanente Erreichbarkeit möglich. Das heißt, die Freizeit ist keine freie Zeit mehr. Selbst Hobbys werden oft unter einem gewissen Leistungsaspekt betrachtet. Wirkliche Erholung ist das nicht. Auch wenn derlei Einschätzungen wissenschaftlich nur schwer zu fassen sind, kann man abschließend sagen: Guten Gewissens einmal nichts tun, ist sicher nicht das Verkehrteste.

 

Das Gespräch führte

Maggie Zurek.