Geschätztes Heilkraut für Magen und Darm: Engelwurz

PK-Serie: Dagegen ist ein Kraut gewachsen

04.08.2017 | Stand 02.12.2020, 17:41 Uhr

Die Gattung der Engelwurzen gehört zur Familie der Doldenblütler, zu der auch stark giftige Gewächse zählen, weshalb es sehr wichtig ist, sie exakt bestimmen zu können. In den offiziellen Arzneibüchern ist nur die im Norden vorkommende, bis zu zwei Meter hohe Erzengelwurz geführt, doch seit Jahrhunderten wird von Kräuterkundigen die bei uns heimische, kleinere Waldengelwurz für die gleichen Anwendungen eingesetzt und von manchem sogar in ihrer Wirksamkeit höher eingeschätzt.

Da sie bei uns auch entlang des wunderschönen Scheyerer Benediktenwegs, in Gesellschaft von anderen Doldenblütlern vorkommt, eignet sich der "Botanische Wegbegleiter" von Hermann Kaplan hervorragend für Bestimmungsübungen. Doch auch hier gilt: Um die Bestände zu schonen, empfiehlt sich die Ernte und Verwendung der Frischpflanze ausschließlich aus dem eigenen Garten.

In den antiken Quellen ist die Engelwurz nicht erwähnt, jedoch wurde in einem Chinesischen Kräuterbuch vor über 5500 Jahren eine dort heimische Art der Pflanze beschrieben. Ihren Siegeszug als "Engel aus dem Pflanzenreich" hat sie in Europa im Mittelalter begonnen, wo sie ursprünglich als Tee gegen alle Arten von Verdauungsstörungen eingesetzt wurde. Zu Pest- und Cholerazeiten wurde die frische Wurzel als Schutz vor Ansteckung gekaut, aber auch als eine der wenigen spärlichen Behandlungsmöglichkeiten verabreicht. Bis heute sind Alkoholdestillate der Erzengelwurz wichtiger Bestandteil nahezu aller Melissengeist-Rezepturen, zuckerhaltige Extrakte finden sich in den typischen Klosterlikören und die aus der Wurzel gewonnene Tinktur ist in einigen Tropfenmischungen zur Appetitanregung, gegen Blähungen und Magen-Darmreizungen enthalten.

Kräuterpfarrer Kneipp hebt zudem die blutreinigende Wirkung hervor. Als Schadstoff ausleitender, Auswurf fördernder und lymphreinigender Bestandteil ist sie in vielen Teemischungen unverzichtbar - und auch die äußerliche Anwendung als Salbe kann einen zu trägen Lymphfluss in Schwung bringen. In der Anthroposophischen Medizin wird der Pflanze in erster Linie eine umhüllende, die Seele schützende (Engel!) Eigenschaft zugeschrieben. Unter diesem Schutz könne sich die Ordnung eines Menschen, der psychisch und physisch aus dem Tritt gekommen ist, wiederherstellen und im Idealfall helfen, Ängste in Mut und Zuversicht umzuwandeln.

Für die meisten heilkundlichen Anwendungen werden normalerweise die Wurzeln der Pflanze verwendet, die Samen und Blätter haben jedoch ähnliche Eigenschaften. Anders beim Räuchern, wo aus den Wurzeln ein schwerer Rauch entsteht, der für energetische Reinigungen eingesetzt wird, während die Samen für Licht und Inspiration stehen. In der Wildkräuterküche werden die jungen Stängel und die Blattstiele wegen ihres leicht scharfen Geschmacks, als Gemüse zubereitet oder kandiert, sehr geschätzt.

Wegen der enthaltenen Furanocumarine können empfindliche Menschen nach Kontakt mit der Pflanze an sonnigen Tagen mit Entzündungen der Haut reagieren.

In eigener Sache: Vergangene Woche ist mir bei der Königskerze ein Fehler unterlaufen: Die Kräuterweihe ist ein Brauch an Maria Himmelfahrt - und nicht an Christi Himmelfahrt.

 

MEIN TIPP

Engelwurzlikör als Aperitif: 20 Gramm klein geschnittene und getrocknete Engelwurzwurzeln, zehn Gramm Engelwurzsamen, zehn Gramm frische Orangenschalen, 20 Gramm frische Melisse, 15 Gramm frische Minze, fünf zerquetschte Pimentkörner, 15 zerquetschte Korianderkörner, eine grob zerstoßene Zimtstange und eine Prise Muskat werden mit 0,7 Liter Wodka übergossen und einen Tag in einem bedeckten Gefäß an einen warmen Ort gestellt. Danach wird durch ein Tuch abgeseiht und schließlich mit Zuckersirup, der aus 300 Milliliter Wasser und 300 Gramm Zucker zubereitet wurde, gemischt. Nach einer Reifezeit von wenigen Tagen bis mehreren Jahren nochmals filtrieren.

 

Zum Autor: Roland Andre ist ein Pfaffenhofener Apotheker, für den die Naturheilkunde zur Leidenschaft geworden ist. Für seine Tipps können weder der Verlag noch der Autor eine Wirkgarantie oder eine Haftung übernehmen.