Geisenfeld
"Den Wandel der Zeit ablesen"

Seine Leidenschaft für Ahnenforschung beschert Josef Knerr eine Sammlung von fast 500 historischen Ansichtskarten

26.08.2014 | Stand 02.12.2020, 22:19 Uhr

 

Geisenfeld (GZ) „Tolles Wetter, guter Wein“ – Urlaubsgrüße werden heute per Twitter in Sekunden gesendet und ebenso schnell vergessen. Auf den fast 500 historischen Ansichtskarten, die Josef Knerr aus Geisenfeld gesammelt hat, erzählen derlei „Posts“ selbst nach 100 Jahren noch eine Geschichte.

Wenn der 75-Jährige seine nach Adressaten, Absendern und Jahren geordneten Prachtstücke aus dem Archiv im Keller holt, kommt er ins Schwärmen. „Von 1895 bis Mitte des vorigen Jahrhunderts kann man an den Karten den Wandel der Zeit ablesen“, meint er begeistert. Ihn interessiert vor allem der familiäre Aspekt – seine Exemplare stammen ausnahmslos von einem Mitglied des weitverzweigten Knerr-Clans oder sind an jemanden aus der Familie gerichtet.

Zu verdanken hat der gelernte Müller und Sägewerksmeister seine Sammlung indirekt der Leidenschaft für Ahnenforschung. Die war schon früh in ihm erwacht, „aber tatsächlich umgesetzt habe ich die Idee für ein Familienbuch erst spät“, gesteht er. Zunächst stehen die Ausbildung in der väterlichen Mühle und die Mitarbeit im Sägewerk an, die 1975 ein Meistertitel krönt. Nach der Hochzeit zieht es ihn ins Allgäu, wo er nahezu ein Vierteljahrhundert lang in Waal als Sägewerksmeister tätig ist.

Wieder zurück in Geisenfeld hat der heutige Rentner endlich die Zeit, seinen Hobbys nachzugehen. Er engagiert sich wieder im örtlichen Tennisklub und im Fußballverein, ist bei den Stockschützen aktiv. Nicht zu vergessen den Triathlon – mit Radeln, Laufen und Schwimmen hält er sich fit. Und weil Tradition für ihn Ehrensache ist, tritt er im Krieger- und Veteranenverein in die Fußstapfen von Vater und Großvater. Aber er beginnt eben auch in staatlichen und kirchlichen Archiven zu stöbern, fährt nach Regensburg, Nürnberg, München.

Bald füllen 16 Ordner mit Daten und Dokumenten „von 1600 bis heute“ sein Büro im Untergeschoss des Einfamilienhauses, das „im Flussbett des einstigen Ilmlaufs steht“. Manche Informationen gehen sogar bis ins 13. Jahrhundert zurück, wie Knerr nicht ohne Stolz erklärt.

Die Familie des Geisenfelders stammt wohl ursprünglich aus Meckmannsdorf bei Pondorf – „der Bauernhof mit dem Hausnamen Knerr steht heute noch“, weiß er. Denn er besichtigt gerne die alten Stätten – auch in der Schweiz hat er mit seiner Frau schon an genau der Stelle gestanden, an der das Motiv einer Postkarte aufgenommen wurde, die ein gewisser Maximilian Knerr und seine Schwester Therese im August 1901 verschickt haben. Der Bruder des Großvaters war ein Geistlicher, seine Schwester gehörte dem Konvent der Armen Schulschwestern an.

Doch woher hat er die vielen Postkarten, die verschickt als Urlaubsgrüße oder zum Namenstag (der lange Zeit mehr zählte als der Geburtstag) heute in Plastikhüllen geschützt aufbewahrt sind? „Die hab’ ich auf dem Speicher meines Elternhauses gefunden“, berichtet er. Als das Erbe aufgeteilt wurde, habe sein Bruder „das Glump“ nicht haben wollen, das für ihn zum regelrechten Schatz geworden ist. Da ist jene Karte, die Lorenz Knerr 1900 von der ersten Weltausstellung nach Hause sendet, erfreut, „dass auch der Geisenfelder Hopfen in Paris vertreten ist“. Oder jene mit einem Foto des Riesendampfers Columbus, von dessen Deck der Klosterbrauer Max Knöferl nebst einer gewissen Anni, einer Fanny Bauer und Apotheker Carl Zettl 1926 Grüße nach Geisenfeld schickt. Nostalgisch auch die Karte vom Promenadenplatz in München, die eine noch von einer Pferdestärke gezogene Straßenbahn zeigt.

Viele der Zeitzeugnisse haben neben Presseartikeln oder sonstigen Dokumenten dank Scannertechnik auch den Weg in das Familienbuch gefunden. Darunter eine historische Aufnahme der einstigen Fron- und späteren Marktmühle, die 1888 von der Familie Knerr nebst benachbartem Sägewerk gekauft und später in Teilen neu erbaut wurde. Das Werk im festen Einband erinnert an Zeiten, als man auch in Geisenfeld „das Geld für ein Pfund Butter im Schubkarren transportieren musste“. Und ist ein Zeugnis dafür, wie wenig die Menschen in den Jahrhunderten gelernt haben. Während ein Brief aus dem Jahr 1909 davon berichtet, dass drei Brüder des Ururgroßvater von Josef Knerr vor Moskau erfroren sind („Sie waren mit Napoleon in den Krieg gezogen“, so der Nachfahre), zeigt eine Postkarte von 1913 Buben mit Pickelhauben. Kaum dem Kindergartenalter entwachsen spielten sie voller Begeisterung Krieg. Nicht ahnend, welches Desaster auf sie zukommen würde, schreiben Soldaten: „Wir fürchten Gott, sonst nichts auf der Welt“. Ein Blick in die Annalen und auf aktuelle Presseberichte zeigt, dass weder Postkarten noch Twitter mehr Frieden bewirken können. „Leider“, so der Sammler.