Geisenfeld
Beschlagnahmt vom Wohnungskommissar

Vor 70 Jahren musste Geisenfeld an die 1000 Flüchtlinge und Vertriebene aufnehmen – und wuchs damit um 40 Prozent

21.10.2014 | Stand 02.12.2020, 22:05 Uhr

Zwei solcher Gebäude sind ab 1949 vom Verein „Flüchtlingshilfe“ an der heutigen Jahnstraße errichtet worden, um die Jahre lang herrschende Wohnraumnot zu lindern. Die Baracken wurden Bestandteil der ersten Geisenfelder Neubausiedlung nach dem Krieg - Foto: Kohlhuber

Geisenfeld (GZ) „So viele Flüchtlinge“, stöhnen manche. Vor 70 Jahren hätte man über die heutigen Klagen freilich nur den Kopf geschüttelt. In der Schlussphase und in den Monaten nach dem Ende des Zweiten Weltkrieges musste Geisenfeld nicht 40, 50 oder vielleicht einmal 200 Flüchtlinge aufnehmen, sondern fast 1000 – was 40 Prozent seiner damaligen Bevölkerung entsprach.

Und dies nicht im heutigen Wohlstand, sondern in einer bettelarmen Zeit. Ein Blick zurück hilft vielleicht, manchen schiefen Blickwinkel gerade zu rücken.

Bereits während des Krieges waren Evakuierte aus den vom Bombenkrieg bedrohten Städten sowie Ausgebombte nach Geisenfeld gekommen. Im Winter 1944/45 erreichten die ersten pferdebespannten Trecks mit Flüchtlingen aus Ostpreußen Geisenfeld, die – wie bald darauf die Schlesier – vor der herannahenden Sowjetarmee ihre Heimat verlassen hatten. Das Heer der Vertriebenen aus dem Sudetenland folgte 1946.

Hatte Geisenfeld 1941 noch 2341 Einwohner gezählt, so stieg deren Zahl bis Oktober 1946 durch Zuzüge von Flüchtlingen und Vertriebenen um fast 1000 auf 3294 Personen an.

All diese Zuwanderer mussten irgendwo untergebracht werden, und zu diesem Zweck durchkämmte ein „Wohnungskommissar“ im Auftrag staatlicher Behörden viele Häuser. Lager in Sälen wurden eingerichtet und Wohnungen wurden beschlagnahmt – und das in einer Zeit, als die Ortsansässigen selbst unter einem Mangel in allen Bereichen des täglichen Bedarfes zu leiden hatten.

Da blieb es nicht aus, dass die Zuzügler mit ihrem „fremdartigen Dialekt“, mit denen man auf engstem Raum zusammenleben musste, vielfach als „unerwünschte Eindringlinge“ gesehen wurden – auch wenn sie aus demselben Kulturkreis kamen. „Oft fielen vonseiten der Einheimischen und auch in der Schule unschöne Bezeichnungen, von denen „Flüchtlingsgschwerl“ noch zu den harmloseren zählte“, erinnerte sich vor etwa zehn Jahren eine aus Schlesien stammende Geisenfelderin, die mittlerweile verstorben ist.

Ein Teil der Flüchtlinge und Vertriebenen war in den Fremdenzimmern der Gasthöfe untergebracht – etwa im Fuchsbüchler und im Klosterbräu. Beide hatten eine Dampfheizung, sodass es für die dort Wohnenden keine Möglichkeit zum Kochen gab. „Behelfsmäßig mussten deshalb in den Zimmern kleine Öfen aufgestellt werden, deren Rauchabzugsrohre zu den Fenstern hinausragten“, heißt es dazu in Aufzeichnungen des Geisenfelder Heimatpflegers Helmut Weinmayer.

Die Versorgung mit Heizmaterial, aber auch mit Mobiliar und besonders mit Lebensmitteln stellte die Behörden in der Notzeit nach dem Krieg dabei vor eine schier unlösbare Aufgabe. Jeder Vertriebene und Flüchtling erhielt deshalb einen Ausweis, der dem Inhaber eventuell einen Vorteil beim Einkaufen bringen sollte.

Nach den ersten Jahren der Gegensätze – die auch durch die schlimmen Nachkriegsverhältnisse und die Vielzahl von Zuwanderern binnen kurzer Zeit bedingt waren – besserte sich das Verhältnis zwischen Einheimischen und Vertriebenen schnell.

Ein Indiz hierfür ist die Vielzahl von Eheschließungen zwischen Bayern und Sudentendeutschen oder Schlesiern. Wertschätzung erlangten die Vertriebenen auch in den Betrieben, wo sie sich als tüchtige Facharbeiter erwiesen. Vertriebene Schullehrer fanden in unserer Heimat eine neue Anstellung, und auch in Geisenfeld wurden eine „Sudetendeutsche Landsmannschaft“ und ein Schlesierverein gegründet.

Da es in Geisenfeld für zahlreiche Vertriebene keine Chancen gab, einen Arbeitsplatz zu finden, zogen viele von hier wieder weg, sodass die Einwohnerzahl der Stadt in den 1950er und 1960er Jahren wieder auf unter 3000 sank.