Die
Nackte Kunst

20.01.2017 | Stand 02.12.2020, 18:46 Uhr

Die Kunst ist ein probates Mittel, die Seriosität zu wahren. Rubens (1577 bis 1640) zum Beispiel.

Niemand käme heutzutage auf die Idee, ihm, einem der bekanntesten Barockmaler, Pornografie vorzuwerfen. Seine Bilder von hüllenlosen Frauen sind nicht nur weltberühmt und Millionen wert. Werken wie "Die drei Grazien" haben wir die Beschreibung "Rubensfigur" zu verdanken. Damit sind Frauen mit eher üppigen Rundungen gemeint. Bei den drei Grazien fällt das sofort auf - denn so richtig grazil sind sie eher nicht. Doch bevor nun die Gefahr besteht, in eine Diskussion um die Idealfigur von Frauen und all den damit verbundenen Fettnäpfchen abzudriften - lieber zurück zu den nackten Tatsachen, aus rein künstlerischer Sicht natürlich. Denn seit Freitag hängt das Ölbild einer nackten Frau im Büro des Bürgermeisters. Bis heute stand der Rathauschef nicht im Verdacht, ein großer Freund der schönen Künste zu sein. Dem Burgberg zumindest liegen keine verlässlichen Informationen darüber vor, ob vielleicht im Keller in Menning ähnliche Schätze lagern, wie seinerzeit bei Cornelius Gurlitt. Zweifel sind aber angebracht. Nun also diese nackte Frau in der Machtzentrale Vohburgs. Bei genauerer Betrachtung würde man sie wohl eher als Amazone bezeichnen. Man sieht sie von hinten, sie trägt praktisch nichts außer unverschämt hohen Stiefeln. Und weil sie über ihre linke Schulter blickt, sieht man auch die Brust. Im übertragenen Sinn steht die nackte Amazone - richtig - für Sexualität. Der Künstler Rolf-Dieter Wührl hat ihr hochhackige Stiefel angezogen, doch interessanter ist das Detail darunter. Sie steht nämlich auf einer Bibel - und in der Hand hält sie einen Bischofsstab fest umklammert. Fehlt nur noch die Mitra. Die bischöfliche Kopfbedeckung liegt vor ihr am Boden. Die Szene spielt vor einem fantasievollen Hintergrund. Könnte auf einem anderen Planeten sein. Doch die Interpretation ist recht irdisch. Selbst ein Kunstbanause sieht schnell, dass der Künstler das Verhältnis von Kirche und Sexualität thematisiert. Und es wird auch deutlich, wer wen im Griff hat. Der ganze Schmerz, der aus diesem Verhältnis hervorgehen kann; das ganze Leid; das hat Wührl auf recht eigentümliche Weise ins Bild gebracht - oder besser daneben. Er hat nämlich auch den eisernen Rahmen selbst gebastelt und dabei vier Gabeln integriert. Sie stehen für die Stiche in Leib und Seele, welche die Opfer erleiden. Da wir als konservativ erzogene Burgbergler das Wührlsche Original nicht im Bild zeigen können (und wegen der zu erwartenden Schamesröte im Gesicht unserer Leser), müssen Kunstinteressierte nun eben den Bürgermeister leibhaftig besuchen. Vielleicht gibt es bei genügend hoher Nachfrage demnächst regelmäßige Kunstführungen mit dem Rathauschef.‹ŒGrüße vom Burgberg