Neuburg
"Das Leid der Menschen anerkennen"

Agnes Krumwiede und Ekin Deligöz bei den Flüchtlingen / 460 Menschen, 30 Nationen

19.04.2012 | Stand 03.12.2020, 1:35 Uhr

„Jedem einzelnen Anliegen nachgehen“: Die Bundestagsabgeordnete Agnes Krumwiede – von der Bild-Zeitung zur „Miss Bundestag“ gekürt – notiert sich die Nöte der Asylsuchenden im Neuburger Flüchtlingslager - Fotos: r

Neuburg (r) „Miss Bundestag“ Agnes Krumwiede ist umringt von Irakern, Afghanen, Somali und macht sich fleißig Notizen. Zusammen mit ihrer Kollegin Ekin Deligöz schauen sich die beiden Grünen-Abgeordneten im Neuburger Flüchtlingslager um.


Der Zustrom wächst, die Neuburger Asylunterkunft ist mit 460 Menschen aus 30 Ländern wieder voll belegt. Unter den 23 Standorten in Oberbayern mit 3500 Flüchtlingen ist Neuburg neben der Erstaufnahmestelle München die größte Adresse.

„Eine bessere Unterkunft mit viel Raum und Ruhe“, urteilt Ekin Deligöz nach dem Ortstermin. Die 40-jährige Politikerin aus Neu-Ulm, seit 14 Jahren im Bundestag und Vize-Fraktionschefin von Bündnis 90 / Die Grünen, hält Neuburg dennoch für „suboptimal“. Gemeinschaftsunterkünfte könnten nur eine Übergangslösung sein, um politischen Flüchtlingen Integration in Deutschland zu ermöglichen. Das geschehe leider nur sehr langsam, so Deligöz, „die Gesellschaft muss das Leid dieser Menschen anerkennen“.

Die Quote anerkannter Asylanträge liege deutlich unter zehn Prozent, weiß Ulrich Böger. Der Regierungsvizepräsident und Verwalterin Gerda Uebrick öffnen den Grünen-Abgeordneten alle Türen. Sie schauen in Familienzimmer, Apartments, Küche und Sanitärräume. Jede Etage der drei Blöcke erhalte jetzt Zug um Zug neue Duschräume – ein Ergebnis der 2010 vom Landtag festgelegten „neuen Leitlinien“. Sie zielen auf Verbesserungen und Mindeststandards. Einer lautet: mindestens sieben Quadratmeter Wohnraum pro Flüchtling.

Eine Frau aus Somalia bereitet in der Edelstahlküche Mehlspeisen zu. Die Grünen-Politikerinnen probieren. „Es gehört zur absoluten Eigenverantwortung des Menschen, sich selber Essen zuzubereiten“, stellt Agnes Krumwiede (34) fest. Die gebürtige Neuburgerin will das Flüchtlingslager jährlich mindestens einmal besuchen. Jedem Einzelanliegen will sie nachgehen. Ein Iraker wird angeblich nicht zum Deutschkurs zugelassen, eine syrische Familie findet außerhalb keine Wohnung.

Nach einem Jahr dürfen Asylsuchende Arbeit aufnehmen. Ohne Deutschkenntnisse geht fast nichts. Die Caritas bietet Kurse an, hauptamtliche Betreuer kümmern sich um Familien und Singles in der Unterkunft an der Donauwörther Straße. Dienstags und donnerstags gibt es Essenspakete. Die Grünen halten das Gutscheinsystem für besser. Der Freistaat Bayern setzt auf Lieferungen. Die angebotenen Lebensmittel seien frisch und differenziert, „ich garantiere ihnen, dass jeder Flüchtling regelmäßig vernünftiges Essen bekommt“, so Regierungsvizepräsident Böger.

Das Versprechen von Bayerns Sozialministerin Christine Haderthauer (CSU), die Neuburger Unterkunft mittelfristig zu verkleinern und die Flüchtlinge dezentral unterzubringen, hat Bestand.

Aber der Zustrom von Flüchtlingen aus Nordafrika, Afghanistan, Iran, Irak und Serbien steigt wieder an. Vor 20 Jahren suchten 400 000 Flüchtlinge Asyl in Deutschland. Nach einem historischen Tiefstand gab es 2011 wieder 45 000 Erstanträge, heuer sind es bisher 11 000. Wenn man die Duldung als „kleines Asyl“ mitberechnet, erreicht die Ablehnungsquote 85 Prozent.