Neuburg
Unter diesen Dächern tobt ein Preiskampf

Bei Podiumsdiskussion über "bezahlbaren Wohnraum" gibt es viele Erklärungsversuche und Ausflüchte - nur keine Lösungen

11.10.2017 | Stand 02.12.2020, 17:22 Uhr
Unter roten Ziegeln wird um jeden Cent für den Quadratmeter gerungen. Investoren wollen hohe Renditen in der Boomregion. Der Kleine Mann bleibt auf der Strecke. −Foto: Schanz

Neuburg (DK) Der Wohnungsnotstand ist in Neuburg das Thema Nummer eins. Das zeigte eine stark besuchte aber auch stark zerfahrene Podiumsdiskussion im Landratsamt. Über das Problem herrschte Einigkeit. Erklärungen, Vorwürfe und Ausflüchte waren zu hören - nur keine Lösungsvorschläge.

Eingeladen hatten die Sozialverbände. Die von Diana Strassburg moderierte Podiumsdiskussion war mit Landrat Roland Weigert, Oberbürgermeister Bernhard Gmehling, Schrobenhausens Bürgermeister Karlheinz Stephan und seinem Amtskollegen Karl Seitle aus Karlshuld sowie Caritas-Geschäftsführer Hans-Peter Wilk, AWO-Kreisvorsitzendem Horst Winter und Caritas-Projektleiterin Stefanie Buchner-Joppich hochrangig besetzt.

Gekommen waren auch ein paar Frustrierte, die als Arbeitslose von drohender Obdachlosigkeit und miserablen Wohnsituationen berichteten, im Sitzungssaal umhertigerten oder auch einfach nur laut dazwischen plärrten. Zu einem kleinen Tumult kam es, als andere Besucher ihnen die Tür nicht wieder öffnen wollten. Eine Person wurde von einem Betreuer aus dem Saal gebracht. Die Wutbürger nutzten das Plenum im Landratsamt, um mal Dampf abzulassen, was die Debatte von Anfang an in die Hartz-4-Ecke rückte, weg von jungen Familien oder Alleinerziehenden, und von einer konzentrierten Suche nach einer Problemlösung ablenkte.

Das Problem indes ist groß. "Sozialwohnungen beziehungsweise günstige Wohnungen für Menschen mit geringem Einkommen stehen nicht zur Verfügung", bilanzierte Wilk. 330 Vermieter hat seine Caritas dafür im Landkreis befragt, nur 32 von ihnen waren bereit, an Menschen mit Grundsicherung zu vermieten. Von den 330 Wohnungen gelten allerdings nur 33 nach den Kriterien des Jobcenters als "angemessen", insgesamt bleiben damit nur drei als wirklich mietbar übrig. "Nur ein Prozent der Wohnungen ist mietbar", so Wilks Fazit. Geringverdiener, Alleinerziehende, Migranten, Behinderte, junge und alte Menschen ohne Sicherheiten haben laut Caritas aktuell keine Chance. Bleiben noch Sozialwohnungen. Jedoch: "Mietkosten für neue Sozialwohnungen sind höher als die Kosten der angemessenen Unterkunft im Rahmen der Grundsicherung", so Wilk.

Der AWO-Kreisvorsitzende Winter zeichnete ein düsteres Bild, weil mit der Zeit immer mehr Sozialwohnungen aus der Sozialbindung fallen. "In zehn bis 15 Jahren haben wir fast gar keine mehr." Winter kritisierte offen den Oberbürgermeister, er habe das Problem absehen können, aber zu wenig neue Sozialwohnungen gebaut. "Es ist nicht so, dass die Einwohnerzahl auf einmal nach oben geschnellt wäre."

Das wollte sich OB Gmehling nicht gefallen lassen: Es habe vor einigen Jahren auch Prognosen gegeben, die einen Bevölkerungsrückgang vorausgesagt hätten. Derzeit habe die städtische Gewo über 330 Wohnungen. Der durchschnittliche Mietpreis von 5,47 Euro sei beachtlich niedrig. Gmehling kündigte an, im neuen Baugebiet zwischen Heckenweg und Grünauer Straße rund 200 Sozialwohnungen bauen zu wollen - allein, das sei nicht so einfach. Die Grundeigentümer wollten sich jeden Quadratmeter versilbern lassen, die Bundespolitik stelle enorme Hürden vom Brand- bis zum Immissionsschutz. "Senkt doch mal diese Standards", forderte Gmehling. Die Baukosten seien auch deshalb enorm gestiegen. Amtskollege Seitle aus Karlshuld bestätigte das. Sozialwohnungen seien ein Draufzahlgeschäft. "Die Gemeinden haben weder das Geld noch das Personal für sozialen Wohnungsbau." Landrat Weigert betonte immer wieder, sozialer Wohnungsbau sei nicht Aufgabe des Landkreises - "und ohne Aufgabe keine Ausgabe".

Lösungen für die Wohnungsnot waren keine in Sicht. Verbesserungsoptionen waren nur in Nebensätzen zu hören. Ein kommunales Wohnungsmanagement etwa, ein Mietspiegel oder das von Schrobenhausens Bürgermeister Stephan vorgestellte Projekt einer "Wohnraumaktivierung", das sozialpädagogische Betreuung und Mietbürgschaften beinhaltet, in der Stadt erfolgreich ist und dem Modellcharakter zugeschrieben wird. Kleine Maßnahmen gegen die große Wohnungsnot.

Zudem wurden auch Entwicklungen angesprochen, die den Markt noch weiter belasten: der Zuzug durch anerkannte Asylbewerber zum Beispiel - oder auch der angedachte Zweigstellen-Campus der Technischen Hochschule Ingolstadt. "Was ist geplant, um die Studenten unterzubringen?", wollte Andreas Fischer wissen. OB Gmehling antwortete, die Studenten sollen auf dem Campusgelände wohnen, Studenten-WGs seien platzsparend, somit kein Problem.

"Konsens ist, dass wir - auf Teufel komm raus, sage ich schon fast - Wohnungen schaffen müssen", bilanzierte Bürgermeister Stephan. Trotz zweieinhalbstündiger Debatte gingen die Besucher ohne viel Optimismus in den Nieselregen.

Kommentar von Sebastian Schanz

Das Einzige, was den überhitzten Markt abkühlen kann, sind mehr Wohnungen. Große, kleine, schöne, hässliche, teure, günstige: Jeder neue Wohnraum kühlt den irren Verdrängungskampf in allen Preisklassen ab. Selbst Einfamilienhäuser machen anderswo Wohnraum frei, der wiederum Wohnraum frei macht, der wiederum Wohnraum frei macht. Doch im Moment gibt es keine Bewegung in dieser Kettenreaktion. Am meisten leiden darunter die am Ende der Kette. Sie gehen ganz leer aus.