Neuburg
102 Kilometer zugefrorene Donau

Zeitzeugen erinnern sich an den Extremwinter 1962/63 – Ein März-Spaziergang über den Fluss

11.02.2013 | Stand 03.12.2020, 0:30 Uhr

 

Neuburg (r) „Ein seltsames Knirschen und Rauschen“ setzte ein, als sich das Eis in Bewegung setzte. Zeitzeugen des strengen Winters vor 50 Jahren bleibt neben der zugefrorenen Donau vor allem der mächtige Eisstoß beim Auftauen in Erinnerung.

„Natürlich sind wir auf die Donau gegangen“. Als junger Mann war es für Kfz-Meister Hans Perzlmeier im Februar 1963 selbstverständlich, die Sensation am Donaukai persönlich zu erkunden. Frostnächte bis 30 Grad minus hatten das Treibeis im Fluss stärker und stärker werden lassen. Schließlich stauten sich die dicken Schollen und froren fest. Unter dem festen Panzer rauschte die Donau hindurch. Deshalb war es höchst gefährlich, auf eine Schwachstelle im Eis zu treten.

Ungeachtet dieses Risikos gingen im Neuburger Stadtbereich Dutzende, letztlich gar Hunderte Wagemutige aufs Eis. Man wollte sich die Gelegenheit, ein Jahrhundertereignis hautnah zu erleben, nicht entgehen lassen. „Ich bin am sicheren Ufer geblieben“, erinnert sich Altstadtbewohner Rudolf Scharl (87). Er hat noch das Bild im Kopf, als er im Winter 1929 als vierjähriger Bub mit seiner Mutter und Bruder Erich kurz auf die zugefrorene Donau gegangen war. „Das hat mir gereicht“.

Andere zeigten sich übermütig. Alfred Schmid aus Bertoldsheim balancierte sogar seinen VW Käfer mit Kameraden auf die zugefrorene Donau. Nach dem „Coup“ wurde mit zwei Kästen Bier gefeiert – auf der Donau natürlich. Später ist dem langjährigen Feuerwehrkommandanten klargeworden, dass die spontane Aktion auch ins Auge hätte gehen können, wenn das Auto ins (sehr dicke) Eis eingebrochen wäre.

Der Rekordwinter und seine Folgen bewegte die Menschen auch in anderen Donaugemeinden wie Stepperg, Oberhausen, Bergheim oder Weichering. Manfred Reichl aus Bergheim fotografierte 1963 mit seiner Kamera serienweise Farbdias. Das Eis hatte die Fähre mit Wucht herausgehoben, „und an manchen Tagen gab es regelrechte Völkerwanderungen auf der Donau“. Die Eisdecke sei bombenfest gewesen. Auch die dreijährige Tochter Petra war mit von der Partie, Tochter Michaela ist genau in der „Eiszeit“ auf die Welt gekommen.

In Unterhausen „sind wir am 9. März noch über die Donau gegangen“, weiß Johann Habermayr, damals ebenfalls ein erkundungsfreudiger junger Mann. Genovefa und Alois Polleichtner aus Rennertshofen vergessen den Eiswinter bestimmt nicht, denn sie heirateten im Januar 1963 bei 30 Grad Minus. Den Musikern froren sofort die Ventile ein und das Brautpaar stellte sich für eine „historische“ Fotografie auf die Schollen der Donau.

Eine unglaubliche 102 Kilometer lange Eisschicht bedeckte damals die Donau von Weltenburg bis Günzburg. Der Extremwinter hatte bereits im November 1962 begonnen, an Weihnachten überzog eine dünne Eisschicht die Donau. Mitte Januar erreichte der Schollenstau Ingolstadt und kurz darauf Neuburg. 32 Grad Minus wurden in einer bitterkalten Januarnacht gemessen. Am 8. Februar sprengten die Ingolstädter Pioniere Löcher ins Eis, damit die Wasservögel überleben konnten.

Erst Mitte März nahm der Winter seinen Abschied und das Eis in der Donau schmolz dahin. Der Fluss riss sich zuerst in der Mitte eine Rinne, dann lösten sich krachend die Schollen am Ufer. Es dauerte Wochen, bis die Eisgebirge verschwunden waren. Die Ängste, dass der Eisstoß ganze Brücken mitnehmen könnte, gehörten weitgehend der Vergangenheit an.

Seit 25 Staustufen zwischen Ulm und Passau die Donau ausbremsen, gibt es den Eisstau als Naturphänomen – wie 1907/08, 1928/29, 1942/43 und 1962/63 – nicht mehr. Allerhöchstens tritt er an den letzten kleinen Fließstrecken auf wie zwischen Straubing und Vilshofen oder Bertoldsheim und Donauwörth. Dort konnten Risikofreudige im Januar 1985 nach 30-Grad-Nächten über die Donau marschieren.