Neuburg
Der schwierige Umgang mit der Hetzschrift

Schulen noch zurückhaltend – Der Buchhandel wird die Bände anbieten – Ministerium verspricht Fortbildung für Lehrer

08.01.2016 | Stand 02.12.2020, 20:20 Uhr

Ausgaben von Adolf Hitlers „Mein Kampf“ in der „Remota-Abteilung“, dem „Giftschrank“ der Eichstätter Universitätsbibliothek. Im Bild die Leiterin Constance Dittrich. Jetzt ist die kommentierte Auflage des „Werkes“ auf dem Markt - Foto: Auer

Neuburg (kpf/szs/r) Seit Freitag ist Adolf Hitlers „Mein Kampf“ in kommentierter Form auf dem Markt. Ein Bestseller wird es wohl nicht werden, und angesichts der 1948 Seiten schwingt auch etwas Unbehagen mit. Der schon wieder, muss das sein? Wir haben nachgefragt.

Sonja Kalisch, Leiterin der Paul-Winter-Realschule, steht der historisch-kritischen Neuerscheinung durch das Institut für Zeitgeschichte (IfZ) noch reserviert gegenüber: „Kurzfristig wird das Buch für uns keine Rolle spielen. Wir werden uns damit schulintern auseinandersetzen unter Einbeziehung der Fachschaft Geschichte. Bislang ist es uns freigestellt, das Thema zu behandeln. In der neunten Jahrgangsstufe ist der Nationalsozialismus ohnehin ein zentrales Thema, das im Unterricht großen Raum einnimmt“, sagt die Schulleiterin. Bislang habe sie noch kein Schreiben des Kultusministeriums erreicht. „Ich rechne aber damit, dass das bald geschehen wird. Ich persönlich rate zunächst dazu, die Finger von ,Mein Kampf’ zu lassen.“

Das Thema Nationalsozialismus ist kein schulisches Neuland. Im Kultusministerium setzt man Vertrauen in die Fähigkeiten der Pädagogen. „Die bayerischen Lehrkräfte sind seit langem erfahren im Umgang mit Quellen des Nationalsozialismus“, heißt es in einer Pressemitteilung aus dem Hause Spaenle. Ob Hitlers „Mein Kampf“ oder Alfred Rosenbergs „Mythus des 20. Jahrhunderts“, für Geschichts- oder Sozialkundelehrer ist das bekanntes Terrain. Die IfZ-Edition könne als Grundlage für den Unterricht dienen, sagt Ludwig Unger, Pressesprecher im Kultusministerium.

Ziel des schulischen Umgangs mit den beiden Bänden, die mit 3500 Anmerkungen gespickt sind, ist die Demaskierung von Hitlers Wirrsinn, seiner radikalen und menschenverachtenden Ziele, an deren Ende weltweit fast 60 Millionen Tote zu beklagen waren.

Gelassen sieht Oberstudiendirektor Peter Seyberth am Neuburger Descartes-Gymnasium „der großen Herausforderung“, von der Minister Ludwig Spaenle spricht, entgegen. Mit der neuen Edition werde sich für die Schule nichts ändern. Schon vorher seien im Geschichtsunterricht Auszüge verwendet worden, aber immer kommentiert. „Ansonsten kann sich ja jeder den Text jederzeit im Internet besorgen“, sagt Seyberth. Das könne man als Schule nicht verhindern.

Auf eben diese Kommentierung kommt es an – und die ist in den beiden Bänden reichlich. Das lässt den Umgang mit dem nationalsozialistischen Nährboden auch dem Kultusministerium akzeptabel erscheinen. „Eine historisch-kritische Quellenarbeit mit der Schandschrift ,Mein Kampf’ kann in der Verantwortung der Lehrkräfte mit entsprechender fachlicher und didaktischer Vorbereitung auch im Unterricht einen unmittelbaren Zugang von Schülerinnen und Schülern zu dieser Schlüsselquelle der Zeitgeschichte ermöglichen“, lässt Spaenle wissen.

Hitlers verquere Ideologie ist eigentlich nur durch die Zeitläufte virulent geworden. Nachdem die Urheberrechte des Freistaates am 1. Januar erloschen sind, bestand die Gefahr, dass die Originalschrift wieder aufgelegt werden könnte. In Antiquariaten gibt es sie noch, Nachdruck und Neuauflage des braunen Bestsellers (12,4 Millionen Exemplare) waren aber seit 1945 verboten. Nun also die kommentierte Ausgabe. Wie reagieren die Buchhändler? „Ich habe mir schon lange Gedanken gemacht, wie wir damit umgehen. Es gab noch nie ein Buch, das so umstritten war“, sagt Maria Rupprecht von der gleichnamigen Buchhandlung in Neuburg. „Ich glaube die Form, in der es jetzt erscheint, ist wirklich die beste. Ich hoffe, dass das Buch dadurch an Symbolcharakter verliert“, so die Geschäftsführerin. In ihren Buchhandlungen steht „Mein Kampf“ künftig ganz normal im Regal, auf Werbung im Schaufenster oder besondere Hervorhebungen will sie verzichten. Die Kunden, die das Buch bisher vorbestellt hätten, seien allesamt geschichtlich interessierte Leute gewesen.

Hedwig Eser von der Bücherstube Neuburg sieht es recht pragmatisch. Die ehemalige Kulturreferentin und SPD-Stadträtin weiß noch nicht, wann sie die Bücher in den Laden bekommt, kündigt aber bereits an: „Wenn es verlangt wird, werde ich es verkaufen.“

In der Staatlichen Bibliothek in der Amalienstraße liegt zwar die Originalausgabe im Giftschrank, die IfZ-Edition wird es dort aber wohl nicht geben. Hintergrund: Sie passt ganz einfach nicht ins Portfolio der Provinzialbibliothek.

Zurückhaltend gibt man sich im städtischen Bücherturm. Bibliothekar Ralph Zaffrahn will „Mein Kampf“ noch nicht besorgen. Er wartet ab, ob das andere Bibliotheken tun, und will sich dann mit den Kollegen und Kulturamtsleiterin Kathrin Jacobs besprechen.